Reportage
Der Rathausplatz aus der Perspektive eines Sehbehinderten
Menschen mit einer Sehbehinderung nehmen ihre Umgebung ganz anders wahr. So auch die Plätze in Wien – wie etwa den Christkindlmarkt am Rathausplatz. Der sehbehinderte Dominic Schmid berichtet für MeinBezirk.at aus seiner Perspektive.
WIEN. Die Stadt aus anderer Perspektive: Dominic Schmid beschreibt spannende Orte in ganz Wien. Der stark sehbehinderte Journalist nimmt uns mit auf seine außergewöhnliche Reise durch die Bezirke. "Passend zu Beginn der Adventzeit begebe ich mich dorthin, wo der größte Christkindlmarkt Wiens zu finden ist. Ich statte dem Rathausplatz einen Besuch ab", so Schmid.
Hier seine Reportage:
Neugierig schaue ich mich am Rathausplatz um. Sofort fallen mir die Bäume auf, die den Platz säumen. Da der Boden asphaltiert ist und ich somit an eine Straße denken muss, wirkt der Platz für mich ein wenig wie eine Allee. Viele der Bäume sind schon kahl, die bunten Blätter liegen verstreut auf dem Boden. Mein Blick gleitet weiter und auf das Rathaus selbst. Wüsste ich nicht, dass es das Rathaus ist, würde ich es wohl für ein Schloss oder eine Kirche halten. Ich nähere mich dem Gebäude, in Begleitung einer Assistentin. Das Gedränge wird dichter und dichter.
Da (noch) nicht so viele Personen am Christkindlmarkt unterwegs sind, kann ich mit meinem Blindenstock gut durch die Menschenmenge gehen. Auch sonst ist der Rathausplatz gut begehbar. So gibt es keine Unebenheiten, die Hindernisse für mich sein könnten. Dasselbe gilt hier wohl auch für Menschen im Rollstuhl. Wie barrierefrei der Christkindlmarkt am Rathausplatz ist, dürfte davon abhängen, wie viel gerade los ist.
Rathaus erinnert an Kirche
Geschafft! Ich stehe direkt vor dem Rathaus. Es erinnert mich immer noch ein wenig an eine Kirche. Vor allem der mittlere, höchste Turm. Davor ragt etwas Grünes empor. Ich vermute, dass es sich dabei um einen Christbaum handelt, was mir meine Begleiterin auch bestätigt. Außerdem erzählt sie, dass der Christbaum, der diesmal aus Südtirol kommt, am Abend beleuchtet wird. Der Baum ist sicher nicht gerade niedrig, wirkt aber vor dem hohen Turm im Verhältnis zum Rathaus eher klein.
Ich versuche das Treiben um mich herum auszublenden und mich nur auf das Rathaus zu konzentrieren. Abgesehen vom Gewusel am Christkindlmarkt ist es fast still. Nur hin und wieder höre ich ein Auto vorbeifahren. Das wundert mich ein wenig, denn ich bin mitten in der Stadt und hätte mir daher mehr Verkehrslärm erwartet. Die Luft ist kühl. Dennoch erinnert es an viel zu warme Dezembertage, an denen man nicht so recht weiß, ob der Winter schon angefangen hat oder ob es doch noch Herbst ist. Lediglich meine kalten Finger lassen mich frösteln. Das liegt aber eher daran, dass ich keine Handschuhe trage, damit ich das Diktiergerät bedienen kann, aber somit kommt wenigstens ein Hauch eines kalten Dezembertages auf.
Leuchtende Herzen im Park
Nachdem wir an den Marktständen vorbeigegangen sind, wo Lebkuchen, Glühwein oder selbst hergestellte Weihnachtsdekoration verkauft wird, fordert mich meine Begleiterin auf, nach links zu gehen. Damit gelangen wir zum nördlichen Teil des Rathausplatzes. Nach ein paar Schritten gehe ich durch eine Art Torbogen und befinde mich im Rathauspark. Sofort fallen mir die vielen Bäume auf, die dicht an dicht zu beiden Seiten des Weges stehen.
Hatte ich zuerst noch das Bild einer Allee im Kopf, so muss ich jetzt an einen Wald denken. Der Weg, auf dem wir uns befinden, ist nicht gerade breit, was diesen Eindruck verstärkt. Dennoch komme ich mit meinem Stock gut voran. Plötzlich stehen wir vor einem Baum, an dem rote Herzen hängen. Ich erfahre, dass es der sogenannte „Herzerlbaum“ ist. Am Abend leuchtet nicht nur der Christbaum vor dem Rathaus, sondern es leuchten auch die Herzen des Baumes.
Krippen mit Musik
Ein wenig später stoßen wir auf kunstvoll gestaltete Holzkrippen, die im Park aufgebaut sind. Vor einer der Krippen bleibe ich stehen und betrachte sie etwas genauer. Dabei fällt mein Blick auf ein gelbes Pedal, das sich unterhalb der Krippe befindet.
Ich drücke darauf und ein Weihnachtslied ertönt. Wir gehen zu einer anderen Krippe und auch diese hat ein gelbes Pedal und spielt ein anderes Weihnachtslied. Statt mir die Krippen genauer anzusehen, lausche ich den verschiedenen Weihnachtsliedern, von denen ich die meisten mitsummen kann. So endet mein Besuch am Rathausplatz musikalisch mit einer kleinen Einstimmung auf das bevorstehende Weihnachtsfest.
„Mehr Entspannung als erwartet“, so lautet mein Fazit nach diesem Besuch des Wiener Rathausplatzes. Denn einmal abgesehen vom Christkindlmarkt ist es am Platz relativ ruhig. Viel Ruhe vermittelt auch der Nordpark, der mich an einen Spaziergang im Wald erinnert. Man kann sich also auch direkt neben der Arbeitsstätte der Wiener Stadtpolitikerinnen und -politiker gut entspannen. Auch dann, wenn die Weihnachtszeit wieder vorbei ist. Kleiner Tipp: Alle, die nicht so lange warten wollen, können vielleicht wie ich schon heute vor den schönen weihnachtlichen Krippen innehalten.
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