Psychologie / Traumatherapie
Emotional instabil, Borderline-Persönlichkeitsstörung und Trauma - Teil 2 – Instabile und intensive Beziehungen
Ein Kennzeichen von Borderline und schweren frühkindlichen Traumatisierungen ist, dass es später in zwischenmenschlichen Beziehungen (etwa in Partner*innschaften oder in Eltern-Kind-Beziehungen) oft zu emotionalen Achterbahnfahrten.
In einer Partner*innenschaft werden die Partner*innen zeitweise extrem idealisiert, vergöttert und angehimmelt. Kommt es zu Konflikten, so werten viele Menschen, die unter Borderline leiden, ihre Partner*innen rasch ab. Dieser Wechsel von Idealisierung und Entwertung kann mehrmals am Tag erfolgen und eine Partner*innenschaft massiv belasten. Dies macht zwischenmenschliche Beziehungen chaotisch.
Besonders schlimm ist dieses Muster in der Beziehung zwischen Eltern, die unter Borderline leiden, und ihren Kindern, da dieses Verhalten Kinder schwer traumatisieren kann.
Menschen mit Borderline tun dies natürlich nicht aus schlechter Absicht, sondern weil sie dies aufgrund ihrer Biographie nicht anders kennen oder keine alternativen Handlungskompetenzen zur Verfügung haben (sie können dies allerdings in einer Psychotherapie lernen). Der Leidensdruck ist dabei extrem hoch: Verschlingungs-, Vernichtungsängste und die Abwehr von Abhängigkeitswünschen wechseln einander ab. Zudem neigen Menschen mit Borderline dazu, in Partner*innschaften zu verharren, die langfristig schädlich sind (etwa, wenn der/die Partner*in übergriffig oder gewalttätig ist).
Ein Beispiel: Frau H. verliebt sich in eine andere Frau. Am Anfang idealisiert Frau H. ihre Partnerin extrem und ist der Überzeugung, dass nun alle ihre Probleme gelöst seien und ihre tiefe Verliebtheit sie retten werde. Sie vergöttert ihre neue Partnerin sosehr, dass ihr lange nicht auffällt, dass auch ihre Partnerin Schwächen und eigene Probleme hat und sich manchmal gar nicht wohl fühlt, wenn sie so idealisiert wird. Eines Tages sagt die Partnerin zu Frau H., dass sie kommendes Wochenende ihre Eltern besuchen möchte und daher am Sonntag keine Zeit für Frau H. habe. In diesem Moment bricht für Frau H. eine Welt zusammen. Sie war davon ausgegangen, dass ihre Partnerin und sie nun alles teilen und immer zusammen sein würden. Der Freiraum, den ihre Partnerin benötigt, löst in Frau H. zudem starke Verlust- und Verlassenheitsängste aus. Frau H.s Angst und innere Spannung werden so stark, dass sie die Kontrolle über ihr Handeln verliert. Ihre Angst und Hilflosigkeit lösen den Copingmechanismus des Hasses aus.
Frau H. explodiert. Sie schreit ihre Partnerin an und macht ihr schwere Vorwürfe, dass sie völlig unzuverlässig, egoistisch und eine schlechte Partnerin sei, und dass sie nicht mehr mit ihr zusammen sein wolle. „Schleich Dich aus meinem Leben“, brüllt sie, und „ich mach Schluss mit Dir und möchte nie wieder etwas mit Dir zu tun haben! Du warst die schlimmste Partnerin, die ich je hatte!“ Tiefbetroffen, verunsichert und schwer gekränkt verlässt ihre Partnerin die Wohnung und weint dabei.
Nachdem ihre innere Anspannung abgeklungen ist, beginnt Frau H. sich zu schämen und bekommt starke Schuldgefühle. Kleinlaut ruft sie bei ihrer Partnerin an, entschuldigt sich und sagt, dass sie ja eigentlich die allerbeste und liebevollste Partnerin sei, die sie sich als Frau nur wünschen kann. Sie liebe sie so sehr, und ihre Ausbrüche seien nur ein Beweis ihrer Liebe zu ihr. Sie wolle immer mit ihr zusammenbleiben.
Aus der geschilderten Fallvignette wird ersichtlich, dass diese emotionale Instabilität einer Partner*inenschaft massiv belasten und gefährden kann. Schließlich passiert Frau H. genau das, was sie eigentlich um jeden Preis verhindern möchte: Ihre Partnerin verlässt sie und beendet die Paarbeziehung.
Wenn die emotionale Instabilität so stark ist, dass sie zwischenmenschliche Beziehungen gefährdet und ein so großer Leidensdruck damit einhergeht, wie bei Frau H., dann kann neben einer Psychotherapie auch ein Skillstraining sehr sinnvoll sein.
„Skills“ bedeutet im Englischen „Fertigkeiten“. Das Skillstraining geht auf die Borderline-Expertin Marsha Linehan zurück und vermittelt einen besseren Umgang mit sich selbst und dem sozialen Umfeld. Skills sind kurzfristig wirksam, ohne dabei langfristig schädlich zu sein. Das Skillstraining ist speziell für Menschen geeignet, die Probleme haben, ihre Gefühle und Impulse zu regulieren (etwa Personen mit Borderline-Störungen, schweren Depressionen, Essstörungen, Angst- und Panikstörungen, Traumatisierungen, Gewaltproblemen). Das Training von Skills hat das Ziel, den Alltag und Krisensituationen besser zu bewältigen, Anspannungen zu reduzieren und mehr Ruhe zu finden.
Schwerpunkte des Skillstrainings sind:
- ein konstruktiver Umgang mit negativen Emotionen, Körpergefühlen und Gedanken
- Selbstwirksamkeit
- ein guter Umgang mit Hilflosigkeit, Einsamkeit und Angst
- Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse, Gefühle und Emotionen
- Radikale Akzeptanz aller Emotionen
- zwischenmenschliche Fertigkeiten
- Stresstoleranz, Frustrationstoleranz, Selbsttoleranz
- Abgrenzung und „Nein!“ sagen können
- Regulation von hochschießenden Emotionen
- Impulskontrolle
- den Selbstwert zu erhöhen
Skills, um sich aus emotionalen Hochspannungszuständen zurückzuholen, können sein:
- Ein Eisgelkissen in den Nacken oder auf die Stirn legen
- laute Musik hören
- Wechselduschen
- eiskaltes Duschen
- kaltes Wasser auf den Unterarm fließen lassen
- Schreien
- mit nackten Füßen in einem Bach stehen
- Muskeln anspannen und loslassen
- Krafttraining machen
- Ammoniak oder an Stinkekäse riechen
- Knoblauch roh essen
- Eukalyptus-Erfrischungstücher riechen (aus der Apotheke)
- frischen Zitronensaft trinken
- in die Sauna gehen
- Scharfe Zahnpasta in den Mund nehmen
- Chillischoten kauen
- Liegestützen machen
- Crunches machen
- Joggen gehen oder sich sportlich auspowern
- Brennnesselsalbe auf den empfindlichen Unterarm streichen
- und vieles mehr
Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision
(Logotherapie und Existenzanalyse)
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