Wiens Museen und die Politik
HGM: Der Zweite Weltkrieg verschwindet
Die Politik greift ein: Ab dem 8. Mai endet Österreichs Geschichte im Jahr 1918
(Ein Kommentar)
Ich gebe zu, der Titel ist ein wenig spitz formuliert. Aber im Prinzip stimmt es: Abgesehen von ein paar fast textidenten Zeitungsartikeln am 26. April, die offenbar nicht Eigenrecherchen sind, sondern Textblöcke und Fotos der APA verwenden, wurde kaum darüber geredet:
Am 8. Mai wird der große Saal "Republik und Diktatur" (1918 bis 1945) im Heeresgeschichtlichen Museum geschlossen, und zwar laut Webseite "auf unbestimmte Zeit".
Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, sich den Saal nochmals vor der zweifellos gravierenden Umgestaltung ansehen wollen, so geht dies also nur noch bis Sonntag, den 7. Mai.
Misslungene Neugestaltungen und Skandalgedenkorte
Museumsumgestaltungen lösen bei mir generell Unbehagen aus. Einerseits werden Museen selten besser, sehr oft aber schlechter, wie ich - sofern ich Zeit finde - anhand einiger Beispiele darlegen möchte. Man denke nur an den völlig misslungenen neuen Geologiesaal im Naturhistorischen Museum, an die de facto Demolierung des faszinierenden k.k. Hofkammerarchivs in der Johannesgasse und an das wirr wirkende zusammengepresste Themengemisch (von an sich hochspannenden Inhalten) im "Haus der Geschichte". Letzteres bietet auf wenigen Metern das "einzige existierende Foto der Todesmärsche ungarischer Juden“, von wo man in rasantem Wechsel zum „Kleid, das Conchita Wurst beim Song Contest angehabt hat“ und weiter zum „originalen Ortsschild von Fucking“ gelangt, bis schließlich die Geschichte Österreichs mit einem riesenhaften Wahlkampfplakat von Alexander Van der Bellen, auf dem „Heimat braucht Zusammenhalt“ steht, endet. Der seit Februar 2023 amtierende neue Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums war mehrere Jahre Kurator in eben diesem "Haus der Geschichte".
Aus meiner Sicht wäre es wesentlich vordringlicher, sich diversen Gedenkorten der NS-Zeit zu widmen, sofern sie nicht schon zerstört sind, wenn man in musealem Kontext die Gräuel der NS-Zeit vermitteln will. Am Aspangbahnhof, von wo die Deportationszüge abfuhren, hat man die originalen Spuren skandalöserweise längst dem maximierten Immobilienprofit geopfert und lediglich ein kleines Mini-Mahnmal mit unglücklich gestalteter, weil schwer deutbarer Kunst daneben gestellt. Das Wiener Shoah Denkmal wurde stattdessen seltsamerweise neben die Nationalbank gestellt. Ganz so, als ob in den Köpfen der Stadtpolitiker Wiens Juden und jüdische Geschichte primär mit Geld und Finanzwesen verknüpft sei - ein für die NS-Zeit typisches Stereotyp.
In Felixdorf an der Südbahn wiederum steht noch das ruinöse Gebäude, in dem mehr als 2.000 ungarische Juden auf grausamste Weise zu Tode kamen - etwa zehnmal so viele wie in Rechnitz. Anstelle einer Gedenkstätte ist ein Immobilienprojekt geplant, meine seit 2017 mehrfach wiederholte Bitte an die Bundesanstalt Mauthausen Memorial (zuvor noch Teil des Innenministeriums) und deren Leiterin, Frau DDr. Barbara Glück, doch einen Runden Tisch mit Bürgermeister, Grundeigentümer und der IKG einzuberufen, stieß bis heute auf taube Ohren. Sogar die IKG sagte mir offiziell und explizit, es reiche vollständig, wenn man auf die Neubauwohnungen irgendeine Tafel mit einer Beschriftung hänge. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass dann dort tatsächlich erzählt wird, wie all diese Menschen im eisigen Spätwinter 1945 an Flecktyphus, Hunger und Kälte genau an dem Ort verreckten (und teilweise im Boden verscharrt wurden), wo man für die Neubauten Wohnungskäufer sucht. Da wird dann bestenfalls "Nie wieder Faschismus" drauf stehen, und keiner weiß mehr, was an diesem Ort wirklich passiert ist. Es wird vertuscht, so wie fast immer in Österreich.
Die vielen Skandale der Gedenkregion Gusen - St. Georgen zwischen 1945 und 2015 überlasse ich einem späteren Text. Da könnte man ein ganzes Buch schreiben.
Museen zum Selber Denken?
Was ich nun mit all dem sagen will? Wenn wir das Grauen des Krieges, die Verbrechen der NS-Zeit, die Vorgänge in den Konzentrationslagern und den Konnex zu den auch heute noch bestehenden Rüstungsbetrieben aufzeigen wollen, dann gäbe es unzählige Orte im Land, wo genau diese Möglichkeit der Neuerrichtung und Gestaltung eines würdigen Gedenkortes besteht. Falls vorhanden, unter Einbeziehung von baulichen Resten (die es leider nur mehr selten gibt, weil man Spuren dieser Zeit in Österreich meist gründlich verschwinden ließ) und parallel dazu im Freien oder in einem Gebäude mit musealem Kontext. Aus politischen, immobilienwirtschaftlichen oder sonstigen (oft finanziellen!) Gründen werden solche Gedenkorte politisch oft blockiert.
Hingegen ist es extrem fragwürdig, wenn man eine große Gruppe von Museums-Designern auf die Ausstellungsobjekte in diesem Saal im Heeresgeschichtlichen Museum los lässt und nun versucht, in dessen begrenzter Quadratmeterfläche die riesige gesamte politische, militärische, ethische und moralische Thematik der Jahre 1918 bis 1945 völlig neu, gestylt, interaktiv, mit Entertainmentfaktor und vielleicht auch mit Kinderecke hinein zu stopfen. Das kann nicht gelingen, das ist zum Scheitern verurteilt.
Es stimmt schon, die jetzige Ausstellung setzt Wissen voraus. Sie ist an Menschen mit Bildung gerichtet, es wird nicht ständig dazu gesagt, was oder wer böse oder verbrecherisch ist, wer warum gut ist, welche Vergleiche mit heute wir wo ziehen sollen. Tatsächlich sind das Grauen des Krieges, die Furchtbarkeiten der Konzentrationslager zwar in der derzeitigen Ausstellung zu finden, stehen aber nicht im Vordergrund.
Blutverschmierte Uniform
Leserkommentare im erwähnten Standard-Artikel vom 26. April bringen die Diskrepanz auf den Punkt:
Leser 1: "Ein Heeresgeschichtliches Museum sollte auch die Kriegsgräuel zeigen."
Leser 2: "Ein heeresgeschichtliches Museum sollte historische Uniformen, Waffen und Kriegsgeraete zeigen. Dass damit schreckliche Dinge passiert sind, weiss jeder."
Leser 3: "Eine zerfetzte, blutverschmierte Uniform mit Knochensplittern und Hirn sollte dabei nicht fehlen."
Die Frage ist ja, was die Museumsmacher für ein Bild der Museumsbesucher haben: Sind es Wissende, die angesichts der derzeit teilweise eher sachlich schlicht präsentierten Objekte ihre eigenen Gedanken und Schlüsse ziehen, oder sind es Ahnungslose, die beim Denken angeführt werden müssen, die (um es provokant zu formulieren) einen vorgekauten Wissensbrei erhalten sollen? Und wie will man 27 extrem komplexe Jahre mit massiver Wissensvermittlung in diesen zwar großen, aber nicht unendlich großen Saal pressen? Kommen dann die bisherigen Ausstellungsstücke aus Platzgründen ins Depot, um den interaktiven "Info-Tools" für Kinder und Erwachsene, Bildschirmen und Großwandtafeln Platz zu machen? ("Diese Uniformen, und all diese Waffen, das gehört alles weg", sagte mir eine eher hochrangige Person kürzlich vor Ort.) Aber: Wenn die ausgestellten Objekte stark reduziert werden und im Depot verschwinden, dann könnte ich mir den Rest, Texte und Videos, doch gleich zuhause in Büchern und auf Youtube organisieren. Wozu gehe ich dann ins Museum?
Das Projekt wird scheitern. Jede Wette. Am Aspangbahnhof hätte man, bei gleichzeitigem Erhalt von Schienen und Bahnhofsteilen, ähnlich wie in Berlin ("Gleis 17" am Bahnhof Grunewald), genug Platz für eine große Shoah-Gedenkstätte, eventuell auch mit einem Museumsbau gehabt, der die NS-Zeit und ihre Verbrechen aufarbeitet. Dort waren die Immobilienpläne den Stadtpolitikern wichtiger als die Shoah. Im Bauwerk der Engelmühle in Felixdorf hätte man auch heute noch eine Chance.
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