Arbeitsmarkt
Ist die 60-Stunden- oder 4-Tage-Woche unsere Zukunft?

Mehr Leistungsbereitschaft oder Verständnis für den Wunsch nach mehr Freizeit - die BezirksRundSchau hat sich im Bezirk Braunau umgehört. | Foto: DOC-Photo/panthermedia
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  • Mehr Leistungsbereitschaft oder Verständnis für den Wunsch nach mehr Freizeit - die BezirksRundSchau hat sich im Bezirk Braunau umgehört.
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KTM-Vorstandsvorsitzender und Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich Stefan Pierer hat sich in verschiedenen Interviews ablehnend gegenüber einer 4-Tage-Woche geäußert. Die BezirksRundSchau Braunau hat sich im Bezirk umgehört, wer Pierers Devise „Leistung heißt Arbeit pro Zeit. Und nicht Homeoffice und Vier-Tage-Woche“ zustimmt, welche Forderungen Bewerber stellen und mit welchen Leistungen Unternehmen um Fachkräfte kämpfen.

BEZIRK BRAUNAU. Für Personalchefin Tamira Feichtenschlager ist für Unternehmen im 4-Schicht-Betrieb – wie bei Alu Menziken Euromotive in Ranshofen – eine 4-Tage Woche nicht umsetzbar. Sie sei aber „offen für neue, konstruktive und umsetzbare Ideen für die Industrie“. In Bewerbungsgesprächen ist eine verkürzte Arbeitswoche derzeit kein Thema. Sehr wohl aber die Möglichkeit, im Home-office zu arbeiten. Alu Menziken sucht laufend nach neuen Benefits für Mitarbeiter und bietet etwa Essenszulagen, Mitarbeiterboni, ein Jobrad und Home-office.

„Es sollte schon die Grundeinstellung sein, wenn man etwas erreichen möchte, sollte man auch etwas dafür tun – müssen. Der Markt war stetig im Wandel und er wird sich auch wieder drehen. Wer darauf jedoch warten will, wird es dann vielleicht schon übersehen haben.“
Tamira Feichtenschlager, Head Of Human Resources Alu Menziken Euromotive

Für die HR-Expertin sind Prognosen über die Entwicklung des Arbeitsmarktes aus verschiedenen Gründen schwierig. „Es gibt zahlreiche Aspekte, die so noch nie da gewesen sind. Die Herausforderungen werden uns aber – vor allem in der Integration von Arbeitskräften aus dem Ausland und Attraktivität der Unternehmen – begleiten. Eine einmal erreichte Arbeitsflexibilität wird beispielsweise nicht mehr aufgegeben werden wollen. Der Markt wird einen um ein Vielfaches höheren Automatisierungsgrad erreichen, der diesen dann auch wieder in Richtung Arbeitgebermarkt wandeln könnte. Das Thema der monetären Gleichberechtigung bleibt ein schwieriges. Mit einem höheren Grad an Flexibilität und Homeoffice-Optionen könnte aber auch hier Abhilfe geschafft werden und Frauen würden damit nicht gezwungen sein, sich entscheiden zu müssen. Dazu muss folglich aber auch die Regierung ihren Beitrag leisten und etwa die Kinderbetreuung modernisieren und ausbauen“, sagt Tamira Feichtenschlager.

„Wir werden ärmer“

Für Klaus Berer, Leiter der Wirtschaftskammer (WKO) Braunau, ist der heutige Wohlstand das Ergebnis von Leistung, von Innovationskraft, von beachtlichen Erfolgen auf dem heimischen und internationalen Märkten.

„Weniger Leistung, sei es in Form von weniger Wochenarbeitszeit, weniger Personal, weniger Bereitschaft zur Leistung, heißt mittelfristig auch weniger Wohlstand, verständlicher ausgedrückt: Wir werden ärmer. Deshalb sollte man alles tun, das Leistungsniveau und die Leistungsbereitschaft zu erhalten. Das kann auch in Form von steuer- und abgabentechnischen Anreizen geschehen. Das gilt auch für Pensionisten, die in der Pension weiter arbeiten wollen.“
Klaus Berer, Leiter der Wirtschaftskammer (WKO) Braunau

Für den Braunauer Wirtschaftskammer-Obmann Klemens Steidl muss sich die Gesellschaft ihren Wohlstand immer wieder aufs Neue verdienen. „Man muss sehen, dass Österreich wirtschaftlich keineswegs eine Insel der Seligen ist und sich permanent auf den Weltmärkten – auch eingebettet in die Europäische Gemeinschaft - bewähren muss. Viele ehemalige Entwicklungs- und Schwellenländer haben aufgeholt und setzen gerade zum Überholen an. Wir dürfen „das Feuer“, den Willen zum Erfolg nicht verlieren und nicht bequem werden. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verwerfungen werden sich wieder legen. Schauen wir, dass wir solidarisch, vernünftig und mit Augenmaß durch diese herausfordernde Situation kommen und uns eine gute Position für die Zeit danach sichern. Es geht um uns und die Rahmenbedingungen für unsere Kinder und die nächste Generation“, warnt Steidl vor Übermut.

Homeoffice - gekommen, um zu bleiben

Der Kautschukspezialist Kraiburg Austria beschäftigt am Standort in Geretsberg 330 Mitarbeiter. Personalleiterin Caroline Wengler steht das Unternehmen einer verkürzten Wochenarbeitszeit beziehungsweise einer 4-Tage-Woche offen und positiv gegenüber. „Zu beachten ist allerdings, dass es aus organisatorischen und technischen Gründen nicht immer für jeden Arbeitsplatz beziehungsweise Bereich möglich ist“, betont die HR-Managerin. Ein Gleitzeitmodell schafft Flexibilität bei Auftragsspitzen oder kurzfristigen Ausfälle in der Belegschaft. Wo es möglich ist, werden Arbeitszeit-Wünsche der Mitarbeiter umgesetzt. Im Gegensatz zu Vor-Corona-Zeiten sind in Bewerbungsgesprächen Home-office und 4-Tage-Woche immer wieder Thema.

„Es ist deutlich spürbar: „Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben.“
Caroline Wengler, Personalleitung Kraiburg Austria

Die Gründe dafür sind sehr individuell: „Manchen ist einfach Freizeit wichtiger als Geld, andere studieren nebenbei oder haben kleinere Kinder.“ Neben einer fixen Überzahlung des Kollektivvertrages und einer Gewinnbeteiligung gemäß Betriebsvereinbarung wird mit umfangreichen Sozialleistungen – wie etwa Bike-Leasing, Essenszulagen, gratis Obst und Säfte, Förderung von Gesundheitsmaßnahmen oder Mitarbeiterevents und -geschenke – um Fachkräfte geworben. Für Lehrlinge gibt es gesonderte Benefits, beispielsweise ein jährliches Zeugnisgeld, Förderung von Fahrtkosten oder das Angebot eines Auslandpraktikums.

Work-Life-Balance

Der Wunsch nach einer Reduktion der Arbeitszeit hat für Kraiburg Austria nichts mit Bequemlichkeit zu tun, sondern mit Anschauungen und Werten, die sich im Laufe der Zeit verändern. „Die „Work-life-balance“ muss einfach passen. Man arbeitet, um zu leben“ und nicht umgekehrt. Es ist keinesfalls verwerflich und negativ, ausreichend oder mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbies haben zu wollen. Materielle Werte sind nicht das Einzige, das man im Leben „schaffen“ kann. Wir wissen beziehungsweise begrüßen und fördern, dass viele Mitarbeiter in ihrer Freizeit ehrenamtlich, etwa bei der Feuerwehr oder in Sportvereinen, tätig sind. Sie leisten und „schaffen“ dort Großartiges für die Gesellschaft“, betont Erwin Hitzginger. Laut dem stellvertretenden Geschäftsführer ist eine Prognose über die Arbeitsmarktentwicklung schwierig, „dafür sind die Unsicherheiten und der Wandel derzeit einfach zu groß.“ Er vermutet mit der Pensionierungswelle der „Babyboomer-Generation“ eine Verschärfung der Arbeitskräfte-Knappheit.

„Neben der quantitativen Knappheit verstärkt sich die qualitative Differenz durch ständig ändernde und steigende Anforderungen versus vorhandene Qualifikationen.“
Erwin Hitzginger, stellvertretender Geschäftsführer Kraiburg Austria

Auch für WKO-Obmann Klemens Steidl ist die Herausforderung, dem Arbeitsmarkt sowohl quantitativ als auch qualitativ gewachsen zu sein. Also sowohl ausreichend als auch gut ausgebildete und engagierte Mitarbeiter zur Verfügung zu haben.

„Beide Seiten, Quantität und Qualität,  sind sehr fordernd und ich glaube, dass einerseits der Automatisierungsgrad wesentlich angestiegen sein wird – Stichwort Roboter, auch im Dienstleistungssektor - und andererseits es Bonus-Malus-Systeme für Aus- und Weiterbildung geben wird.“
WKO-Obmann Klemens Steidl

Laut Patrizia Faschang, Webdots-Geschäftsführerin und Bezirksvorsitzende von „Frau in der Wirtschaft“ (FidW) Braunau, ist die Frage der Leistungsbereitschaft ein „ganz entscheidender Punkt für die Zukunft“, sowohl in Bezug auf Mitarbeiterakquise als auch Wirtschaftlichkeit.

„Sinnvolles Arbeiten wieder attraktiver“

„Wenn alle Unternehmen dem Beispiel von Emagnetix, Tractive & Co von einer 30-Stunden-Woche bei gleichem Lohn folgen, werden die Kosten auf kurz oder lang an die Kunden weitergegeben werden müssen. Also ein nicht sehr sinnvoller Kreislauf. Andererseits sehe ich die Zukunft auch nicht in einer 60-Stunden-Woche“, so Faschang. Um sich für die Zukunft zu wappnen, müssen sowohl Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Regierung einen Beitrag leisten. Für die FidW-Bezirksvorsitzende ist eine 35-Stunden-Woche in zehn Jahren, bei dem netto so viel bleibt wie bei einer 40-Stunden-Woche aufgrund einer niedrigeren Steuerlast, realistisch. "Es werden sich aber auch die Jobs beziehungsweise deren Tätigkeitsfelder massiv verändern. Viele Jobs wird es nicht mehr geben, dafür werden neue Jobs geschaffen werden, die es jetzt noch gar nicht gibt“, prognostiziert Braunaus FidW-Vorsitzende. Und weiter:

„Das gezielte Nichts-Tun muss wieder unattraktiver werden. Oder umgekehrt: Das sinnvolle Arbeiten und gute Arbeit zu leisten, muss wieder attraktiver werden. Das Verhältnis stimmt nicht mehr.“

Für Patrizia Faschang braucht es koordinierte & gezielte Zuwanderung von qualifizierten Kräften, um dem akuten Fachkräftemangel entgegen zu wirken. „In zehn Jahren gibt es hoffentlich zumindest eine Idee zur Überarbeitung der Schulbildung, damit auch landesintern die Ausbildung und Qualifizierung an die modernen Ansprüche und die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden kann“, so eine weitere Forderung. 

Ist das Eigenheim noch zeitgemäß?

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Einerseits durch die Umstellung von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt. Andererseits durch das Aufeinandertreffen der Generationen, der in Teilen einem „clash of cultures“ gleicht. „Die Generation Z fordert ja nicht Unmögliches. Sie wehrt sich gegen Hungerlöhne für den Ersteinstieg, will ernst genommen werden und fordert mehr Mitspracherecht. Das heißt auch, einen anderen Führungsstil – mehr Team-Entscheidungen, weniger Allein-Entscheidungen“, stellt Patrizia Faschang fest.

„Ich sehe in einer reduzierten Arbeitszeit keine Bequemlichkeit, sondern einfach einen Generationenwechsel, der das fordert, was gut für jeden Einzelnen ist. Krankheitsbilder wie Burnout, chronischer Erschöpfungszustand und Co sollten wieder von der Statistik der häufigsten Krankheiten verschwinden“, fordert Faschang.

Die steigenden Lebenserhaltungskosten, Energiekosten und Baukosten bezeichnet sie als „zum einem gewissen Teil einfach die Gier Einzelner. Das sich im Jahr 2022 der Strompreis noch immer nach der teuersten Anlage im Netz richtet, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Faschang stellt auch in Frage, ob das Schaffen eines Eigenheims noch zeitgemäß sei oder "uns das nicht auch in Punkto Nachhaltigkeit, Klimawandel und Erderwärmung in eine suboptimale Position bringt.“

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