"Ich würde es genau wieder so machen"
BEZIRK (lagl). Statt Bundesheer oder Zivildienst absolviert Georg Stöllinger aus Pischelsdorf am Engelbach noch bis Ende Juli einen zwölfmonatigen Gedenkdienst in den USA. Warum sich der 22-Jährige entschieden hat, die Wehrpflicht am Los Angeles Museum of the Holocaust (LAMOTH) mit einem Zivilersatzdienst abzuleisten und welche Persönlichkeiten er während seines Auslandsjahres in Kalifornien kennengelernt hat, erzählt er kurz vor seiner Rückkehr nach Österreich der BezirksRundschau Braunau.
„Ich bin immer für neue Herausforderungen zu haben. Deshalb ist mir schnell klar gewesen, dass der Gedenkdienst der perfekte Zivildienstersatz für mich ist“, erzählt der Braunauer. Eher zufällig war der Schüler der HTL Braunau auf der Suche nach Alternativen zum Bundesheer und zum Zivildienst auf die Webseite des Österreichischen Auslandsdienstes gestoßen. Der Verein bietet seit 1992 Zivilersatzdienste im Ausland in den Bereichen Gedenk-, Sozial- und Friedensdienst an. Bei einem gemeinsamen Urlaub mit den Eltern in Kalifornien ist die Wahl auf das Los Angeles Museum of the Holocaust (LAMOTH) als Gedenkdienst-Einsatzstelle gefallen. 1961 von Holocaust-Überlebenden gegründet, ist die Institution das älteste Museum in den Vereinigten Staaten, welches sich der Aufarbeitung des Völkermordes an rund sechs Millionen Menschen während des Zweiten Weltkriegs widmet.
Besondere Beziehung zu Überlebenden
Die Aufgaben des Gedenkdieners reichen von Archivarbeiten und Übersetzungen von alten Briefen und Postkarten bis hin zur Betreuung der Museumstechnik. Nach einer museumsinternen Ausbildung führt Stöllinger auch Besucher durch die Ausstellungen. Sein Lieblingsjob ist jedoch eine anderer: „Die Betreuung von Holocaust-Überlebenden hat mir gezeigt, dass außer geschichtlichen Fakten so viel mehr hinter diesem unfassbaren Massenmord steckt. Jedes Schicksal ist anders und berichtet von einem unglaublichen Überlebenskampf“. Stöllinger begleitet Zeitzeugen zu Vorträgen in kalifornische Schulen. So auch die 78-jährige Eva Brettler Als ihr persönlicher Betreuer hat er eine intensive Beziehung zu ihr und vielen weiteren Holocaust-Überlebenden aufbauen können.
Als Kind überlebt
Brettler, 1936 in Rumänien geboren, hat als Kind die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen überlebt. Nach dem Krieg wanderte sie über Wien nach Kalifornien aus, wo sie als Sozialarbeiterin ein zweites Leben begann und eine Familie gründete. Heute erzählt sie jungen Menschen von ihren Erlebnissen. „Ich hätte ohne die Hilfe von völlig Fremden nicht überlebt. Das versuche ich in meinem Leben weiterzugeben“, sagt Brettler. Rund 1,2 Millionen Kinder haben den Holocaust anders als Brettler nicht überlebt. Das LAMOTH erinnert an sie mit einer riesigen Steinwand in welche 1,2 Millionen Löcher gebohrt wurden. Jedes Loch symbolisiert ein Opfer. "Wir führen jedes Jahr 10.000 Kinder durch das Museum“, sagt der engagierte Auslandsdiener. Das Museum verlangt bewusst keinen Eintritt, damit sich jeder über den Holocaust zu informieren kann.
„Wir sind sehr dankbar, dass Georg bei uns ist. Seine Anwesenheit, Motivation und Arbeit haben unverwischbare Spuren in unserem Museum hinterlassen“, sagt Vladimir Melamed, Direktor des Archivs. Am Ende seiner Dienstzeit zieht der junge Pischelsdorfer eine positive Bilanz: „Ich habe sehr stark vom Gedenkdienst profitiert und bin an unzähligen Herausforderungen und Erfahrungen gewachsen. Es war eine der besten Entscheidungen, die ich bisher getroffen habe und die mich auch in meinem weiteren Leben beeinflussen wird. Ich würde es genau wieder so machen“, sagt Stöllinger, der ab Herbst in München Wirtschaftsingenieurwesen studieren wird.
Zur Sache:
Seit 1992 ist es möglich, überall auf der Welt Gedenkdienst, Sozialdienst oder Friedensdienst zu leisten. Die größte Organisation ist der „Österreichische Auslandsdienst“, der 1998 von Dr. Andreas Maislinger gegründet wurde. Diese Non-Profit-Organisation ermöglicht präsenzdienstpflichtigen Österreichern durch die Ableistung eines Ersatzdienstes im Ausland wertvolle Erfahrung in einer fremden Kultur zu sammeln. Die jungen Österreicher arbeiten während ihres zwölfmonatigen Dienstes unter anderem in Museen und Archiven, betreuen Kinder und Jugendliche, pflegen alte Menschen oder widmen sich Umwelt- sowie Friedensprojekten. Zahlreiche Einsatzstellen auf allen fünf Kontinenten stehen zur Auswahl. Wichtige Voraussetzungen sind das Engagement im Verein und die inhaltliche Vorbereitung, zum Beispiel das Beherrschen der jeweiligen Landessprache, sowie die intensive Auseinandersetzung mit der sozialen und historischen Thematik.
Infos zum Auslandsdienst: www.auslandsdienst.at
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