ÖVP-Chef Christian Sagartz
„Politiker sind keine Moralapostel“
Interview mit Burgenlands ÖVP-Chef zu den bundespolitischen Ereignissen.
Was haben Sie sich gedacht, als Sie zum ersten Mal aus den Medien von den Chatprotokollen aus dem Ermittlungsbericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erfahren haben?
CHRISTIAN SAGARTZ:
Die Emotionen reichten von verwirrt und enttäuscht bis hin zu verärgert, warum das alles öffentlich einsichtbar ist.
Ich bin jedenfalls sehr sehr froh, dass sich Sebastian Kurz entschuldigt hat und dass der Ethikrat festgehalten hat, dass solche Chats unangemessen sind.
Wie haben es die Parteikollegen im Burgenland aufgefasst?
Das Telefon hat geglüht. Ich war in ständigem Austausch mit vielen Funktionären und Sympathisanten. Natürlich gab es viel Enttäuschung über so manche Aussagen, aber vor allem auch die Verärgerung, dass manche Chats an die Öffentlichkeit gelangen und andere Dinge aus Ermittlungsakten nicht an die Öffentlichkeit kommen.
Was meinen Sie damit konkret?
Es ist ja auch das Handy von Landeshauptmann Doskozil sichergestellt und Daten ausgelesen worden. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Die Unschuldsvermutung sollte für alle gelten. Die Inhalte von Ermittlungsakten sollten nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Gab es Druck von den ÖVP-Landeschefs – etwa auch von Ihnen – dass Sebastian Kurz sein Amt als Bundeskanzler zurücklegen soll?
Dass die Landesparteiobleute bei dieser Entscheidung eingebunden sind, ist kein Geheimnis. Und der Druck der Öffentlichkeit war sehr groß. Sebastian Kurz hat die einzig richtige Entscheidung getroffen – nämlich hier Platz zu machen. Damit konnte die Regierung gerettet werden, und niemand wollte Neuwahlen.
Es wird von ÖVP-Seite immer auf die strafrechtliche Dimension hingewiesen. Aber was sagen Sie zum Umgang und dem Stil miteinander, der hier gepflegt wurde?
Politiker sind keine Moralapostel. Ich habe genug Diskriminierungen persönlich erlebt, dass ich das so behaupten darf. Der Umgangston ist in der Öffentlichkeit immer ein anderer, als wenn ich mich im privaten Umfeld bewege. Und eines kann ich versichern: Auch im Burgenland ist der Umgangston mitunter rau, deshalb glaube ich: Die moralische Messlatte sollte niemand zu hoch legen, wenn es um private Aussagen geht.
Wenn ich das in der Zeitung zu lesen bekommen, hat das natürlich eine enorme Sprengkraft.
Die Chats über Kurz-Vorgänger Mitterlehner sind aber schon sehr extrem.(Thomas Schmid, der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, und Sebastian Kurz verwendeten die Bezeichnung „Arsch“, Anm. d. Red.)
Es hat auch eine Entschuldigung und die klare Aussage gegeben, dass Sebastian Kurz diese Wortwahl bereut.
Ich hoffe nur, dass dies für alle anderen auch gilt. Und ich möchte nicht wissen, wie in anderen Parteien über die jeweiligen Bundesvorsitzenden oder Landeschefs gesprochen wird.
Aber ist das nicht ein Armutszeugnis, wenn man voraussetzt, dass eigentlich dieser Umgangston bei allen Politikern gleich ist?
Ich glaube nicht, dass man Politiker überhöht darstellen soll. Wir alle sind nur Menschen. Wir ärgern uns, wir sagen etwas aus einer Emotion heraus. Das ist aber nicht der tägliche Umgangston. Das ist ja nicht das, was wir im alltäglichen Miteinander erleben.
Generell ist der Umgangston im Burgenland rauer geworden, aber die Gesprächsbasis unter den Fraktionen ist in Ordnung.
Wie würden Sie reagieren, wenn innerhalb der ÖVP Burgenland so miteinander kommuniziert wird?
Ich habe oft genug erlebt, dass meine Vorgänger und auch ich, die Notwendigkeit gehabt haben, Dinge klar zu stellen oder Kollegen persönlich zur Rede zu stellen. Aber das ist die Ausnahme und nicht der Alltag. Und ich habe auch genügend Entschuldigungen erlebt.
Glauben Sie, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode halten wird?
Die Koalition wird so lange halten, wie sie sich am Regierungsprogramm orientiert und dieses abarbeitet. Wenn man das nicht an Taten messen kann, dann wird es ein jähes Ende nehmen. Ich bin aber überzeugt, dass das beiden Partnern bewusst ist.
Wie lange soll Schallenberg Bundeskanzler bleiben?
Ich bin davon überzeugt, dass Alexander Schallenberg ein eigenes Profil entwickeln wird, weil die Justiz die Anschuldigungen gegenüber Sebastian Kurz nicht in wenigen Wochen klären wird können. Und so lange das dauert, wird Alexander Schallenberg als Bundeskanzler einen eigenen Weg gehen – vor allem als Europapolitiker erwarte ich mir einen klaren Akzent auf dieser Ebene.
Falls es zu Neuwahlen kommt, soll die ÖVP wieder mit Kurz als Spitzenkandidat antreten?
Sebastian Kurz wurde vor wenigen Wochen mit 99 Prozent der Stimmen zum Bundesparteiobmann gewählt, er hat jetzt 100 Prozent als Klubobmann erhalten. Und wenn Neuwahlen anstehen, wird es seine Aufgabe sein, den Weg vorzugeben.
Das heißt, er wird dann als Spitzenkandidat antreten…
…oder er wird vorzeigen, wer Spitzenkandidat sein wird. Das ist seine Verantwortung als Parteiobmann, solche Dinge zu klären.
Die ÖVP Burgenland hat bei NR-Wahlen und EU-Wahlen stark von Kurz profitiert. Befürchten Sie nicht, dass die bundespolitischen Vorkommnisse auch der ÖVP Burgenland schaden werden?
Natürlich hat das auf die Stimmung abgefärbt. Und natürlich wird das die Ausgangslage künftiger Wahlen verändern. Aber Tatsache ist, dass jene Landesorganisationen der ÖVP, die nicht den Landeshauptmann stellen, sich immer schon mehr an der Bundespartei orientiert haben. Es stimmt, wir haben profitiert. Tatsache ist auch, dass die ÖVP Burgenland nicht beim ersten Gegenwind die Fahnen wechseln wird.
Die Fahnen nicht – und die Farbe auch nicht – von türkis zurück zu schwarz?
Ich bin seit 1999 Mitglied der ÖVP und ich bin deshalb dabei, weil die Grundsätze und Werte für mich passen. Und das hängt sicher nicht von einer Farbe ab.
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