Zeitgeschichte
Cinematograph und Leokino - Bewegte Bilder, bewegte Zeiten

Faszination Kino am Beispiel des Cinematographen und dem Leokino. | Foto: Günter Richard Wett
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INNSBRUCK. Entstanden aus dem studentischen Milieu in den 1970er Jahren sind die beiden Innsbrucker Programmkinos Leokino und Cinematograph heute nicht mehr aus dem kulturellen Angebot der Landeshauptstadt wegzudenken. Unter dem Titel "Bewegte Bilder, bewegte Zeiten" wird auf die Geschichte der revolutionären Kino-Idee geblickt.

Kinoerlebnis

Entstanden im studentischen Umfeld Anfang der 1970er Jahre waren in Innsbruck der Cinematografische Salon (im damaligen Olympiakino) und der Cinematograph am Innrain eine neue, revolutionäre Idee, die das Kino nicht als kommerziellen Unterhaltungsbetrieb sondern als Plattform einer gesellschaftskritischen, zeitgenössischen Kunstform verstand. Das alternative Filmzentrum und sein eigens gegründetes Otto Preminger Institut als Träger und Vermittler wollten die Lust am anspruchsvollen Kinoerlebnis fördern.

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Alternative Filmszene

Kulturwissenschafterin Verna Teissl beleuchtet in ihrem kompakten Abriss Entwicklungsgeschichte und Programm dieser alternativen Filmszene, die im konservativen Tirol auch von Film Zensurfällen begleitet wurden, wie etwa dem aufsehenerregenden Fall zum „Liebeskonzil“ (Werner Schroeter, D 1982), der sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte endete. Sie begleitet die Einrichtung durch die Phase ihrer Konsolidierung in den 80er Jahren, bei der Übernahme und dem Umbau des Leokinos und der Etablierung großer und wichtiger Eigenveranstaltungen wie dem Internationalen Filmfestival (IFFI) oder dem feministischen Zyklus kinovi(sie)on bis hin zur Auszeichnung des Leokinos 2021 mit einem der neuen Österreichischen Kinopreise.

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Kulturorte

Der vierte Band in der Reihe „Kulturorte“, herausgeben von Joachim Tschütscher, widmet sich dem Cinematograph und Leokino. Damit wird ein weiterer Stein in das Mosaik der Entstehungsgeschichte alternativer Kultureinrichtungen in Innsbruck gesetzt, dem sich dieses Buchprojekt verschrieben hat. In ihrem Text widmet sich Verena Teissl dem Konzept von Programmkinos und verknüpft die Entwicklungsgeschichte von Cinematograph und Leokino mit Gesellschafts- und Vereinsdynamiken, mit der Beharrlichkeit von Individuen, dem Generationswechsel und der Bedeutsamkeit vom Filmerlebnis im Kino. Christian Mariacher ist, inspiriert von Filmschriften und Kino-Framing, eine außergewöhnliche optische Gestaltung des Bandes gelungen und Architekturfotograf Günter Wett fängt in seiner Fotoreportage Blicke vor und hinter den Kulissen ein.

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Auszeichnung

Im Herbst 2021 wurde das Leokino mit dem Förderpreis des Kulturministeriums ausgezeichnet, da es „in einer Zeit, in der Innovation vor allem technologisch begriffen wird, mit seinem Gewicht auf Filmbildung das kulturelle Wissen lebendig“ halte, so die Jurybegründung. „Bewegte Bilder, bewegte Zeiten“ entführt in ein Stück alternative Kinogeschichte in Tirol, beispielhaft für die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Kulturszenen in westlichen Ländern.

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Leseprobe

1975 wurde der Cinematograph am Innrain gebaut und eröffnet, Zingl arbeitete bis zu dessen Schließung 1980 in den Schulferien und an den Wochenenden wieder mit. 1978 kam es im Cinematograph am Innrain zu einem weiteren für die 1970er-Jahre in Tirol aussagekräftigen Vorfall: Drei Wochen lang wurde in nicht öffentlichen Vorführungen, also zugänglich nur für OPI-Mitglieder, der Film „Oshima, im Reich der Sinne“ (Nagisa Ōshima, Japan 1976) gezeigt. Der Film hatte bei seiner Weltpremiere beim Filmfestival in Cannes bereits hohe Wellen geschlagen, bei seiner Aufführung im Rahmen der einflussreichsten Alternativprogramm-Schiene der Berlinale „Internationales Forum des Jungen Films“ (1971) wurde die Filmkopie von der Staatsanwaltschaft als „harte Pornographie“ beschlagnahmt, ein „in der Geschichte von Filmfestspielen nahezu einmaliger Vorgang“. (Ulrich Gregor, o. J.) „Im Reich der Sinne“ kam schließlich aber doch in den Verleih, auch in Österreich. Am Innrain traten anlässlich der Vorführungen zahlreiche Tiroler:innen dem OPI als Mitglieder bei, darunter auch bekannte Größen des nationalen Skisports, deren Präsenz womöglich mithalf, die Beschlagnahmung zu verhindern, so die Erzählung. Im Dezember 1978 erschien in der Unipress der Artikel „Japanische Mentalität in Tirol unerwünscht“, wo es mit Bezug auf den österreichweiten Kinostart unter anderem hieß: „Da aber in Österreich die Länder das Lichtspielgesetz erlassen, sieht die Situation in Innsbruck etwas anders aus als in den übrigen Landeshauptstädten. Laut §25, Abs. 5 des Tiroler Lichtspielgesetzes hat die Landesregierung die Vorführung von Kulturorte, die geeignet sind, das sittliche, religiöse, oder vaterländische Empfinden gröblich zu verletzen, einzustellen. Gemeint sind natürlich öffentliche Filmveranstaltungen. Unsere Landesväter achten also darauf, daß wir zumindest hier in Tirol keine Filme, die die öffentliche Moral verletzen könnten, zu sehen bekommen."

Cinematograph und Leokino: die Kino-Geschichte aus Innsbruck | Foto: Günter Richard Wett
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Zur Autorin:
Verena Teissl ist seit 2010 Professorin für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der FH Kufstein Tirol. In den 1990er Jahren hat sie das Internationale Film Festival Innsbruck mit aufgebaut und war 2002 – 2009 Mitarbeiterin der Viennale.

Das Buch
Bewegte Bilder, bewegte Zeiten
Cinematograph und Leokino. Geschichte einer cineastischen Einrichtung
(Kulturorte 4, hrsg. v. Joachim Tschütscher)
96 Seiten, 41 farb. und 2 sw. Abb., 14 x 21 cm; Broschur mit Prägung und ausfaltbarem Schutzumschlag; Tyrolia-Verlag, Innsbruck Wien 2022; ISBN 978-3-7022-4029-5; € 18,–

Bisher erschienen:
Band1: Die Weyrer – Ein zweites Leben für die Fabrik (Nicola Weber)
Band 2: Das Utopia – Die Geschichte eines Traums (Joachim Tschütscher)
Band 3: Zwei Bühnen, acht Mal Kultur – Vom Theater am Landhausplatz bis zum Brux und vom Kellertheater bis zum Fotoforum West (Susanne Gurschler)

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