Die Jagd in der Steinzeit – Eine Reportage zur gleichnamigen Sonderausstellung im "Ötzidorf"

Prof. Walter Leitner (re.) demonstrierte Leonhard Falkner (li.) bei der Eröffnung der Sonderausstellung „Die Jagd in der Steinzeit“ die Handhabung der Speerschleuder. | Foto: Ötzidorf/Ploder
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  • Prof. Walter Leitner (re.) demonstrierte Leonhard Falkner (li.) bei der Eröffnung der Sonderausstellung „Die Jagd in der Steinzeit“ die Handhabung der Speerschleuder.
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Es ist herrlich, an diesem Frühlingstag ins Ötztal zu fahren: Die Sonne scheint, die Natur hüllt sich in saftiges Grün. Umhausen trennen von Oetz noch ca. neun Kilometer, das sind ungefähr 10 Minuten Fahrzeit. Vor einem tuckert ein schwer beladener Traktor die Landstraße entlang. Anstatt eilig zu überholen, bleibt dem konzentrierten Autofahrer etwas Zeit, die Gegend auf sich wirken zu lassen, ehe das Ziel „Ötzidorf“ erreicht ist. Gehört hat man schon viel davon, besucht hat man es vielleicht noch nicht, obwohl es heuer sein 15-jähriges Bestehen feiert.

Das Relikt „Ötzi“
Anfangs beäugten viele die Idee skeptisch, in Umhausen das „Ötzidorf“ zu bauen. Im Rahmen der Dorferneuerung 1998 schlug eine Arbeitsgruppe rund um Bürgermeister LA Jakob Wolf und den Touristiker Leonhard Falkner vor, eine Einrichtung zu den Themen „Steinzeit“ und „Ötzi“ zu errichten. „Man hat Ötzi zwar wissenschaftlich untersucht, aber damals gab es noch keine konkreten Vorschläge, auch in Tirol den Fund touristisch zu vermarkten“, erklärt Leonhard Falkner, Geschäftsführer des „Ötzidorfes“. Zur Erinnerung: Erika und Helmut Simon aus Nürnberg entdeckten am 19. September 1991 am Tinsenjoch in den Ötztaler Alpen eine Gletschermumie aus der späten Jungsteinzeit (ca. 3300 v. Chr.). Seit März 1998 ist die Gletschermumie – liebevoll auch „Ötzi“ genannt – im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen ausgestellt. Obwohl die Jagd das Leben der Steinzeitmenschen ohnehin dominiert hat, rückt man heuer das Jagen im Rahmen der Sonderausstellung „Die Jagd in der Steinzeit“ noch weiter in den Vordergrund. „Man hat bei Ötzi immerhin Jagdutensilien gefunden, also lag es für uns auf der Hand, die Sonderausstellung diesem Thema zu widmen“, erklärt Leonhard Falkner. Dem Thema selbst sei es geschuldet, dass diese Sonderausstellung gemeinsam mit dem Tiroler Jägerverband realisiert wurde. Außerdem erhofft sich Falkner, dass Jäger die Sonderausstellung besuchen. „Es sind die Jagdtechniken der Steinzeit, die vor allem das Interesse bei den Besuchern wecken sollen“, ergänzt Falkner.

Was sich zugetragen hat
Der archäologische Freilichtpark zeigt exemplarisch, wie Ötzi gelebt haben könnte. Die vermeintliche Idylle, gerade bei schönem Wetter, weckt die Sehnsucht nach mehr Naturverbundenheit. Allerdings ähnelte das Leben in der Steinzeit wohl kaum der zeitgenössischen Lagerfeuerromantik. Und dennoch beeindruckt diese einfache, naturverbundene und wilde Lebensweise unserer Vorfahren.
Falkner und die Mitbegründer ahnten im Jahr 2000 noch nichts von dem Erfolg, den das „Ötzidorf“ im Lauf der Zeit verbuchen würde. Seit 15 Jahren öffnet das „Ötzidorf“ seine Pforten jeweils am 1. Mai, schließt am 26. Oktober und zählt seither in diesen 180 Tagen immerhin 50.000 Besucher. Das Areal wurde und wird stetig erweitert, eigene Schulprogramme sowie Kurse werden entwickelt, Veranstaltungen durchgeführt, Kooperationspartner wie die „Überlebensschule“ ergänzen das Angebot des „Ötzidorfes“. „Die Besucher erlernen bei uns unter anderem, wie die Menschen in der Steinzeit Pfeil und Bogen hergestellt bzw. eingesetzt haben“, erklärt Falkner.

(Über-)Leben in der Steinzeit
Univ. Prof. Walter Leitner vom Institut für Archäologie an der Universität Innsbruck unterstützt das „Ötzidorf“ seit der Gründung mit seiner wissenschaftlichen Expertise. Die Steinzeit sei für den Wissenschaftler deshalb so faszinierend, weil es in dieser Epoche noch sehr viel zu entdecken gäbe. „Lange Zeit glaubte man, mit der Entdeckung des Neandertalers eine wissenschaftliche Lücke in der Evolution zu schließen. Aber das war erst der Anfang. Wir stoßen allerdings laufend auf archäologische Befunde, die wiederum neue Fragen aufwerfen“, erklärt Prof. Leitner. Die Entwicklung der Hominiden hin zum Homo sapiens sei keine lineare, gleiche – bildhaft ausgedrückt – eher einem Stammbusch als einem Stammbaum. Um zu überleben, mussten die Menschen in der Steinzeit jagen, auch wenn sie ihre Kost mit dem Sammeln von Beeren, Blättern, Körnern und diversen Früchten erweitert haben. Dass die Menschen gejagt haben, belegen archäologische Befunde wie z.B. Holzspeere, Bögen und Pfeilspitzen, aber auch gravierte und gemalte Bilder von erlegten Tieren an Höhlenwänden.

Techniken der Jagd
Es erscheint einem beim Besuch des Ötzidorfes fast unwirklich, dass die Steinzeitmenschen mit vermeintlich primitiven Mitteln in der Lage waren, ihre Existenz zu sichern.
Die Sonderausstellung zeigt allerlei Wurf- und Schleuderwaffen, Speere sowie verschiedene Arten von Pfeilen. Auf einem Plakat steht geschrieben: „Zugespitzte, lange Wurfhölzer dienten dem Homo erectus als effiziente Fernwaffe.“ Der Blick wandert weiter in Richtung Pfeil und Bogen, der Text darunter erklärt: „Zu den bahnbrechenden Neuerungen in der Entwicklung der Jagdtechniken zählt die Erfindung von Pfeil und Bogen.“ Dass es schier unmöglich war, Großwild mit bloßen Händen zu fangen oder zu erlegen, erkannten die Steinzeitmenschen vermutlich sehr bald. Vorsichtig musste sich der Steinzeitmensch an das äsende Wild anpirschen oder ein Rudel Wildtiere in die Enge treiben, ehe es zur Strecke gebracht werden konnte. Tränkstellen waren beliebte Orte, an denen die Jäger damals dem Wild aufgelauert haben.
Die Steinzeitmenschen behalfen sich mit allerlei Tricks, um bei der Jagd wertvolle Energie zu sparen. Die ersten und wichtigsten Fernwaffen sind entstanden: Wurflanzen, Speerschleudern sowie Pfeil und Bogen. „Zahlreiche Funde belegen, dass diese Waffen ständig weiterentwickelt wurden. Die Jäger machten sich Gedanken darüber, wie schwer und lang etwa ein Wurfspeer sein musste, wo sein Schwerpunkt liegen sollte, um bei der Jagd eine höhere Treffsicherheit zu erzielen“, erklärt Prof. Leitner. Mit einem herkömmlichen Speer ist es den Steinzeitmenschen gelungen, ein Ziel in etwa 20 bis 30 Metern Entfernung zu treffen, mit der Speerschleuder schon bis in 40 Metern. „Eine Treffsicherheit auf 50 Meter erreichten die Steinzeitmenschen schließlich mit Pfeil und Bogen, abhängig natürlich auch davon, wie groß das Ziel war“, erklärt Prof. Leitner.
Die Jagd damals und heute
Die weidgerechte Jagd ist – wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet – eine junge Entwicklung. Die Jagd, so wie wir sie heute kennen, lässt sich mit der Jagd in der Steinzeit nicht wirklich vergleichen. Dort, wo der Mensch heute regulierend eingreift, sicherten sich die Steinzeitmenschen damals ihr Überleben. In Tirol gibt es keine gesunde, jagdbare Wildart, die den Jäger angreifen würde. Anders verhielt es sich dagegen in der Steinzeit, wo der Jäger nicht selten selbst zum Gejagten wurde, getreu dem Motto: „Der Schnellere frisst den Langsameren.“ Im Vordergrund stand – bei Mensch und Tier – das Bedürfnis nach Nahrung. „Natürlich ist es denkbar, dass die Menschen in der Steinzeit z.B. Jungtiere geschont haben, allerdings bleibt das nur eine Vermutung. Wahrscheinlicher ist wohl, dass man erlegte, was einem unterkam“, so Prof. Leitner.

Notwendigkeit der Jagd
Das erlegte Tier wurde meist an Ort und Stelle aufgebrochen, Fleischteile und Felle, aber auch Knochen, Sehnen, Horn und Geweih verwertet. So gesehen war es ergiebiger Großwild zu jagen, weil großflächige Fellstücke zur Herstellung von Kleidungsteilen besser geeignet waren.
Kaum vorstellbar für uns, die wir hierzulande im Überfluss leben, in dem die Lebensgrundlagen eher ent- als verwertet werden. Der Magen beginnt zu knurren, die Reise zurück in die Steinzeit macht hungrig. Der Gastgarten am Eingang vom Ötzidorf lädt zur Rast ein. Vielleicht gönnt man sich nachher einen kleinen Snack, ein Eis oder ein kühles Getränk? Was hätte wohl Ötzi getan? Die Qual der Wahl wäre ihm auf jeden Fall erspart geblieben. Er hätte in seine Tasche gegriffen und hätte sich womöglich gefreut, wenn seine Hand irgendetwas Essbares zu greifen bekommen hätte, vielleicht ein wenig getrocknetes Fleisch oder ein paar Beeren oder Fruchtkerne.

Vom Jagd- zum Hirtentum

Die Steinzeitmenschen haben auch Jagd auf Wild in höheren Lagen gemacht. Besonders beliebt waren Gams- und Steinwild. Oberhalb der Waldgrenze bot sich den Steinzeitmenschen ein idealer Ort, um erfolgreich Beute zu machen. In Ötzis Magen fanden die Wissenschaftler unter anderem Reste von Steinbock- und Fasern von Hirschfleisch, auch wenn zu Ötzis Zeit die Jagd nicht mehr den existentiellen Stellenwert einnahm, wie sie es noch wenige tausend Jahre zuvor getan hatte. Die Menschen haben begonnen, Nutz- und Haustiere zu züchten; darunter Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine und Pferde. Einige dieser Tierarten werden im Ötzidorf gehalten, wie Przewalski-Pferde, Auerochsen, Wollhaarschweine, Blobe Ziegen, Soayschafe und Urforellen. „In den Metallzeiten ist die Jagd immer mehr in den Hintergrund getreten“, erklärt Prof. Leitner, „Schließlich hatte man den Braten ja vor der Haustüre.“

Die Steinzeit "heutzutage"
Die Überlebensstrategien, Gebräuche und Sitten der Steinzeit, die wir in Form eines Ausflugs ins „Ötzidorf“ kennenlernen, werden von manchen Naturvölkern heutzutage noch gelebt. Sie sind ein beliebtes Ziel für Wissenschaftler und Fernsehteams aus aller Welt, um zu erfahren, wie und vor allem warum sie heutzutage noch so leben wie in der Steinzeit. Sinngemäß lautet meist die Antwort: „Warum sollten wir uns von anderen abhängig machen, wenn uns der Busch alles gibt, was wir zum Überleben brauchen?“
Wahrscheinlich wären die meisten von uns ohnehin mit der – vergleichsweise harten – Lebensweise der Steinzeitmenschen überfordert. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, das Leben der Menschen zu jener Zeit kennenzulernen und sich für einen Augenblick dem Gedankenspiel hinzugeben: „Was wäre, wenn...“

Hier gelangen Sie zur Website des Ötzidorfes und zur aktuellen Ausgabe "Jagd in Tirol".

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