Frei im Theater: Boris Godunow
Einblick in üble Machtgespinste

Wird zuletzt von den eigenen inneren Dämonen eingeholt: In einem Büßergewand übergibt Boris Godunow (Ivo Stanchev) noch die Herrschaft an seinen Sohn Feodor (re, Irina Maltseva) und bricht dann tot zusammen.    | Foto: Birgut Gufler
4Bilder
  • Wird zuletzt von den eigenen inneren Dämonen eingeholt: In einem Büßergewand übergibt Boris Godunow (Ivo Stanchev) noch die Herrschaft an seinen Sohn Feodor (re, Irina Maltseva) und bricht dann tot zusammen.
  • Foto: Birgut Gufler
  • hochgeladen von Christine Frei

„Die Zeit der Wirren geht weiter“ - steht zuletzt in großen Lettern auf jenem monströsen Bühnenquader, der sich in den zweieinhalb Stunden immer wieder dreht und wendet und Regisseur und Bühnenbildner Thaddeus Strassberger zugleich als (Video-)Projektionsfläche für jene vielen Facetten dient, an die Mussorgskys Oper „Boris Godunow“ geschichtlich rührt. Am Tiroler Landestheater ist aktuell die 1869 entstandene Urfassung zu erleben, die ursprünglich deshalb abgelehnt wurde, weil darin keine tragende Frauenpartie vorgesehen war, was retrospektiv betrachtet eine grundrichtige künstlerische Entscheidung Mussorgskys war. Denn in diesem Macht- und Fake News-Gespinst spielten Frauen ja wirklich keine Rolle.

Kompromissloser Fokus
Auf Basis von Puschkins szenischer Vorlage fokussiert sich Mussorgsky ganz auf die ernannten und selbsternannten Zaren-Nachfolger und insbesondere auf jene so genannte Stimme des Volkes, die durch gezielte Halb- und Desinformation seit jeher einen enormen Druck auszuüben vermag, welchem Godunow seelisch letztlich auch nicht standhalten wird. Dieser kompromisslose Fokus ist tatsächlich das unerhört Moderne dieser Oper, ebenso natürlich die Musik, die nicht nur die inneren Regungen und Beweggründe der Protagonisten, sondern auch die zwischenmenschliche Dynamik sowohl in Face-to-Face-Begegnungen wie  in Gruppen- und Massenszenen ungemein präzise nachzeichnet.

Gottesnarr als Damokles-Schwert
Eine der eindrucksvollsten Szenen ist zweifelsohne der Auftritt von Publikumsliebling Dale Albright als über den Köpfen schwebender Gottesnarr: In unverkennbarer Joker-Adjustierung wird er zu Godunows leibhaftigem Damokles-Schwert. Oliver von Dohnányi führt als musikalischer Leiter souverän durch die atmosphärisch wie szenisch komplexe Partitur. Ivo Stanchev begeistert als äußerlich vermeintlich kraftvoller und machtbewusster Herrscher, der mehr und mehr von seinen inneren Zweifeln und Skrupeln überwältigt und schließlich daran zugrunde gehen wird. Ein bewegender Opernabend, nicht zuletzt auch durch die unverkennbaren Bezüge zu gegenwärtigen Autokraten und deren Narrativen.

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.