Frei im (Neujahrs-)Konzert: TSOI und InnStrumenti
Zwischen Glamour und Lässigkeit

Führten gemeinsam durch das Neujahrskonzert 2024 des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck: Neo-TLT-Intendantin Irene Girkinger und Dirigent Gerrit Prießnitz. | Foto: Chó/wefeel.art
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  • Führten gemeinsam durch das Neujahrskonzert 2024 des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck: Neo-TLT-Intendantin Irene Girkinger und Dirigent Gerrit Prießnitz.
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Das neue Jahr wird hierzulande mittlerweile sogar von zwei Tiroler Neujahrskonzerten eingeläutet: von jenem des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck und jenem des Tiroler Kammerorchesters InnStrumenti. Beide setzten heuer auf Broadway-Glamour, doch bei InnStrumenti pflegt man seit jeher auch unbeschwert-vergnügten Crossover.

Kein Neujahrstag ohne den zwischen Überschwänglichkeit und Melancholie mäandernden Donauwalzer und schon gar nicht ohne die klatschende Selbstvergewisserung beim Radetzkymarsch. Und das gleich in doppelter Ausführung. Mittags bestaunte man den konzentrierten Minimalismus Thielemanns im Stresemann und wunderte sich in der Pause über die zwei von einem Bruckner-Standort zum nächsten dauer-joggenden Sängerknaben aus dem Stift St. Florian.

Paradoxe kanonische Intervention
Ab 17 Uhr rief Neo-Intendantin Irene Girkinger mit dem TSOI zu „Glamour, Glanz und Gloria!“ Letzteres erklärte wohl auch Bürgermeister Willis paradoxe kanonische Intervention gleich zu Beginn. Denn ehe man sich an George Gershwins swingender Cuban Overture erfreuen durfte, fand man sich in einer Chorprobe, um den vier-stimmigen Kanon Viel Glück und viel Segen einzustudieren. Der vor allem die so genannte hohe Geistlichkeit in der ersten Reihe entzückt haben dürfte, denn in den hinteren Rängen übte man sich eher in verhaltener Lippensychronisation.

Der LH ließ sich sodann mit ein paar von Intendantin Girkinger verlesenen Neujahrswünschen entschuldigen, man hatte ihn ja ohnehin erst ein paar Stunden davor neben Kollege Kompatscher andächtig lauschend beim erstgenannten Konzert in der Kanzlerloge sitzen sehen. Dann endlich – Halleluja – hatten Glanz und Glamour das Sagen.

Gespräche mit dem Dirigenten
Girkinger teilte sich die Moderation für ihr erstes Neujahrskonzert in dieser Funktion sinnigerweise mit drei maßgeblichen Akteur:innen in zwei laufenden TLT-Produktionen: Dirigent Gerrit Prießnitz, der bekanntlich kurzfristig die musikalische Leitung in Puccinis „La Bohème“ übernommen hatte, erwies sich im Gespräch mit der Intendantin dabei als versierter und locker-flockig parlierender Musikvermittler.

Ihre beiden anderen Gesprächspartner:innen Maya Hakvoort und Erwin Belakowitsch begeistern aktuell in Andrew Lloyd Webbers „Sunset Boulevard“ – sie als ebenso hartnäckig wie manipulativ jedwede Realität verweigernde Stummfilmdiva Norma Desmond, er als grandios buckelnder Diener und in Wahrheit alle Fäden ziehender Ex-Ehemann. Beide sorgten auch im Konzert als großartige Interpret:innen und charmant plaudernde Entertainer:innen für den titelgebenden Glamour.

Broadway- und Hollywood Feeling
Insbesondere im ersten Teil, der mit Gershwin (The Man I love), dem famosen Songwriting-Team Rodgers & Hammerstein (Some Enchanted Evening), Leonard Bernstein (Somewhere, Candide) und John Barry (Diamonds are Forever) zunächst über den großen Teich an den Broadway bzw. nach Hollywood entführte. Nach der Pause ging es dann postwendend zurück nach Wien.

So verführerisch es auch anmutete, mit Strauss, Stolz und Benatzky in Walzer- und Operettenseligkeit zu schwelgen, gerade in den Lebensläufen der beiden Letzteren offenbarte sich doch auch der Schrecken des letzten Jahrhunderts, dessen Wundmale aktuell aller Orten wieder aufklaffen.

Lichtblicke in finsteren Zeiten
Da war es nur folgerichtig, dass das Neujahrskonzert nach Hakvoorts großartiger Hommage auf Barbara Streisand mit A Piece of Sky aus dem Musical „Yentl“ zuletzt mit Irving Berlins famosem There´s no Business like Show Business und dem überaus amüsanten Song-Duell Anything You Can Do I Can Do Better schloss. Denn schon Berlins Eltern waren aufgrund antisemitischer Progrome in den 1880er Jahren nach Amerika ausgewandert.

So schwang in der fein perlenden Musik, zu der sich all diese Komponisten in ungemein schwierigen Zeiten aufzuschwingen vermochten, schon auch die Hoffnung, dass es selbst in den dunkelsten Phasen der Geschichte immer Lichtblicke und Menschen gibt, die dem Ungeist mutig trotzen. Insofern war also auch das Neujahrskonzert 2024 des TSOI ganz dem von der neuen Intendanz ausgegebenen Motto „Welt-Schmerz-Mittel“ verpflichtet.

Vergnügter Crossover bei InnStrumenti
Besagtem „Welt Schmerz“ rückt man übrigens auch in den InnStrumenti-Neujahrskonzerten, die traditionell immer rund um den Dreikönigstag stattfinden, seit Jahren schon konsequent auf den Leib. Denn bei aller gebotenen Ernsthaftigkeit in der Programmierung wie in der musikalischen Darbietung erlaubt sich das Tiroler Kammerorchester mit seinem engagierten Leiter Gerhard Sammer immer auch eine gewisse verspielte Lässigkeit. Kultiviert man dort seit Jahren schon einen unbeschwert-vergnügten Crossover, bei dem man abseits von den klassisch-traditionellen Neujahrskonzert-Musts stets auch den Jahresregent:innen der verschiedensten Genres huldigt.

Wofür etwa jedes Jahr aufs Neue ein herrlich amüsantes Jahresregentenrätsel vorbereitet wird, an dem sich das Publikum mittels Multiple-Choice-Quiz beteiligen kann. Allein schon das Ausfüllen sorgt stets und verlässlich für vergnügtes Gekicher, wenn beispielsweise – so wie heuer – ein gewisser Anton Mattle als Urheber einer Alpensinfonie angeführt wird, wobei natürlich jener andere Anton aus dem leidlich kreativen Pausenfilm des Wiener-Philharmoniker-Neujahrskonzertes anzukreuzen war.

Von Smetana bis Mancini
Doch auch abseits des traditionellen Jahresregenten-Medleys war das musikalische Programm des diesjährigen Konzertes einmal mehr vollgepackt mit Komponisten, deren Geburts- und Todesjahre 100 oder 200 Jahre zurückliegen, wie etwa bei Bedrich Smetana (Die Moldau), Gabriel Fauré (Sicilienne), Karl Millöcker (In Saus und Braus) oder Henry Mancini mit seinen unvergesslichen Film-Musiken wie etwa der Titelmelodie von Pink Panther, Moon River aus „Frühstück bei Tiffany“ oder dem nicht minder kultigen Peter Gunn Theme.

Zudem ließ man in einer weiteren Zugabe ‚stilecht‘ mit Helm und Perücke - denn kein InnStrumenti-Neujahrskonzert ohne Kostüm- und Perückenwechsel - „Wickie und die starken Männer“ auferstehen. Denn auch diese Kult-Zeichentrickserie, mit der nicht nur die späten Babyboomer, sondern alle nachfolgenden Generationen groß geworden sind, wurde vor exakt fünfzig Jahren das erste Mal im deutschen Sprachraum ausgestrahlt.

Auftakt mit einer Komponistin
Lobenswerterweise stellte InnStrumenti mit Maria Theresia von Paradis erstmals sogar eine Komponistin und mehr als außergewöhnliche Frau an den Beginn des traditionellen Jahresregent:innen-Reigens. Denn von Paradis, die 1824 65-jährig in Wien verstarb, war zu ihren Lebzeiten eine Europa weit bekannte Pianistin, Sängerin, Musikpädagogin und Komponistin – und das obwohl sie schon als Kleinkind erblindet war. In der ausgewählten Ouvertüre zu Der Schulkandidat erwies sie sich zudem unverkennbar als Kind der Wiener Klassik, was wenig verwundert, da sie auf ihren Konzerttourneen auch stets Werke von Haydn und Mozart interpretierte.

Doch auch bei InnStrumenti war in diesem Jahr Glanz und Glamour und Showtime angesagt: Dafür sorgten einmal mehr Amy Pedevillas „Dance Experience“ sowie die beiden Akrobatinnen Lucia Huber und Timea Vida. Und nicht zuletzt Flo’s Jazz Casino-Frontman Jack Marsina, der in hinreißender Crooner-Manier Evergreens wie Agustín Laras Granada, Jimmy Van Heusens Come Fly With Me, Richard Rodgers‘ The Lady Is A Tramp und Jacques Revauxs My Way darbot und damit für begeisterten Jubel sorgte.

Humorvoll pointierte Moderation
Mit seiner ebenso geistreichen wie humorvoll pointierten Moderation spannte zudem Thomas Lackner als Konzert-Conferencier einen überaus kurzweiligen Bogen von der EURO 2024 hin zu so manchem politischen Lowlight (Stichwort: Kanzlermenü), gab dazwischen noch Bonmots sowie die Errungenschaften weiterer Jubilare zum Besten. Und entließ uns zuletzt mit einem weisen Rat Erich Kästners, der wenig davon hielt, das neue Jahr mit Programmen zu überfrachten, sondern stattdessen meiste: „Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!“ Womit er wohl allen aus der Seele sprach, die ihre frisch gefassten Neujahrsvorsätze bereits wieder über Bord geworfen hatten.

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