Tag der Pflege
Kärntens Pflegeanwältin Bettina Irrasch im Interview

33 Vollzeit-Pfleger sind in einem 75-Betten-Heim vorgeschrieben. Doch dieser Schlüssel reicht laut Pflegeanwältin Bettina Irrasch nicht aus, solange nicht unter anderem das hauswirtschaftliche Personal aufgestockt wird. | Foto:  stock.adobe.com/ David L/peopleimages.com, Heike Fuchs
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  • 33 Vollzeit-Pfleger sind in einem 75-Betten-Heim vorgeschrieben. Doch dieser Schlüssel reicht laut Pflegeanwältin Bettina Irrasch nicht aus, solange nicht unter anderem das hauswirtschaftliche Personal aufgestockt wird.
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"Sehr gute bis optimale Pflege ist mit den aktuellen Ressourcen nicht möglich", sagt Kärntens Pflegeanwältin Bettina Irrasch. Bis zu 150 Beschwerdefälle landen jährlich auf ihrem Tisch.

MeinBezirk.at: Wie geht es der Pflege in Kärnten aktuell?
Bettina Irrasch:
Auf einer Skala von null bis zehn, wobei zehn „sehr gut“ ist, würde ich die Pflege in Kärnten aktuell bei drei einordnen.

Wieso?
Einer der häufigsten Gründe für Beschwerden sind vermeintliche Pflegequalitätsmangel, die sich jedoch in sehr vielen Fällen durch kommunikative Missverständnisse erklären lassen. Wobei dies natürlich auch eine nicht optimale Qualität darstellt. Ungeklärte Stürze, Wunden oder Gewichtsabnahmen des Pflegebedürftigen. Wir haben bis zu 150 Beschwerdefälle pro Jahr. Dazu muss man eines wissen: Pflege ist mehr als beim Waschen helfen, Blut abzunehmen, Medikamente zu verteilen oder Wunden zu versorgen. Eine pflegerische Grundbeziehung ist die Basis dafür, dass Pflegepersonal seine Arbeit gut machen kann. Es fehlt aber häufig Zeit, diese Beziehung und dieses notwendige Vertrauen zwischen Pfleger, Bewohner und Angehörigen aufzubauen – und so kann es zu Missverständnissen kommen.

Wie können diese Missverständnisse aussehen?
Ein gutes Beispiel ist der Fall in Wien, der kürzlich durch die Medien kursiert ist. Ein Demenzkranker wurde am Boden schlafend von seinen Angehörigen gefunden. Dabei handelt es sich aber um keinen Skandal, sondern um eine pflegerische Tätigkeit. Es ist eine prophylaktische Maßnahme, um Stürze aus dem Bett zu vermeiden und gleichzeitig den Pflegebedürftigen nicht in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken.

Über die Jahre hinweg wurde der Mindest-Pflegepersonalstand erhöht. Reicht das nicht?
Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Heime nicht immer voller werden, sondern bereits voll sind. Seit 2009 wurde wurde das Mindest-Pflegepersonal von 30 auf circa 33 vollzeitäquivalente Pflegepersonen in einem 75-Betten-Haus erhöht. Die beruflichen Qualifikationen sind vorgegeben und beziehen sich auf die definierten Pflege- und Betreuungsberufe. Die Normalarbeitszeit wurde auf 37 Wochenstunden gekürzt. Das System hat sich gravierend verändert, die pflegerischen Bedürfnisse sind komplexer geworden – Pflegeheime nehmen in der Regel Patienten ab der Pflegestufe 4 auf; die Pflegebedürftigkeit ist also mittel bis hoch, nicht mehr leicht und niedrig.

Was fordern Sie zur Entlastung der Pfleger?
Die Pflegeanwaltschaft setzt sich für die Aufstockung des hauswirtschaftlichen Personals ein. Für diese Gruppe gibt es keinen gesetzlich vorgeschriebenen Schlüssel und hier wird daher gerne gespart. Wieso soll ein Pfleger die Wäsche wegräumen, die Tische abdecken und ähnliches erledigen? Diese Zeit geht ihm für seine eigentliche Arbeit ab. Auch multidisziplinäre Teams mit Sozialarbeitern, Sozialpädagogen und Psychologen müssten die Türen in den Heimen geöffnet werden, um die Pfleger zu entlasten.

Bettina Irrasch ist seit 2019 Pflegeanwältin in Kärnten. Sie ist selbst diplomierte Pflegerin und hat jahrelange Erfahrung in der Branche. | Foto: Heike Fuchs
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Welche weiteren Maßnahmen würden die Pflege zukunftsfit machen?
Neben der Aufstockung des hauswirtschaftlichen Personals in Heimen, wäre es in der aktuellen Phase enorm wichtig, die häusliche Pflege zu stärken, attraktiver und (finanziell) bewältigbarer zu machen. Das müsste einhergehen mit dem Ausbau des bundesweiten Pflegekarenzangebots und des diesbezüglichen Karenzgeldes, der Schaffung von Krisen- und Notfallbetten und einer Erweiterung der Kurzzeitpflegeangebote. Die pflegenden Angehörigen müssen einen Plan B im Falle einer Erkrankung oder eines Unfalls haben, aber genauso die Möglichkeit erhalten, rasch und unbürokratisch den Pflegebedürftigen geplant für einige Wochen unterzubringen, um selbst einmal einen wohlverdienten Urlaub machen zu können. Der rasche Ausbau von Seniorentagesstätten, sowie eine flexible Gestaltung deren Öffnungszeiten und Hol- und Bringdienste wären genauso wichtig.

Doch auch die Heimbetreiber klagen über eine angespannte finanzielle Lage. Macht sich diese Situation auch in Ihrer Arbeit bemerkbar?
In den Gesprächen mit den Bewohnern erfahren wir immer wieder von Sorgen, dass sie sich den Pflegeplatz bald nicht mehr leisten können. Es fällt auch auf, dass einige Heimbetreiber beginnen, die Kosten für Zusatzleistungen - wie etwa der Zuschlagszahlung für Einzelzimmer - zu erhöhen. Ich spreche mich vehement dagegen aus, die gestiegenen Kosten auf diese Art an die Heimbewohner weiterzugeben.

Pflege ist – ähnlich wie der Tod – ein Tabuthema. Wie kann man dieses Tabu brechen?
Pflege muss präventiv gedacht werden. Ich bin ein großer Befürworter des gemeindenahen Beratungswesens durch Pflegekoordination und Community Nurses, sie sind wertvoll als Netzwerkpartner für die Pflegeanwaltschaft. Das frühzeitige Reden über mögliche Pflegesituationen ermöglicht es Personen zu sensibilisieren und sich darüber reale aber notwendige Gedanken zu machen. Mein großer Wunsch ist es auch, den Hospizgrundgedanken in der stationären und mobilen Pflege vermehrt zu integrieren, und zwar anhand des strukturierten Kommunikationsprozesses „Vorsorgedialog“, an dem Klient, Angehörige, Pfleger und Arzt teilnehmen und mit dem man Wünsche und Bedürfnisse der betroffenen Personen auch in der letzten Lebensphase gut erfassen und somit berücksichtigen kann.

33 Vollzeit-Pfleger sind in einem 75-Betten-Heim vorgeschrieben. Doch dieser Schlüssel reicht laut Pflegeanwältin Bettina Irrasch nicht aus, solange nicht unter anderem das hauswirtschaftliche Personal aufgestockt wird. | Foto:  stock.adobe.com/ David L/peopleimages.com, Heike Fuchs
Bettina Irrasch ist seit 2019 Pflegeanwältin in Kärnten. Sie ist selbst diplomierte Pflegerin und hat jahrelange Erfahrung in der Branche. | Foto: Heike Fuchs

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