Mit Kränkungen umgehen...

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ST. JOHANN. „Jeder kränkt und wird gekränkt“ – das ist eine Conclusio von Reinhard Haller in seinem neuen Buch „Die Macht der Kränkung“. Die Präsentation erlebte ich in St. Johann auf Einladung der Tyrolia mit. Haller, 64, aus Mellau in Vorarlberg, hat sich als Gerichtspsychiater in spektakulären Kriminalfällen (u. a. Briefbomber Franz Fuchs, Jack Unterweger, Josef Fritzl) einen Namen gemacht. In seinem eindringlichen, aber auch humorvollen Vortrag bringt er einen selbst ins Grübeln. Wie und wann wurde ich selbst gekränkt? Wie ging/geht es mir dabei? Habe ich als Resultat einer Kränkung auch schon kriminelle Engergien oder Rachegelüste enwickelt...?

„Der Briefbomber F. Fuchs war extrem gekränkt, und er war ein Genie; das Genie verwandelte sich durch Kränkung in einen Täter, Mörder.“ Auch die Tat des German-Wings-Piloten war ein „Fanal eines Gekränkten, der seine Wut auf die Welt auf die Passagiere, denen es „besser geht“, ablud. Auch Amokläufe haben zumeist ihre Ursache in einer Kränkung. „Die Kränkung entfaltet hohe Macht, sie wird tabuisiert und verdrängt. Anders als bei einem Wutausbruch entfaltet sie über die Zeit noch mehr Wirkung und Kraft“, so Haller.

„Wenn man in einem wunden Punkt getroffen wird, frisst man das oft in sich hinein; es wühlt in einem, zumeist unbewusst – und das kann nachhaltige, zerstörerische Effekte nach sich ziehen.“ Und es trifft jeden, auch einen selbst. „Jeder Mensch hat eine große Kränkung im Leben!“

Kriege nach Kränkungen

Selbst Kriege gehen auf schwere Kränkungen zurück. Der 2. Weltkrieg war Ausfluss der Demütigung der Verlierermächte nach dem 1. Weltkrieg. Das Volk war tief getroffen. „Dies konnte Hitler, selbst ein schwer gekränkter Mensch, instrumentalisieren. Er wusste, wie er das gedemütigte Volk ansprechen musste, ebenso wie Goebbels, ebenfalls ein Gekränkter“, analysiert Haller.
Weitere „Krankheitsbilder“: die Verbitterung als „unheilbare Krankheit“, der Liebesentzug bzw. die Liebeszurückweisung, der Narzissmus (Narzisten sind sehr kränkbar, anders als die Charismatiker), Süchte aller Art (Kränkung betäuben mit Drogen), Ich-Kränkung...

Auch das Ur-Verbrechen, der Brudermord Kains an Abel, wurde durch Eifersucht und Kränkung ausgelöst, erklärt der Psychologe. Man sieht das Paradies plötzlich aus anderer Sichtweise...

Wie kann man aber persönlich mit Kränkungen umgehen, um negative Auswüchse hintan zu halten, fragt man sich beim Vortrag unwillkürlich. Haller hat Antworten. „Kränkungen bieten auch Chancen. Sie dienen der Selbstkenntnis, bieten Möglichkeiten der Menschenkenntnis. Man muss Kränkungen beachten, sich dafür sensibilisieren. Dann achtet man auch selbst auf eigene Kränkungen und kann Kränkungen gegenüber anderen verhindern. Diese Erkenntnis fördert die Empathie. Die Empathie (Mitfühlen, Einstehen für andere...) ist das einzige, das das humane Leben retten kann, sagt auch Stephen Hawking“, so Haller.

Was tun? Kränkungen zur Sprache bringen, selbst die Lufthoheit über Kränkungen haben, eingestehen, dass kränkung auch etwas Wahres ist, in die Rolle des Kränkers schlüpfen und verstehen, den Humor nicht vergessen, denn Lachen ist eine Katharsis, die vieles Negative abfließen lassen kann...
„Aber die Kränkung ist letztlich nicht ausrottbar, denn der Mensch ist ein kränkendes und kränkbares Wesen; wir müssen unser Gegenüber mehr loben, denn Lob ist das Gegenteil von Kränkung. Damit sind wir aber leider viel geiziger als mit Kränkungen.“
Ich versuche, die Ratschläge Hallers zu verinnerlichen, künftig weniger Mitmenschen zu kränken und mit Lob großherziger umzugehen...

Fotos: Kogler, Tyrolia

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