Ein Jahr Gernot Blümel: Mit harter Linie aus der ÖVP-Krise
Landesparteiobmann Gernot Blümel ist seit genau einem Jahr im Amt. Mit einer neuen Struktur und teils unpopulären Forderungen will er wieder mehr Wähler anlocken. Trotz interner Kritik. Eine Analyse.
WIEN. 18,85 Prozent. 13,99 Prozent. 9,24 Prozent. Die ÖVP Wien hat sich über die vergangenen drei Wahlen hinweg halbiert. Der Abwärtstrend war zwar schon von 2005 bis 2010 ersichtlich gewesen, ein großes politisches Umdenken gab es in den Jahren danach trotzdem nicht.
Dass die Schwarzen bei der Wien-Wahl 2015 unter die Zehn-Prozent-Marke gefallen sind, dürfte aber endgültig zu einem Aufwachen geführt haben. Darum wurde im vergangenen Jahr unter dem neuen Obmann Gernot Blümel umstrukturiert. Oder, wie er es bei der Pressekonferenz anlässlich seines ein-jährigen Jubiläums ausdrückt: „Es ist uns gelungen, die ÖVP Wien wieder zum Leben zu erwecken und ihr wieder Selbstbewusstsein zu geben“.
Aber was heißt das? Es gibt ein neues Präsidium, es gibt mehr Frauen in Führungspositionen, es wird offensiver kommuniziert. Man will auffallen und nicht in Vergessenheit geraten. Man will was zu sagen haben. Das scheint zu funktionieren. Zumindest unter Journalisten ist die Bezeichnung des „täglichen Blümels“ für seine – eben täglichen – Presseaussendungen ein geflügeltes Wort.
Andere Punkte wie dass die ÖVP an einen „neuen Standort wegen der Kosteneffizienz“ zieht, ist ein Euphemismus dafür, dass man sparen muss und der alte Standort schlichtweg zu teuer ist. Aber immerhin hat man das erkannt.
Zurück zur Wirtschaftskompetenz
Auch inhaltlich versucht man die Linie nachzuschärfen. Und ist dabei wieder dort angekommen, wo man der ÖVP die Kompetenz bisher immer abgekauft hat: bei Wirtschaftsthemen. Bei der Abschaffung der Vergnügungssteuer hat man sich bereits durchgesetzt. Auf der To-Do-Liste: die Sonntagsöffnung in Tourismuszonen und eine Durchlüftung des Steuersystems. Etwa will man die Luftsteuer abschaffen, die man für Schilder, die im öffentlichen Luftraum angebracht sind, bezahlen muss.
Das Problem bei all diesen Dingen: Damit holt man hauptsächlich Unternehmer aus innerstädtischen Bezirken ab. Und damit lässt auch die Kritik der Außenbezirke nicht lange auf sich warten. Zu zentralistisch sei der neue Weg, heißt es da. Zu viel Wien, zu wenig Grätzel. Zu wenig würde auf die Bedürfnisse der (Flächen-) Bezirke gehört.
Auch in der Kritik: die harte Linie. Auf die „undifferenzierte Willkommenskultur von Rot-Grün“ hinzuhauen, kauft man schließlich mehr der FPÖ ab. Vielleicht wurde dieses Thema bei der Pressekonferenz auch deswegen nur in einem Halbsatz angeschnitten. Das kann allerdings nicht über die wachsende Nähe zu Blau hinwegtäuschen. Gemeinsame Pressekonferenzen, gemeinsame Themen und auch – wie man hört – stärkere private Seilschaften als zuvor über die schwarz-blauen Parteigrenzen hinweg.
Und da gibt es auch den sozialen Bereich: Das derzeitige Lieblingsziel der ÖVP Wien ist die Mindestsicherung. Eine Deckelung und weniger Sozialanreize sollen die „Ungerechtigkeit gegenüber den Leistungswilligen“ wieder herstellen. Wer sich von der ÖVP eine sozialere Linie wünscht, wird damit nicht abgeholt. Ob man damit noch die christlich-soziale Werte vertritt, ist fraglich. Und bei immerhin mehr als zwölf Prozent Mindestsicherungs-Beziehern in Wien vergrämt man viele Menschen. Nämlich die Bezieher selbst und diejenigen, die sich fragen, ob man unbedingt bei den Armen sparen muss.
Trotzdem. Man muss mit der Linie der ÖVP Wien – wie mit allen anderen Parteilinien – nicht übereinstimmen. Aber nach Jahren der Orientierungslosigkeit hat sie endlich wieder eine. Und natürlich bleiben viele Fragen offen – der neue Weg wird schließlich erst seit einem Jahr bestritten. Und Blümel ist Poltiker, kein Zauberer. Ob man zu sehr auf Wirtschaft und zu wenig auf echte Menschen setzt? Ob man zu sehr zentral und zu wenig bezirkig ist? Ob man zu sehr rechter Hardliner und zu wenig christlich-sozial ist? All das wird man sehen. Aber wann soll man sich etwas trauen, wenn nicht in einer Zeit, in der man mit unter zehn Prozent eigentlich nichts mehr zu verlieren hat?
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