Industrieviertel
Statistik gießt Öl ins Bodenfraß-Feuer
Bodenverbrauch und Flächenfraß ist in aller Munde. Doch es herrscht Aufklärungsbedarf. Denn die Statistik ist mit Vorsicht zu genießen.
INDUSTRIEVIERTEL. Wenn eine Ackerfläche für den Wohnungsbau verschwinden soll, kommt es zum Aufschrei. Erst recht bei Großprojekten wie zum Beispiel bei der "Gartenstadt" auf den Äckern zwischen Neunkirchen und Natschbach. Die planenden Architekten bekräftigen, dass das Thema Bodenversiegelung "zu Recht" intensiv diskutiert werde. Gerade beim Projekt Gartenstadt meinen sie aber: "Die Verkehrsflächen sind auf das absolute Minimum reduziert, jedem Haus und jeder Wohnung im Erdgeschoss ist ein gärtnerisch gestalteter Grünraum zugeordnet."
"Das Verhältnis der tatsächlich mit Gebäuden und Wegen verbauten Flächen zu den Grünräumen kann sich sehen lassen, gleichzeitig ist der gesamte Flächenverbrauch wesentlich kleiner, als das bei derselben Anzahl von Einfamilienhäusern der Fall wäre."
Der sanfte Umgang mit den unbebauten Flächen macht es letztlich aus. "Unsere nächsten Projekte beschäftigen sich mit der Neunutzung von nicht mehr in Verwendung stehenden Liegenschaften", so einer der Architekten.
Seltsames Zahlenspiel
Öl ins Feuer dieser Diskussionen gießt eine Statistik. Aus dieser geht hervor, dass ein 1.000 Quadratmeter großes Grundstück, auf dem ein Haus mit zum Beispiel 130 Quadratmetern Grundfläche steht, mit 1.000 Quadratmetern als verbaute Fläche zählt. Ein Zahlenspiel, das also nicht den tatsächlichen Verlust an Boden widerspiegelt. Laut Gemeindebund kommt diese fehlerbehaftete Analyse von der Statistik Austria.
Rechenerleichterung
"Das gehört geändert. Bauland ist nicht automatisch zu 100 Prozent versiegelt."
Der Ternitzer Stadtchef und Präsident des Verband sozialdemokratischer GemeindevertreterInnen in NÖ, Rupert Dworak weiß, dass Bedarf an Baugründen herrscht: "Südlich von Wien wird viel gebaut, weil Wien zu ist. Daher verlagert sich die Bautätigkeit in Richtung Baden, Wr. Neustadt." Wie es zu dem Statistik-Fehler kam kann sich Dworak nur so erklären: "Dass es zu mühsam ist, die unverbauten Flächen aus den Bauakten herauszurechnen, daher wurde wohl gleich eine jedes Grundstück mit Haus als 100 Prozent versiegelt angenommen."
Die Situation im Industrieviertel
Auch im Industrieviertel nimmt die Diskussion um Bodenversiegelung kräftig Fahrt auf. Der Bürgermeister der Gemeinde Altenmarkt an der Triesting, Josef Balber, selbst auch Landwirt, sieht ein Problem in den immer größer werdenden Ballungsräumen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Neben Wohnhausanlagen oder neuen Stadt- und Ortsteilen fordert der Ausbau der Infrastruktur einen hohen Tribut.
„Ich finde den Ausbau der öffentlichen Verkehrswege gut und sinnvoll, aber es muss uns bewusst sein, dass durch den Ausbau der Süd- und Westachse viel wertvoller Boden versiegelt wird.“, so Balber im Gespräch.
Dazu kommt in den Bezirken, die an den Biosphärenpark Wienerwald grenzen die Tatsache, dass man hier nicht unbegrenzt Boden zu Verfügung hat. Da der Wienerwald ein Naturschutzgebiet ist, darf er nicht bebaut werden.
Bemessungsgrundlage ändern
Entlang der Verkehrsachsen wird nicht nur wertvoller Boden versiegelt, sondern auch der Grund immer teurer. „Früher waren die Arbeitsplätze entlang der Industriestandorte. Heute müssen die Menschen pendeln und brauchen die Verkehrsachsen, um in die Arbeit zu kommen. Natürlich brauchen sie dann auch Wohnraum in der Nähe“, erklärt der Ortschef. Ein weiteres Problem sieht Balber in der Bemessungsgrundlage der Grundstücke. Ein Grundstück von 600 m2 gilt, auch wenn nur ein Teil der Fläche verbaut wird, als zur Gänze versiegelt. „Hier bin ich für eine Anpassung der bisherigen gesetzlichen Richtlinien, denn selbst wenn man einen Fußballplatz baut, gelte „dieser als komplett versiegelt, obwohl es eine Rasenfläche gibt, die bewässert werden kann.“
Verdichtung der Bauweise als mögliche Lösung
Als Bürgermeister überlegt Josef Balber bereits jetzt Alternativen. „Mir ist natürlich bewusst, dass hauptsächlich die Landwirte die Grundstücke verkaufen, aber ich glaube es sollte hier ein Umdenken einsetzen. Wir haben in den Gemeinden genug Bauland zur Verfügung. Hier sollte man beginnen brachliegendes Bauland zu nutzen und die Verdichtung nach innen Richtung Ortszentrum fördern.“ Die Gefahr, dass der immer knapper werdende Boden Möglichkeiten für Spekulanten liefert, sieht er nicht. „Es ist ein Irrglaube, dass ein Bürgermeister viel Gestaltungsspielraum hat. Wir können die Bestimmungen der Bau- und Raumordnung nicht umgehen und es wird nach der Einreichung jedes Ansuchen geprüft“, meint Josef Balber. Daher sei es nicht sinnvoll, so der Ortschef abschließend, dass die Raumordnung aus dem Kompetenzbereich der Gemeinde verschwindet.
Gut zu wissen
Als "versiegelt" gilt eine Fläche, wenn der Boden durch Abdeckung mit einer wasserundurchlässigen Schicht, wichtige Funktionen verliert, beispielsweise die Fähigkeit Wasser zu speichern und zu verdunsten (Kühleffekt) oder Schadstoffe zu filtern, zu binden oder abzubauen. Es handelt sich dabei also in der Regel um überbaute, zubetonierte oder asphaltierte Fläche.
Für die einzelnen Benutzungsarten wurden vom Umweltbundesamt folgende Versiegelungsgrade festgelegt:
- Gebäudeflächen ... 100%
- Gebäudenebenflächen ... 75%
- Gärten ... 0%
- Straßenverkehrsanlagen ... 60%
- Verkehrsnebenflächen ... 15%
- Parkplätze ... 80%
- Schienenverkehrsanlagen ... 50%
- Betriebsflächen ... 60%
- Friedhöfe ... 35%
- Abbauflächen, Halden und Deponien ... 10%
- Freizeitflächen ... 20% asphaltierte Fläche
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