Corona & Psyche
"Dankbarkeit wirkt gesundheitsfördernd"

Silvia Breitwieser (Leiterin TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142), Primarin Katharina Glück (Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Klinikum Wels-Grieskirchen) und Barbara Lanzerstorfer-Holzner (TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142), v. l. 

 | Foto: Diözese Linz/Appenzeller
  • Silvia Breitwieser (Leiterin TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142), Primarin Katharina Glück (Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Klinikum Wels-Grieskirchen) und Barbara Lanzerstorfer-Holzner (TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142), v. l.

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  • hochgeladen von Marlene Mülleder

Seit fast einem Jahr bestimmt Corona den Alltag. Ein Ende der Pandemie scheint in weite Ferne gerückt. Der Ausnahmezustand ist zum Normalzustand geworden. Silvia Breitwieser und Barbara Lanzerstorfer-Holzner von der "TelefonSeelsorge – Notruf 142" sowie Primarin Katharina Glück vom Klinikum Wels-Grieskirchen blicken auf das vergangene Corona-Jahr zurück.

OÖ. Die meisten Menschen fühlen sich ausgelaugt und müde. Selbst jene, die gut durch die vergangenen Lockdowns gekommen sind, geht allmählich die Kraft aus. Die Expertinnen geben Ratschläge, was es braucht, um die derzeitige Situation aushalten zu können und möglichst gut durch die nächsten Monate zu kommen.

Lockdowns als enorme seelische Belastung

Primarin Katharina Glück ist Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin im Klinikum Wels-Grieskirchen. Ihre Erfahrungen aus der Akutpsychiatrie: Bereits der erste Lockdown war eine enorme Belastung – vor allem für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen.

„Hier kam es zu einem hohen Ausmaß zu Rückfällen und Verschlechterung der Symptomatik“, schilderte die Expertin. Weil viele PatientInnen jedoch fürchteten, sich im Krankenhaus anzustecken, nahmen sie psychologische Betreuung nur mäßig in Anspruch. Erst mit der Lockerung des Lockdowns Anfang Mai sei es zum Ansturm gekommen. „Viele PatientInnen haben berichtet, dass es ihnen schon seit Wochen schlecht gegangen sei, sie hätten versucht, durchzuhalten“, sagt Glück.

Die Entspannung der Covid-Situation im Sommer führte zu einer Entspannung der psychischen Situation aller, dafür hat die zweite Welle die Menschen umso härter getroffen. Jetzt nach dem dritten Lockdown sei eine allgemeine Corona-Müdigkeit und Frustration nicht mehr zu übersehen, so die Fachärztin.

Kinder und Jugendliche besonders betroffen

Ganz besonders betroffen seien derzeit Kinder und Jugendliche. Bei ihnen wirke sich der Wegfall der Tagesstruktur durch regelmäßigen Schulbesuch sowie der sozialen Kontakte besonders dramatisch aus. Die Folge seien Antriebsstörungen, Depressionen mit Suizidalität und Essstörungen.

Erheblich belastet sei vor allem auch das Pflegepersonal, nicht nur auf den Intensivstationen, auch auf den normalen Covid--Stationen.

„Die meisten von ihnen wurden mehr oder weniger zwangsversetzt, sie haben bisher in anderen Bereichen gearbeitet, mussten sich erst einarbeiten, hatten ständig Angst, sich selbst zu infizieren, das Virus nach Hause zu bringen und die Familie anzustecken“, erzählt Glück.

Besonders hart treffe es laut der Fachärztin auch Menschen, die ihre Arbeit verloren haben oder jene, die in Kurzarbeit sind sowie Selbstständige und Kulturschaffende. Glück appelliert an Menschen mit anhaltenden Sorgen, darüber zu sprechen und Hilfe bei der TelefonSeelsorge, bei Haus- oder Fachärzten oder anderen Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen.

Vielfältige Herausforderungen wirken auf Psyche

Dass viele Menschen derzeit an ihre Grenzen stoßen, beobachten auch die Expertinnen der "TelefonSeelsorge – Notruf 142" in ihren Beratungsgesprächen.

„Viele leiden an Zukunftsängsten und erleben einen massiven Kontrollverlust über große Teile des eigenen Lebens“, unterstreicht Silvia Breitwieser, Leiterin der TelefonSeelsorge. „Ängste, die bereits vor der Pandemie ein Thema waren, werden weiter verstärkt. Der Stresspegel steigt, weil viele von uns mit so vielen Herausforderungen gleichzeitig zu kämpfen haben, nicht schlafen können oder sich isoliert und einsam fühlen“, schildert Breitwieser.

Auch das Anpassen an eine sich stets verändernde Situation und das Zurande kommen mit vielfältigen Aufgaben, wie Homeoffice oder Homeschooling erfordern äußerste Flexibilität. Wir befinden uns seit einem Jahr in einem Zustand, der die psychische Gesundheit massiv erschüttern kann. Das sei ganz normal und kein Zeichen von individuellem Versagen, Weiß die Expertin.
Auch, wenn es an der aktuellen Lage wenig ändert, sei es hilfreich, sich mit diesen lähmenden Gefühlen zu beschäftigen, um damit besser umgehen zu können, sind sich die Expertinnen einig.

Positive Erlebnisse bewusst wahrnehmen

Was brauche ich, wenn ich zu Ängsten oder Rückzug neige? Wie kümmere ich mich um die Erfüllung meiner Grundbedürfnisse, wie Essen, Trinken, Bewegung und Schlaf? Was kann ich darüber hinaus für mich selbst konkret tun?

„Es geht darum, handlungsfähig zu bleiben und fürsorglich mit sich selbst umzugehen“, erklärt Referentin Barbara Lanzerstorfer-Holzner.

Die eigenen „Verbindungen“ zu betrachten, kann bei Gefühlen von Ohnmacht darüber hinaus nützlich sein: Wem fühle ich mich nahe, wo bin ich gut eingebettet? Welche Kontakte könnte ich wieder aktivieren, welche tun mir nicht gut? Auch hier kann der Fokus auf die kleinen Gesten im Alltag helfen: ein nettes Lächeln sehen, selber die anderen freundlich grüßen, eine kurze Plauderei oder aber etwa eine kleine Geste der Hilfsbereitschaft wahrnehmen. Zuneigung und Fürsorge sind trotz des Babyelefanten möglich und tun gut!

Ebenso stärkend und gesundheitsfördernd wirke Dankbarkeit, ist Lanzerstorfer-Holzner überzeugt. Sie ermutigt Menschen dazu, positive Erlebnisse bewusst wahrzunehmen, etwa die sonnigen Minuten an einem Nebeltag; das neue Kuchenrezept, das mir gelungen ist; den Mann, der mir sein Parkticket weitergibt.

„Auch in scheinbar Belanglosen kann viel Gutes stecken“, hebt Lanzerstorfer-Holzner hervor.

Darüber reden hilft

Sollte es jedoch nichts mehr geben, das einem Freude bereitet, und wenn kein Ausweg mehr zu sehen ist, ist es dringend nötig, sich Hilfe zu holen. Die TelefonSeelsorge – Notruf 142 steht rund um die Uhr zur Verfügung – vertraulich und kostenlos. Zu zweit ist es oft leichter, neue Perspektiven zu finden. Wer lieber schreibt, kann sich an die Mail- oder Chatberatung wenden

onlineberatung-telefonseelsorge.at

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