Landesrätin Gerstorfer
Erhöhung des Heizkostenzuschusses ist ein "Lärcherlschas"

Birgit Gerstorfer ist noch bis 10. November SPÖ-Landesrätin. Im Interview übt sie heftige Kritik an der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition in Oberösterreich, die nichts gegen die Teuerung unternehme. Landeshauptmann Stelzer wirft sie vor: "Wie konnte er nur die Sanktionen in Frage stellen?" | Foto: Land OÖ
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  • Birgit Gerstorfer ist noch bis 10. November SPÖ-Landesrätin. Im Interview übt sie heftige Kritik an der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition in Oberösterreich, die nichts gegen die Teuerung unternehme. Landeshauptmann Stelzer wirft sie vor: "Wie konnte er nur die Sanktionen in Frage stellen?"
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Im Interview mit BezirksRundSchau-Chefredakteur Thomas Winkler und Redakteur Clemens Flecker übt SPÖ-Landesrätin Birgit Gerstorfer heftige Kritik an der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition wegen fehlender Maßnahmen gegen die Teuerung – das sei eine "Frechheit". Landeshauptmann Thomas Stelzer attackiert sie, weil er die Sanktionen in Frage gestellt habe.

BezirksRundSchau: Mit 10. November scheiden Sie aus der Landesregierung aus – nach sechseinhalb Jahren. Woran werden Sie sich gerne zurückerinnern, woran weniger gern?
Gerstorfer: Ich war schon sehr gerne Soziallandesrätin. Daher denke ich nicht so gerne daran, dass ich das Ressort nach der Wahl in andere Hände geben musste, das war eine einschneidende Sache, ein Angriff der ÖVP auf die Kernkompetenz der Sozialdemokratie mit einem jahrzehntelangen Erfahrungsschatz. In den knapp sechs Jahren als Soziallandesrätin habe ich viele Dinge umgesetzt, auf die ich sehr stolz bin. Ohne meinen Druck wäre es bei weitem nicht zu diesem Ausbau der Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen gekommen – ich habe 800 zusätzliche Plätze ausverhandelt. Oder das sehr komplexe Projekt der Anstellung betreuender Angehöriger, damit haben wir eine Absicherung für Frauen und Mütter geschaffen. Die VP redet seit 2010 von einer Pflegelehre, wir haben als Ersatz dafür die junge Pflege und die Kurzzeitpflege eingeführt sowie die Bedingungen in der 24-Stunden-Pflege verbessert. Dadurch haben wir mehr Menschen in die Pflegeausbildung gebracht – ohne unsere Maßnahmen wäre der Personalmangel in der Pflege noch viel größer, als er es jetzt ist. 

"Frauen werden Pflege alleine nicht stemmen"

Was muss sich noch ändern, um den Personalmangel in den Griff zu bekommen?
Die ÖVP, konkret Landesrat Hattmannsdorfer, darf jetzt beweisen, ob er das besser kann. Aber wenn in der Pflege nicht mehr gezahlt wird, und wenn der Personalschlüssel in der Betreuung nicht geändert wird, ist das ein aussichtsloses Unterfangen. Wir brauchen ein Gehaltsniveau, das den Pflegeberuf für Männer attraktiv macht, etwa auf der Höhe eines Facharbeiters im Metallgewerbe, also mindestens um 250 Euro brutto mehr. Denn die Frauen werden das alleine nicht stemmen. 

In Ihr Ressort fällt auch die Kinder- und Jugendhilfe. Laut aktueller Studien ist der psychische Zustand vieler Kinder und Jugendlicher in Folge der Pandemie besorgniserregend.
Das Dienstleistungs- und Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche muss deutlich ausgebaut werden – wir haben das, so weit budgetär möglich, gemacht: Stundenaufstockungen, zumindest befristete zusätzliche Stellen, ein Beratungsbus, der in die Regionen fährt. Aber das ist nicht ausreichend. Das Problem: Vier Landesrätinnen und Landesräte verantworten diesen Bereich: Die Gesundheitslandesrätin, der Familienlandesrat, der Jugendlandesrat und mein Ressort. Die Koordination fehlt.

"Oberösterreicher werden im Stich gelassen"

Die Angst vor der Pandemie haben Zukunftssorgen durch die Teuerungswelle abgelöst ...
Die Teuerung ist eine massive Belastung für die Familien. Ich verstehe nicht, dass es keine Maßnahmen der oberösterreichischen Landesregierung gibt, das ist eine Frechheit. Die immer wieder kommunizierte Erhöhung des Heizkostenzuschusses ist eine lächerliche Pseudomaßnahme. Rund 14.000 Menschen in Oberösterreich, also ein Prozent der Bevölkerung, hat einmalig 23 Euro mehr bekommen als zuvor. Das ist ein Lärcherlschas, ganz einfach nur kindisch. Man müsste die Richtlinien für Wohnbeihilfebezieherinnen aufmachen, damit mehr Menschen Anspruch haben. Aber unsere Anträge, auch für eine Erhöhung der Sozialmärkte werden von der ÖVP-FPÖ-Koalition einfach weggewischt. Es heißt immer nur: Wir werden etwas tun, wenn es notwendig ist. Die Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher werden im Stich gelassen, das dicke Ende kommt, wenn die Preisgarantien zu Ende gehen. 

Zuletzt hat es ja auch einen Hilfeschrei der Gemeinden gegeben, weil sie im nächsten Jahr bis zum Zehnfachen für Strom und Gas zahlen müssen. 
Das große Problem ist: Sie haben dann kein Geld für einen Ausbau der Kinderbetreuung, für den Ankauf von Feuerwehrfahrzeugen, sie werden nicht mehr investieren. Es gibt keine freien Mittel mehr für die Daseinsvorsorge der Bürger. Dabei sind die Ertragsanteile ja bisher deutlich höher als geplant, das Geld ist gesprudelt. Aber der Landeshauptmann will die Gelder nicht an die Gemeinden und Bürger zurückgeben, sondern damit Schulden abbauen.

SPÖ-Landesrätin Birgit Gerstorfer: Um den Personalmangel in der Pflege zu bekämpfen, brauche es eine Lohnerhöhung um mindestens 250 Euro brutto, damit der Pflegeberuf für Männer interessant werde. | Foto: Land OÖ
  • SPÖ-Landesrätin Birgit Gerstorfer: Um den Personalmangel in der Pflege zu bekämpfen, brauche es eine Lohnerhöhung um mindestens 250 Euro brutto, damit der Pflegeberuf für Männer interessant werde.
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"Wie konnte er die Sanktionen nur in Frage stellen?"

Die FPÖ macht die Sanktionen für die Teuerungswelle verantwortliche und fordert ein sofortiges Ende. Landeshauptmann Thomas Stelzer hat für seine Forderung, die Sanktionen wegen ihrer Auswirkungen auf Treffsicherheit zu prüfen, heftige Kritik einstecken müssen – wo stehen Sie?
Solange in rückeroberten Gebieten in der Ukraine Massengräber gefunden werden, diskutiere ich nicht einmal über ein Ende der Sanktionen. Sie sind ein Akt der Solidarität. Sollen wir uns von einem Staatsoberhaupt tyrannisieren lassen?

Laut Studien und Umfragen stellt aber fast die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher die Sanktionen inzwischen in Frage – die Polarisierung nimmt weiter zu.
Weil die Bundesregierung und auch die Koalition in Oberösterreich nicht in der Lage sind, geeignete Maßnahmen zu setzen, um diese Polarisierung hintanzuhalten. Ständig gibt es unterschiedliche Botschaften, die Leute kennen sich nicht mehr aus. Und in Oberösterreich übernimmt die ÖVP halbherzig die Ansichten der FPÖ. Wenn die Bevölkerung von politisch verantwortlichen Akteuren ständig unterschiedliche Signale kriegt, dann kennt sie sich nicht aus. Und was die Sanktionen betrifft, muss man die Verantwortung beim Landeshauptmann sehen: Wie konnte er die nur in Frage stellen?"

Ratlosigkeit angesichts SPÖ-Umfrageergebnissen

Laut einer aktuellen Umfrage hat die FPÖ in Oberösterreich die ÖVP bereits in der Wählergunst eingeholt. Die SPÖ verharrt dagegen auf deutlich unter 20 Prozent – in einer Zeit sozialer Herausforderung müsste Ihre Partei doch Rückenwind verspüren.
Wir haben uns stark im Bereich Antiteuerung positioniert. Ich kann auch nicht nachvollziehen, warum der vehemente Einsatz für die Bevölkerung nicht stärker goutiert wird. Wir müssen noch stärker draufhauen, uns noch stärker positionieren.

Das wird in die Verantwortung Ihres Nachfolgers fallen - was machen Sie nach dem 10. November, wenn Sie aus der Landesregierung ausscheiden?
Mir wird sicher nicht fad. Ich bin mit der Bürgermeisterin von Alkoven schon im Gespräch, wie ich mich bei Projekten zur ehrenamtlichen Unterstützung von Menschen einbringen kann. Ich habe meinen Garten und vier Enkel im Alter von einem Jahr bis neun Jahren. Eine politische Tätigkeit habe ich nicht vor, aber ich werde mich sicher inhaltlich zur Politik äußern. Davon abgesehen: Kriminalpsychologe Thomas Müller sagt, dass Menschen psychisch gesund bleiben, wenn sie ihr Leben dritteln: Ein Drittel für die Arbeit, ein Drittel für die sozialen Kontakte, ein Drittel fürs Ego – und da habe ich Nachholbedarf.

Birgit Gerstorfer ist noch bis 10. November SPÖ-Landesrätin. Im Interview übt sie heftige Kritik an der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition in Oberösterreich, die nichts gegen die Teuerung unternehme. Landeshauptmann Stelzer wirft sie vor: "Wie konnte er nur die Sanktionen in Frage stellen?" | Foto: Land OÖ
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