Der zerrupfte Türkranz
Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kind gebliebene - Teil 134

- hochgeladen von Anita Buchriegler
Als ich vor Kurzem mit etwas Verspätung einen Adventkranz für Justins Klasse gebunden habe, stiegen plötzlich längst vergessene Erinnerungen in mir hoch... an damals... als ich meinen ersten Türkranz aus Fichtenreisig band, an das Moped, dass ich von der Oma zum Geburtstag bekommen sollte und das schon in der Garage auf mich wartete und an die Party, bei der die bunten Glaskugeln auf meinem "heiligen Türkranz", die ich aus Mamas Christbaumschachtel gemopst hatte, bei einer wilden Schneeballschlacht in Brüche gingen...
Es war kurz vor Weihnachten und mein 16. Geburtstag stand vor der Tür. Es gab noch keine großen Partys damals, schließlich wurde Anfang der 90er noch an allen Ecken und Enden gespart. Trotzdem hatte ich meine Mutter überreden können, ein paar Schulkollegen einladen zu dürfen. Denn es war ein besonderer Geburtstag. Oma hatte nach langem Betteln endlich eingewilligt, mir zwar leider kein Kleinmotorrad, aber immerhin eine nagelneue pink schwarze KTM Squadra KAT mit 4-Gang Fußschaltung zu kaufen. Und dieser wunderschöne neue Hauch von Freiheit stand seit gestern bei uns in der Garage. Alles war so aufregend zu dieser Zeit, als ich schön langsam die Kinderschuhe abstreifte, um sie etwas später am Weg von einer Disko zur nächsten hinter mir zu lassen.
Um dem Anlass gebührendes Gewicht zu verleihen, beschloss ich einen festlichen Türkranz zu binden. Der einzige Styroporreif, der Jahr für Jahr wieder verwendet wurde, war zwar schon vom Adventkranz besetzt, aber findig wie ich war, bog ich einfach einen etwas dickeren Fichtenzweig zusammen und zurrte die Enden mit dem uralten Spagat, der noch von meiner längst verstorbenen Urgroßmutter stammte, fest. Mit großer Konzentration wand ich Fichtenzweiglein um Fichtenzweiglein um den selfmade Reif, bis ich einen richtigen - zwar nicht ganz runden - aber für mich wunderschönen Türkranz in Händen hielt. Weil Mädchen selbst in den 90ern schon Glitter liebten, schlich ich mich ungeniert zur Christbaumschachtel, die noch auf dem Dachboden auf die fachgerechte Abholung durch Christkind samt Engelsschar wartete und mopste eiskalt 4 schillernde bunte Glaskugeln, um sie an meinem Kunstwerk zu befestigen. "Wunderschön!" Der "Wahnsinns Kranz" bekam sogleich einen Ehrenplatz auf dem Eisenkreuz an unserer alten Haustüre.
Die fahle Wintersonne legte sich Gott sei Dank an diesem Tag schnell zur Ruhe. Noch bevor sie ganz über die fernen Berggipfel hinunterkugeln konnte, zerriss das Surren der ungeduldig erwarteten "Sauger" - sprich Mopeds - meiner Freunde die Stille des eisigen Winterabends. Das war ein Hallo. Da wurden Hände geschüttelt, das neue Moped präsentiert und "Sauger" untereinander ausgetauscht, schließlich wollte man ja wissen, ob der eigene mit den anderen fahrbaren Untersätzen mithalten konnte. Na ja, uuuunnnd, wenn man als Mädel auch mit einer 4-Gang Fußschaltung auftrumpfte, waren natürlich die Burschen wiederum gezwungen, sich noch etwas Cooleres auszudenken. Also fuhren sie zum benachbarten Lehrer, um dort einmal "nachzusehen", während wir Mädels mit einem Häferl Tee... oder wars doch schon Glühmost? ... schon mal auf den Geburtstag anstießen. Wer die Idee in die Welt setzte, die Burschen aus dem Hinterhalt mit Schneebällen zu attackieren und ordentlich "einzurubbeln", kann ich heute nicht mehr wirklich genau sagen. Was ich aber noch glasklar vor Augen habe, sind die schillernden Glasscherben der zerbrochenen Christbaumkugeln auf dem Boden, der zerrupfte Türkranz und das Vorhaus, das mehr an ein Babybecken im Schwimmbad erinnerte, als den weihnachtlich dekorierten Eingangsbereich eines Bauernhauses.
Ich war sauer, sag ich euch! Mein Kunstwerk so respektlos zu behandeln! Ungeheuerlich! .. Aber irgendwie ist es mir gelungen, den Kranz bis zur Bescherung am nächsten Abend wieder halbwegs ansehnlich zu machen. Vielleicht waren die Ansprüche damals auch noch nicht so hoch. Dem Christkind, dem musste ich allerdings zur Schadensbegrenzung wohl oder übel noch ein paar Kugeln sozusagen unter den Flügeln wegstibitzen.
Ob ich da gar kein schlechtes Gewissen hatte, wollt ihr wissen? Nee! Denn wisst ihr, als sozusagen "Partnerchristkind" bin ich von einem ganz fest überzeugt: Auch "die da oben" haben Humor, und wenn's den Menschen gut geht, sie niemandem weh tun und sie eine richtige Gaudi haben, dann lacht selbst das Christkind mit!
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