Basisgruppe Hintergebirge
Rettende Menschenkette als Wegbereiter für Nationalpark Kalkalpen
Wie die Basisgruppe „Schützt das Hintergebirge“ die Gründung des Nationalparks beeinflusste.
REICHRAMING. Die Achtzigerjahre brachten für Reichraming die stärksten Veränderungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Ortsumbau. Der Kampf gegen den Kanonenschießplatz der Voest und das Kraftwerksprojekt der Ennskraftwerke AG rückte Reichraming zu dieser Zeit in den Mittelpunkt äußerst unterschiedlicher Interessen. Für die Ortsbevölkerung gab es zwei Positionen: dafür oder dagegen. Dementsprechend verliefen die Fronten manchmal innerhalb der Parteien und oft auch innerhalb ganzer Familien. Als bedauernswerte Folge sei das Gesprächsklima innerhalb der Gemeinde auf Jahre hinaus „vergiftet“ gewesen, wie Adolf Brunnthaler in seiner Reichraming-Chronik schreibt. „Es war eine bürgerkriegsähnliche Stimmung“, erinnert sich Helmut Daucher, ein Mitglied der damaligen „Basisgruppe“ an die Protestaktion.
Schießplatz & Staumauern
Ginge es damals nach der Voest, hätte im Hintergebirge eine sogenannte „technische Versuchsanlage“ (Schießplatz) zur Erprobung der im Werk Liezen erzeugten Kanonen entstehen sollen. 1981 entstand die „Aktionsgemeinschaft Hintergebirge“ in Losenstein, die diesen Schießplatz verhindern wollte. Zu diesem Zeitpunkt habe man auch bereits Schießversuche veranstaltet. Geplant war, in das Föhrenbachtal – eines der schönsten und unberührtesten Täler im Hintergebirge, zu schießen. Die Ennstkraftwerke AG (EKW) gaben bald darauf ihre Pläne zur Errichtung eines Speicherkraftwerks bekannt. Dabei sollten zwei Staumauern mit 100 (Kaiblingmauer) und 80 Metern Höhe (Große Klause) errichtet werden.
Gründung der Basisgruppe
In Losenstein wurde die „Basisgruppe – Schützt das Hintergebirge“ gegründet. Ihr Ziel war die Verhinderung des geplanten Speicherkraftwerks. Bald erlebte die Basisgruppe einen regen Zulauf von jungen Leuten. Mitglieder der katholischen Jugend und des Alpenvereins schlossen sich ihnen an. Im Jänner 1983 wurde die Idee eines „Nationalparks Hintergebirge“ als Alternative.
Die Basisgruppe erhielt in Salzburg den „Österreichischen Naturschutzpreis 1983“. Die Staubeckenkommission genehmigte die erste Staumauer. 1984 tagte die Bundesregierung in Steyr und sollte eigentlich von Hintergebirgs-Demonstranten im Stadtsaal „eingesperrt“ werden. So zumindest der Plan. Beim Versuch, sich am Eingang des Saals festzuketten, wurden die Aktivisten von der Polizei festgenommen. Medienwirksam war die Aktion aber auf alle Fälle: Es schlug sich die Kronen Zeitung auf die Seite der Kraftwerksgegner – das Hintergebirge wurde zum Sinnbild für die Grünbewegung. „Man sagte uns damals, dass viele Touristen Staumauer schauen kommen würden. Und Elektroboot fahren“, lacht Daucher.
Besetzung der Baustelle
Auf dem Reichraminger Maibaum und sogar auf der Nibelungenbrücke in Linz hing ein Transparent mit der Aufschrift „Rettet das Hintergebirge“. Die Besetzung der Basisgruppe solle später eine Art Generalprobe für die legendäre Besetzung in der Hainburger Au, die ein halbes Jahr später stattfand, sein.
„Ohne die Unterstützung durch Aktivisten der Naturschutzjugend, der Hochschülerschaft, Green Peace und Global 2000, die mit ganzen Bussen kamen, hätten wir das nicht geschafft. Am Ende konnten wir schon sagen, dass mehr als 40 Vereine hinter uns stehen“, so Daucher. Die Aktivisten bildeten jeden Morgen bei Baustellenbeginn eine Kette. „Ein Teil ging dann wieder arbeiten, wer Zeit hatte, blieb“, so Daucher. „Es bildeten sich damals interessante Allianzen: Zum Beispiel versorgten die Almbauern die Protestierenden mit Lebensmittel“, erklärt Geschichtsexperte Adolf Brunnthaler.
20 Jahre Nationalpark
Die Besetzung begann am 20. Juni 1984 um 6.30 Uhr durch eine Gruppe von hundert Kraftwerksgegnern und dauerte bis 5. Juli. Ziel war es, den Zugang zu den Bohr- und Baumaschinen zu blockieren und damit die Baustelle stillzulegen. Zahlreiche Leute – ob Befürworter oder Gegner – pilgerten ins Hintergebirge, um sich persönlich von der Angelegenheit ein Bild zu machen. Die Naturschützer wurden im November 1984 als Besitzstörer verurteilt. Auf sie kamen Prozesskosten in Höhe von 150.000 Schilling zu. Aber: Im April 1985 ziehen die EKW ihr Projekt zurück. Vier Jahre später präsentierte die Landesregierung die ersten Nationalparkpläne. Der damalige Landeshauptmann Josef Ratzenböck: „Damit ist das Kraftwerk endgültig gestorben.“
2017 feierte der Nationalpark Kalkalpen sein 20-jähriges Jubiläum – Dank Besetzern, die sich unermüdlich für die Bewahrung der einmaligen Flora und Fauna einsetzten.
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