Wirtschaftswissenschafter Tappeiner im Gespräch
"Die Unsicherheit ist Gift"

Wirtschaftswissenschafter Univ.-Prof. Gottfried Tappeiner sieht die Klimakrise als zukünftigen Konjunkturmotor.
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  • hochgeladen von Sieghard Krabichler

Gottfried Tappeiner leitet an der Universität Innsbruck das Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte.

RegionalMedien Tirol: Die Frage, die wohl die meisten am brennendsten interessiert zum Einstieg: Gibt es eine Prognose über die zeitliche Dauer der derzeitigen hohen Inflation?
Gottfried Tappeiner:
"Nein, gibt es nicht. Was aber sicher scheint, ist, dass in den etwa kommenden acht Monaten die Inflation hoch bleibt, da immer der Wert aus dem gleichen Monat des Vorjahres verglichen wird. Danach hängt viel davon ab, wie sich die Inflation in den Kollektivverhandlungen niederschlägt und ob sich dadurch die Preis-Lohn-Spirale dreht."

Die Armut wird in Tirol wohl weiter steigen, der Mittelstand gerät ebenso unter Druck. Wird es ein längerer wirtschaftlicher Leidensweg?
"Im Moment sieht es nicht danach aus, ich bin aber vorsichtig mit meinen Aussagen, da ich auch geglaubt habe, dass sich die Coronakrise in der Statistik viel dramatischer niederschlägt, als sie es dann tatsächlich getan hat. Aber natürlich leiden die ärmeren Schichten ungleich mehr als die Besserverdiener, darum gehören auch die weniger Gutsituierten mehr durch die Politik unterstützt."

Und werden sich globale Wirtschaftssysteme dadurch verändern?
„Es gibt kein schlimmeres Gift für die Konjunktur und Produktivität als die Unsicherheit, die ja in diesen Tagen enorm ist. Und diese Unsicherheit wird Kosten verursachen, da derzeit Investitionen liegenbleiben. Eine große Herausforderung, aber auch eine ganz große Chance wird der Klimawandel sein. Die Umstellung auf nachhaltiges und CO2-neutrales Wirtschaften wird einen Konjunktureffekt haben wie seinerzeit die Erfindung der Dampfmaschine.“

Sparzinsen gibt es so gut wie keine, an den Börsen herrscht ein rauer Wind. Wird die EZB bei ihrer Niedrigzinspolitik bleiben, zumal die Amerikaner bereits die Zinsen erhöht haben?
"Auch wir in Europa werden wieder Zinsen bekommen, die Frage ist nur, wie hoch diese sein werden. Realzinsen über der Inflation werden es nicht sein. Für Sparer sind harte Zeiten, Investitionen in Immobilien oder in die Sanierung von Gebäuden sind derzeit idealer."

Die Energiepreise gehen durch die Decke und beim Sprit sind kaum mehr Preisunterschiede zu merken. Ein Fall für die Kartellbehörde?

„Ja, ist es sicherlich. Aber bei allen Märkten mit wenigen Anbietern ist die Gefahr von Marktversagen groß. Nur ist der Spritpreis nicht alles, beim Auto macht er maximal 30 Prozent der Kosten aus."

Werden die Energiepreise je wieder auf das Niveau vor dem Ukrainekrieg fallen?
"Nein, die Energiepreise waren vor der Ukrainekrise einfach zu niedrig. Und wir haben unseren fossilen Energieverbrauch nie richtig bezahlt. Wir haben die Umwelt immer ‚gratis‘ belastet."

Auch Rohstoffe und Zulieferungen aus den Krisengebieten fehlen. Wurde von Wirtschaftsseite hier blauäugig die mögliche Krisensituation verschlafen?

"Nicht wirklich, denn auch wenn Betriebe diese Turbulenzen gesehen hätten, hätten sie sehr wenig dagegen tun können. Auch ich war der Überzeugung, dass eine globale wirtschaftliche Vernetzung von Staaten weit weniger krisenanfällig ist. Aber wenn aus weitgehend irrationalen Gründen Kriege begonnen werden, dann befinden wir uns über Nacht im Krisenmodus."

Wie sehen Sie die Sanktionen gegen Russland? Die sind wohl auch ein großer Schaden für Tirol, Österreich und Europa?
"Schon, aber im Verhältnis ein kleiner, und ich meine im Verhältnis zu einem vollausgestatteten Bundesheer. Diese Last wird Österreich auf sich nehmen müssen, schon als Abschreckung gegen Aggressoren."

Der Tourismus in Tirol war durch Corona massiv betroffen. Wird er die Ukrainekrise besser überstehen?
"Ja, denn der russische Markt ist vergleichsweise ein kleiner und es trifft potentiell nicht so viele Gäste. Aber natürlich gibt es in Tirol Destinationen, wo viele russische Gäste Urlaub machen. Aber im Gegensatz zu Corona kann ich mich auf diese fehlenden Gäste besser einstellen. Und auch die Unsicherheit, wie etwa durch die Lockdowns oder die Reiseeinschränkungen in der Pandemie, fallen hier eher weg und die Ukrainekrise ist dadurch besser berechenbar."

Unberechenbar ist aber die Situation für die Tiroler Wirtschaft, was die fehlenden Arbeitskräfte angeht.
"Nun, wir wissen seit wenigsten 30 Jahren über die demographische Entwicklung Bescheid und müssen uns darauf einstellen, dass weniger Menschen die gleiche Leistung erbringen müssen, wenn wir die gleiche Versorgungslage haben wollen. Zwei Dinge passen nicht zusammen: Die Angst vor Verlust von Arbeit durch Automatisierung oder Digitalisierung und auf der anderen Seite die massiv fehlenden Arbeitskräfte. Wenn zum Beispiel bei der Brennerautobahn durch die Digitalisierung die Mautstationen wegfallen, könnten die vierzig Leute etwa in die Pflege wechseln. Dann braucht es aber auch die Mittelumschichtung von der ASFINAG zu einem Pflegefonds. Und gerade solche Eingriffe werden aber auch eine enorme politische Kraft brauchen.“

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