Psychisches Wohlergehen
Kinder und Jugendliche deutlich stärker belastet

Die Krise führt besonders bei Jugendlichen und Kindern zu psychischen Problemen. | Foto: DoraZett/Fotolia
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TIROL. In der aktuellen Krise sind die Menschen neben den körperlichen Risiken einer Erkrankung auch von zusätzlicher psychischer Belastung betroffen. Das psychische Wohlergehen von Kindern im Alter von 3 bis 12 Jahren ist im Fokus einer Studie, die insgesamt zwei Jahre dauern soll. Die Ergebnisse der zweiten Befragungsrunde zeigen, dass die Kinder deutlich mehr belastet sind. Expertinnen der Universitätsklinik Innsbruck schlagen Alarm.

703 Familien haben teilgenommen

Genau zwei Jahre dauert das vom Land Tirol geförderte Forschungsprojekt der Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Damit sollen die Angst-, Stress- und Traumasymptome sowie die Lebensqualität der 3 bis 12-jährigen Kinder über einen längeren Zeitraum verfolgt und erfasst werden.

Bei der zweiten Befragungsrunde waren Familien aus ganz Tirol gebeten worden, die eigens entwickelten Onlinefragebögen auszufüllen. Insgesamt haben bei der zweiten Befragungsrunde 703 Familien aus Nord- und Südtirol, um 280 mehr als bei der ersten Befragungsrunde, teilgenommen. Zudem wurden 224 Kinder befragt. „Wir haben dank der sehr regen Beteiligung jetzt die Möglichkeit, die beiden Erhebungszeitpunkte März 2020 und Jänner 2021 miteinander zu vergleichen“, betont Kathrin Sevecke, Leiterin der Studie und Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Landeskrankenhaus (LKH) Hall.

Ergebnisse sind alarmierend

Das Ergebnis deckt sich auch mit den Erfahrungen der erst im Dezember letzten Jahres eingerichteten Spezialsprechstunde und Telefonhotline an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall in Tirol für stark belastete Kinder und deren Eltern. „Wir sehen, dass die Anzahl der Kinder, die sich stark belastet fühlen, steigt“, warnt Sevecke.

Traumasymptome und Angst

Bei der ersten Untersuchung waren vor allem Familien aus Hotspotregionen wie dem Paznaun- oder Grödnertal befragt worden. Die Auswertung der Zeit der ersten Quarantäne zeigt damals in Bezug auf Traumatisierung und Angstempfinden noch keine signifikanten Auffälligkeiten. „Das hat sich diesmal deutlich geändert“, so Silvia Exenberger, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie und Klinische und Gesundheitspsychologin. Nach Selbstauskunft der Kinder sind die Traumasymptome um rund 60 Prozent gestiegen. Sie ergänzt: „Das bedeutet, dass mittlerweile rund 15 Prozent der Kinder, im März 2020 waren es noch 3 Prozent, Symptome zeigen, die auch klinisch relevant sind.“ Dies deckt sich auch mit der Sicht der Eltern. Ebenfalls gestiegen ist die Angst, auch zeigen 45 Prozent mehr Mädchen und Jungen Aufmerksamkeitsprobleme. „Nach Sicht der Eltern haben sich die somatischen Beschwerden, also beispielsweise Bauchweh oder Schlafstörungen der Kinder, mehr als verdoppelt."

Lebensqualität und Verhältnis zu FreundInnen

Beim ersten Lockdown im März 2020 hatten vor allem Kinder unter dem fehlenden sozialen Kontakt gelitten. „Aus Sicht der Eltern hat sich das Verhältnis von Mädchen und Jungen gleichermaßen zu Freundinnen und Freunden wieder gebessert. Trotz gestiegener Belastungssymptome zeigen die Daten aber, dass die Lebensqualität im Jänner 2021 gleich wie im März 2020, also zur Quarantäne, beurteilt wird. „Hier haben Öffnungen von Kindergärten und die leichten Lockerungen der Kontaktmöglichkeiten beigetragen“, erklärt Exenberger. Die Expertin warnt vor einer erneuten Schließung von Schulen und Kindergärten.

Geschlechterunterschiede

Laut den Experten hatten Mädchen im März 2020 ein intensiveres Bedrohungserleben und damit verbunden auch mehr Trauma- und Angstsymptome geschildert. „Dies ist so geblieben, aber die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass sich bei Mädchen und Jungen das Rückzugsverhalten verstärkt hat. „Trotz dieser Steigerung bei Mädchen und Jungen, ist es doch auffällig, dass diese Verhaltensschwierigkeit bei Jungen wesentlich mehr ausgeprägt ist“, ergänzt Exenberger.

Freiwillige TeilnehmerInnen gesucht

Nachdem im Sommer und Herbst Kinder und Eltern befragt wurden, geht es in der nächsten Stufe des Forschungsprojektes um die Sichtweise der PädagogInnen und Führungskräfte in Bezug auf die Corona bedingten Belastungen der Kinder und deren Auswirkungen auf Schule und Kindergarten. Die Projektgruppe an der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat sich zum Ziel gesetzt, ein Instrument zur Früherkennung von Belastungssymptomen der Kinder (Screening) sowie einen psychologischen Leitfaden zur besseren Bewältigung von Schule und Kindergarten in der Corona-Krise und ähnlichen Krisensituationen zu entwickeln. „Hierfür führen wir Online-Fokusgruppen mit jeweils rund fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch“, sagt Kathrin Sevecke. Wer bereit ist, an einer ca. eineinhalbstündigen, virtuellen Fokusgruppe teilzunehmen, wende sich bitte für Informationen bzw. Terminvereinbarung an folgende E-Mail-Adresse: hall.kjp.seelische-gesundheit@tirol-kliniken.at

„Mit Ihrer Teilnahme helfen Sie mit, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen und leisten so einen Beitrag zur besseren Bewältigung der aktuellen sowie möglicher zukünftiger Krisen. Zudem können Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Nordtiroler Schulen bzw. Kindergärten ungezwungen und in einem geschützten Rahmen, unter der Anleitung der Projektmitarbeiterinnen, über Erfahrungen der letzten Monate austauschen“, erklärt Sevecke abschließend.

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