Ralf Grabuschnig: "Ich bin ein brennender Europäer"

Ralf Grabuschnig, in Villach aufgewachsen, lebt inzwischen in Deutschland | Foto: Photo Bones
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Sie sind in Villach geboren. Was waren die Beweggründe für den Umzug nach Deutschland?
Das war eher Zufall. Ursprünglich habe ich Villach 2009 verlassen, um in Wien Geschichte zu studieren. Während des Studiums verschlug es mich dann erst nach Zagreb, später nach Budapest. Und auch wenn das nicht immer alle glauben wollen, habe ich mir diese Orte selbst ausgesucht. Mit Deutschland ist das etwas anders. Dorthin zog ich mit meiner Freundin, als sie einen Studienplatz in Freising bei München annahm. Was aber nicht heißen soll, dass ich das Leben in Deutschland nicht genieße. Gerade an Bayern gibt es doch einiges zu mögen.

Apropos Wohnsitzwechsel: Welche Vorteile bringt es, Teil der Europäischen Union zu sein? Bewegt es sich leichter in Europa seit der EU?
Man müsste schon sehr kreative alternative Fakten schaffen, um diese Frage mit Nein zu beantworten. Natürlich bewegt es sich leichter seit der EU. Wobei eines sicher auch stimmt: Nicht jeder kann die Freiheiten, die die EU bietet, im gleichen Maß nutzen. Es gibt genügend Menschen, die die Reise- und Niederlassungsfreiheit für sich nicht in Anspruch nehmen und dementsprechend eher Negatives mit ihr verbinden.
Für mich persönlich war die österreichische Mitgliedschaft in der EU immer eine große Erleichterung. In Deutschland werde ich – mit Ausnahme des Wahlrechts und einiger Kleinigkeiten – wie ein Staatsbürger behandelt. Mir entstehen im Alltag, im Beruf etc. keine Nachteile. Und diese Vorzüge der EU wirken sogar außerhalb ihrer Grenzen! Als ich 2011 nach Zagreb ging, war Kroatien noch kein EU-Mitglied. Dennoch war der Umzug denkbar einfach, das Visum problemlos und die Ein- und Ausreise sowieso. Ich musste auch noch nie an eine Botschaft, um mich um ein Studenten- oder Arbeitsvisum zu bemühen. Das ist schon ein gigantischer Vorteil!

Gibt es auch Nachteile?
Nachteile gibt es immer. Bei der EU würde ich aber behaupten, die Vorteile überwiegen deutlich. Wie gesagt, nutzen viele Menschen diese Vorteile selbst aber nicht aus, weshalb für manche die Nachteile zu überwiegen scheinen. Ein tatsächlicher Nachteil, oder eher eine Unvollkommenheit der EU, ist, dass der Abbau der Binnengrenzen nicht mit gemeinschaftlich organisierten Außengrenzen einhergegangen ist. Das ist ja der Grund, warum Bundeskanzler Kurz gefühlt alle zwei Wochen die „Balkanroute schließt“. Ein weiteres Manko der EU ist teilweise die Art der Entscheidungsfindung, vor allem im Rat, wo oft noch Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten herrschen muss. Das bremst gewaltig.

Die größte Herausforderung der Europäischen Union ist aber meiner Meinung nach nicht, dass ihre Probleme so schwerwiegend wären. Es ist, dass ihre Vorteile nicht ausreichend wahrgenommen werden. Dabei sind das so viele und auch viele alltägliche Dinge! Der Abbau der Roaminggebühren, die Freiheit, überall zu leben und zu arbeiten, das vielerorts einheitliche Zahlungsmittel. Und dann natürlich der Abbau der Grenzen! Gerade in Villach erinnern sich doch viele noch an die Staus an der italienischen Grenze und am Wurzenpass in Richtung Slowenien. Wir haben hier in den letzten 10, 15 Jahren enorm an Bewegungsfreiheit gewonnen. Man könnte fast sagen, die Heimat hat sich vergrößert. Es gibt jetzt auch südlich von Villach noch was. Das haben wir alles der EU zu verdanken.

Wo fühlen Sie sich beheimatet?
Das ist eine denkbar schwierige Frage. Je nach Laune hätte ich in der Vergangenheit mit „Österreich“, „Kärnten“, vielleicht auch mal „Wien“ oder gar so etwas Vagem wie „Mitteleuropa“ beantwortet. Da ich jetzt aber doch seit drei Jahren in Deutschland bin, dort Steuern zahle und auch irgendwann dazu übergegangen bin, eher deutsche Nachrichten zu verfolgen als österreichische, fühle ich mich da inzwischen sehr beheimatet. Aber man kann ja auch mehr als nur eine Heimat haben, hoffe ich.

Sie schreiben über den Brexit, warum?
Einerseits – und ich denke das wurde in den letzten Fragen schon deutlich – bin ich brennender Europäer. Da geht mir ein Thema wie der Brexit natürlich nahe. Andererseits hatte ich aber schon immer eine Begeisterung und auch Bewunderung für Großbritannien. In der Teenagerzeit gab es für mich nichts Spannenderes, als für ein Wochenende auf die Insel zu fliegen. Damals gab es ja sogar noch Flüge von Klagenfurt aus, da ging das. Seitdem war ich regelmäßig dort, so auch in der Woche des Brexit-Referendums im Juni 2016. Die Eindrücke dieses Tages haben schon ihre Spuren hinterlassen und irgendwann entstand dann die Idee, darüber zu schreiben. Wobei: So viel Platz nimmt der Brexit im Buch „Endstation Brexit“ dann gar nicht ein. Seit 2000 Jahren hauen sich Engländer und Europäer doch schon gegenseitig die Schädel ein, nur um sich danach sofort wieder in die Arme zu fallen. Ich erzähle in dem Buch spannende Episoden aus diesen zwei Jahrtausenden. Da ist der Brexit eher eine Randnotiz.

Das Votum für den Brexit löste eine Art Schockstarre in der EU aus. Warum? Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen?
Es ist das erste Mal, dass ein EU-Mitgliedsstaat den Club verlassen will. Bis vor zehn Jahren gab es noch nicht mal die rechtliche Möglichkeit, auszutreten! Da ist es wenig verwunderlich, dass das Brüsseler Establishment in eine Schockstarre verfällt. Wobei man schon sagen muss: In Brüssel hat man sich doch recht schnell wieder gefangen. Momentan sind es eher die britischen Verhandler, die nicht wissen, wie es weitergehen soll.
Bezüglich der Konsequenzen kann ich auch nur mutmaßen. Erst mal wird die EU logischerweise kleiner und ja, auch ärmer. Großbritannien ist ein Land mit 65 Millionen Einwohnern und einer enormen Wirtschaftsleistung. Das wird im EU-Haushalt fehlen. Spannend wird, wie die EU mit dieser Verschiebung umgeht. Deutschland ist nun noch dominanter, stellt bald 20% der Einwohner der EU, von der Wirtschaftskraft gar nicht zu reden! Man wird also eine neue Balance finden müssen, gerade auch in Bezug auf die Staaten in Mittel- und Osteuropa, allen voran Polen. In Großbritannien werden die Herausforderungen nicht weniger groß sein. Die wirtschaftliche Umstellung – sollte es wirklich zum „harten Brexit“ kommen – wird dort schmerzhaft. Aber auch unsere Freunde auf der anderen Seite des Kanals werden den Brexit schon überleben, da bin ich mir sicher.

Könnte der Austritt einen Trend auslösen, Horrorszenario: Zerfall der EU?
Das sehe ich derzeit nicht. Ich kann dem Ganzen sogar etwas Positives abgewinnen. Denn wer will schon in einem Club sein, aus dem es keinen Ausweg gibt? Es ist schon in Ordnung, dieses Tabu aufzubrechen. Und wenn sich in Zukunft auch andere dazu entscheiden, die EU zu verlassen, wäre es ohnehin keine Lösung, es ihnen einfach zu verbieten. Als Proeuropäer muss man auch genug Vertrauen in die EU haben, um zu sagen: Ihre Anziehungskraft und Vorteile werden am Ende überwiegen.

Inzwischen steht ja ein Datum für den Austritt fest, der 29. März. Viele glauben das noch immer nicht. Gibt es realistische Chancen, dass man doch noch zurückrudert?
Man muss dazusagen, dass der 29. März 2019 zwar das Datum für den Austritt Großbritanniens ist. Damit beginnt aber wohl erst mal eine mehrjährige Übergangsphase und da kann sich noch viel tun. An eine Umkehr des Brexits glaube ich aber nicht. Die konservativen Tories haben es zu ihrem Thema und ihrer Aufgabe gemacht, ihr Land möglichst vollständig aus der EU zu holen. Die Labour-Opposition hat selbst wenig Interesse bekundet, daran großartig etwas zu ändern. Was ich aber schon für möglich halte, ist dass das britische Parlament am Ende noch ein Wörtchen mitzureden haben wird. Vielleicht wird der Brexit dann doch noch ein „weicher“ und man nähert sich dem Modell Norwegen an. Und wer weiß? Vielleicht treten die Briten irgendwann auch wieder bei. Wenn es die EU dann noch gibt. Und Großbritannien.

Zur Sache 

"Endstation Brexit" von Ralf Grabuschnig
Am 16. Juli erscheint Ralf Grabuschnig erstes Buch namens „Endstation Brexit“ im Tectum Verlag. "Darin beschäftige ich mich mit einer gehörigen Portion Augenzwinkern mit 2.000 Jahren englisch-europäischer Geschichte. Genauer gesagt, erzähle ich neun lustige Episoden, in denen sich England und Europa in der Vergangenheit so in die Haare gekommen sind."

Zu finden ist auf unserer Themenseite zum "Eu Vorsitz" unter www.meinbezirk.at/eu

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