Flüchtlings-Report im Bezirk Waidhofen: Zwischen "das Boot ist voll" und "ein Teil der Familie"
Waidhofen sei an der Belastungsgrenze angekommen, meint der Ortschef. Aber nicht wegen der Flüchtlinge, sondern aufgrund von Mängeln in der Betreuung.
BEZIRK WAIDHOFEN. Die Stimmung im Waldviertel zur Flüchtlingskrise ist angespannt. Im Auftrag der Bezirksblätter hat das Institut Aconsult 604 Niederösterreicher zu ihrer Meinung befragt. Die Ergebnisse sind eindeutig. 79% der Waldviertler sind etwa für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, 82% fordern die strikte Einhaltung der Obergrenze. 68% glauben, dass die Waldviertler Gemeinden bei der Unterbringung an ihren Belastungsgrenzen angelangt sind. Die fremde Kultur der Zuwanderer beunruhigt 62% der Waldviertler, nur 36% sehen keine Probleme und sagen: Wir schaffen das! (Siehe Grafik.)
Die Bezirksblätter haben nun recherchiert wie die Lage im Bezirk Waidhofen aussieht. Wieviele leben in welcher Gemeinde, wie sind sie untergebracht und wer sind die Flüchtlinge?
Keine Sekunde bereut
Seit Dezember 2015 wohnt die Familie Al-Dulaimi aus dem Irak bei Familie Gehmayer in Windigsteig. Maria Gehmayer habe ihren Entschluss, gemeinsam mit ihrem Ehemann Josef Flüchtlinge in ihrem Haus aufzunehmen, "keine Sekunde bereut", wie sie im Gespräch mit den Bezirksblättern sagt.
"Sie gehören zu uns und sind schon ein Teil der Familie", berichtet die Windigsteigerin, die darüber hinaus Nachhilfe für Flüchtlingskinder in Allentsteig gibt. Vor allem mit den lateinischen Schriftzeichen täten sich viele Kinder schwer. "Schön langsam klappt es mit dem Lesen. Das Bemühen Deutsch zu lernen ist groß. Wir lernen aber auch voneinander, einige arabische Schriftzeichen kann ich auch schon", lacht die Windigsteigerin, die von ihren Schützlingen "Oma" genannt wird. Besonders angetan hat es den Gehmayers die arabische Küche: "Das beste Essen, das ich je hatte!"
Papa Authman und seine Frau Abeer - er Chirurg, sie Gynäkologin - mussten aus Bagdad fliehen, weil sie darauf bestanden, jeden Patienten gleich zu behandeln. Militante Islamisten hatten ihnen verboten, sich um Mitglieder anderer Volksgruppen zu kümmern. Authman und Abeer sowie die beiden Kinder Amro und Rami sind gerade eifrig dabei, Deutsch zu lernen. Ihr größter Wunsch: Sie wollen als Ärzte in Österreich arbeiten dürfen. "Es ist so ein schönes Land mit wundervollen Menschen. Wir würden diese Freundlichkeit gerne zurückgeben", so Authman beim Besuch der Bezirksblätter.
"Das Boot ist voll!"
Kritischer sieht man die Lage in Waidhofen. In der Bezirkshauptstadt leben derzeit 120 Flüchtlinge. Für Bürgermeister Robert Altschach ist das "Boot mittlerweile voll". Altschach: "Es geht hier überhaupt nicht um die Flüchtlinge an sich, sondern um die Betreuung. Da gibt es starke Defizite. Deshalb haben wir ja auch einen Flüchtlingskoordinator um das auszugleichen"
So sei es schon vorgekommen, dass Flüchtlingen in Waidhofen einfach ein Zugticket nach Traiskirchen für das Interview zum Asylverfahren in die Hand gedrückt wurde - bei den bekannt schlechten Öffi-Verbindungen ein Ding der Unmöglichkeit, findet auch Altschach: "Das kann ich im Waldviertel einfach nicht machen".
Die Konsequenz: Freiwillige mussten aushelfen und brachten die Menschen mit dem Auto nach Traiskirchen. "Diese Betreuungsdefizite werden glücklicherweise noch durch viele freiwillige Helfer ausgeglichen", so Altschach.
Keine zusätzlichen Quartiere in Waidhofen
Altschach kündigt gegenüber den Bezirksblättern an, dass es in Waidhofen keine neuen Quartiere geben wird. "Wir werden uns bei der Zahl von 120 einpendeln", so der Bürgermeister.
Kautzen übererfüllt Quote
Seit 2014 leben Roman Suleymanov und sein Sohn Ali, Nursbek Schamsudinov und seine Tochter Iman sowie Aslan Ibragimov mit seiner Frau Zarema und zwei Kindern in der Marktgemeinde. Ein Jahr später trafen Anzor Bokaev, seine Frau Tanzial und ihre vier Kinder ein. Die Tschetschenen wohnen im alten Lagerhaus am Hauptplatz, haben sich mittlerweile gut eingelebt und freuen sich über die Unterstützung aus der Bevölkerung. Roman Suleymanov: "Kindergarten, Schule, Ärzte, alles funktioniert so gut, und hier sind wir sicher." Ein enger Vertrauter der Asylwerber ist Engelbert Pöcksteiner, den alle seit ihrer Ankunft kennen. Nursbek Schamsudinov sagt: "Er ist wirklich unser Engel."
Dennoch gibt es Kritik in der Gemeinde: "Es stimmt, wir haben derzeit vier Flüchtlinge mehr in der Gemeinde als die aktuelle Quotenberechnung vorsieht", sagt Bürgermeister Manfred Wühl. "Der Grund dafür dürfte ein Rechenfehler sein." 24 Asylwerber müssen aufgenommen werden, 28 Flüchtlinge leben in Kautzen. "Anscheinend war noch eine alte Einwohnerzahl vermerkt. Die Berechnungsgrundlage war somit falsch, das habe ich richtiggestellt." Fakt sei nun, so Wühl, dass "ich die Zusage habe, dass keine neuen Asylwerber nach Kautzen kommen werden."
Zur Sache: der Ist-Stand im Bezirk
Im Bezirk Waidhofen sind laut Stand vom 3. Februar 296 Flüchtlinge untergebracht, was einem Anteil von rund 1,1 % an der Gesamtbevölkerung entspricht.
In diesen Gemeinden leben aktuell Flüchtlinge:
Groß Siegharts: 44
Karlstein: 26
Kautzen: 28
Raabs: 51
Vitis: 22
Waidhofen: 120
Waldkirchen: 1
Windigsteig: 4
Der Großteil der Asylwerber stammt aus Syrien und dem Irak. Auch einige Ukrainer und Menschen aus dem Kongo haben um Asyl angesucht und sind derzeit im Bezirk untergebracht.
Kaum Auswirkungen auf Arbeitslosigkeit
Das hartnäckige Gerücht, die Zahl der Asylwerber wäre für den Anstieg der Arbeitslosigkeit verantwortlich kann mit einem Blick in die Zahlen entkräftet werden. Von den 1.153 Menschen ohne Job im Bezirk stammen nur 30 nicht aus Österreich. Darüber hinaus dürfen Flüchtlinge ohne Asylstatus ohnehin nicht arbeiten.
Eine Karte mit allen Flüchtlingszahlen aus Niederösterreich finden Sie HIER.
Im Auftrag der Bezirksblätter hat das Institut Akonsult 604 Niederösterreicher zu ihrer Meinung befragt. Das sind die Ergebnisse:
Quelle: Bezirksblätter Umfrage durchgeführt von Akonsult KG
Stichprobe: n = 604 repräsentative telefonische Befragungen (CATI), niederösterreichische Wohnbevölkerung ab 16 Jahren. Die befragten Personen entsprechen in ihrer Zusammensetzung der niederösterreichischen Bevölkerung.
Zeitraum: 26. Jänner bis 1. Februar 2016
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