Kardinal-Interview
Schönborn über sein neues Zuhause, Stille & Einsamkeit
- Kardinal Christoph Schönborn hat MeinBezirk zu sich nach Hause in der Dammstraße im 20. Bezirk eingeladen.
- Foto: Valentina Marinelić/MeinBezirk
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Kardinal Christoph Schönborn hat MeinBezirk zu sich nach Hause in die Brigittenau eingeladen. Dort gab er ganz persönliche Einblicke in sein neues Leben als emeritierter Erzbischof. Geplaudert wurde auch über Handysucht, Einsamkeit und den wahren Duft von Weihnachten.
ÖSTERREICH/WIEN. Seit 22. Jänner 2024 ist Kardinal Christoph Schönborn emeritierter Erzbischof von Wien. Seitdem wohnt er im 20. Wiener Gemeindebezirk im Kloster der Kleinen Schwester vom Lamm. MeinBezirk durfte den Kardinal zum Weihnachtsinterview daheim besuchen.
In den gemütlichen Räumlichkeiten plauderte Schönborn über die Angst vor Einsamkeit, der Suche nach Stille und den wahren Duft von Weihnachten. Außerdem hat er verraten, wie ihm seine neue Heimat gefällt und wo er in der Brigittenau gerne zum Essen vorbeischaut.
Neues Zuhause in Wiener Kloster
Seit knapp einem Jahr wohnen Sie im Kloster der Kleinen Schwestern vom Lamm im Wiener Bezirk Brigittenau. Wie gefällt es Ihnen hier?
CHRISTOPH SCHÖNBORN: Ich habe ein schönes Zuhause gefunden, eine sehr liebe, herzliche Gemeinschaft. Ich feiere in der schönen Kapelle des Klosters sehr gerne Gottesdienst. Auch die Pfarren hier im 20. Bezirk haben mir geholfen. Ich war lange der zuständige Bischof, kenne die Priester, kenne die Gemeinden. Die Pfarre St. Brigitta befindet sich gleich ums Eck. Mit ihr bin ich sehr verbunden. Auch das hilft bei der Beheimatung. Und es ist weit genug weg vom Stephansplatz. Denn ich glaube, es ist gut, wenn der Altbischof dem neuen Bischof Platz lässt. Mir tut es gut, hier wirklich unter den Leuten zu leben.
Gibt es schon das eine oder andere Café oder Wirtshaus hier im 20. Bezirk, das Sie gerne besuchen?
Ich habe mein Stammlokal hier in der Dammstraße schon gefunden. "Der Lebenstraum" ist ein sehr beliebtes, echtes Wiener Gasthaus. Dort gehe ich regelmäßig essen. In der Wallensteinstraße gibt es eine Pizzeria, die ich gerne besuche. Der Eissalon, der sich ebenfalls in der Wallensteinstraße befindet, ist hervorragend. Valentina, die Chefin, hat jetzt Winterpause. Ich kenne den Straßenkehrer aus der Dammstraße, den Briefträger, den Trafikanten. Ich habe mich also schon richtig eingelebt.
"Einsamkeit schreit nicht"
Sie sind hier herzlich aufgenommen worden. Dennoch ist die Einsamkeit in unserer heutigen Zeit eines der größten Themen. Was kann die Kirche und was können wir als Gesellschaft dagegen tun?
Feststellen, beobachten, wahrnehmen. Wahrnehmen, denn Einsamkeit schreit nicht, sie macht keinen Lärm. Also muss man versuchen, aufmerksam zu sein. Wenn man in einem Mietshaus nie miteinander ins Gespräch kommt, erfährt man auch nicht, ob jemand einsam ist. Es braucht Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Empathie, Einfühlung. Je mehr wir das persönlich entwickeln, desto bewusster wird uns, wo die Einsamkeit ist.
- Die Bücherregale im Wohnzimmer des Kardinals wurden von den Kleinen Brüdern vom Lamm – die ein paar Häuser daneben wohnen – angefertigt.
- Foto: Valentina Marinelić/MeinBezirk
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Die Einsamkeit ist sehr leise. Dafür ist die besinnliche Zeit mittlerweile sehr laut.
Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass viele von uns sich danach sehnen, zur Ruhe zu kommen, aber auch Angst davor haben. Daher versucht man, die Zeit mit Erlebnissen und Eindrücken zu füllen. Aber das hilft nicht zur inneren Ruhe. Das große Thema ist, zur Stille zu kommen – in allen Religionen. Das ist, glaube ich, das große Thema der heutigen Zeit. Weil es einfach nicht still ist. Die Welt ist laut. Stille ist aber notwendig, damit die Seele zur Ruhe kommt. Es gibt dieses sehr schöne Kirchenlied "Meine Seele ist stille in dir". Aber wann kommt die Seele zur Ruhe?
Wir haben also einerseits die Einsamkeit und andererseits die Suche nach Stille?
Ja, das ist eigenartig: auf der einen Seite die Angst vor der Einsamkeit, auf der anderen Seite das Bedürfnis nach Stille, was ja nicht gut geht, wenn man mitten im Trubel ist. Darum finde ich es, zum Beispiel hier bei den Schwestern und den Brüdern, die ein paar Häuser weiter ihre Niederlassung haben, sehr schön, dass am Ende der Messe zehn Minuten Stille ist. Dass man nicht gleich wegrennt und sich in den Alltag stürzt, sondern das ausklingen lässt. Diese Momente der Stille sind so wichtig.
"Chatten ist keine Kommunikation"
Dennoch schauen Menschen, die sich nach Stille sehnen, eher Videos oder nutzen Selbsthilfe-Apps, als sich der Kirche zuzuwenden. Warum nehmen viele Menschen das Angebot nicht wahr?
Es wird die Zeit kommen, und ich glaube, sie ist auch schon da, in der junge Menschen genug davon haben werden, pausenlos auf ihrem Handy zu chatten. Ich beobachte das in der U-Bahn, im Bus, in der S-Bahn. Jeder sitzt und agiert mit seinem Handy. Das ist ja keine Kommunikation. Ich glaube, es wird kein Massenphänomen sein, aber mehr und mehr Menschen suchen auch einen Weg, um aus dieser Sucht herauszukommen. Die Handysucht ist wahrscheinlich die am weitesten verbreitete Sucht unserer Zeit – nicht mehr loszukommen von diesem Apparat, der großartige Möglichkeiten bietet und gleichzeitig eine Riesenfessel sein kann.
Anfangs ging es bei Social Media darum, mit anderen in Kontakt zu treten – eine schöne Sache. Doch heute wird Social Media unter anderem dazu benutzt, Hetze zu betreiben, zu radikalisieren und andere Menschen zu erniedrigen. Warum sind wir Menschen so?
Ja, auch die Axt ist missbraucht worden. Trotzdem war sie für das Überleben sehr wichtig. Pfeil und Bogen waren wichtig für die Nahrungssuche, aber leider hat man damit auch den anderen erschießen können. Das wird uns immer begleiten, weil es die Wirklichkeit des Bösen gibt. Nicht umsonst hat uns Jesus gelehrt, im Vaterunser zu beten: "Und erlöse uns von dem Bösen, befreie uns von dem Bösen."
Weihnachten kann auch Stress bedeuten
Bald ist Weihnachten. Gibt es eine Weihnachtsfeier, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ja, ich erinnere mich an ein Weihnachtsfest, an dem die Spannung zwischen meinen Eltern so spürbar war, dass es mich nicht gewundert hat, dass es zur Scheidung kam. Diese Realität ist bei aller Verschönerung von Weihnachten ein sehr weitverbreitetes Phänomen. Ein Fest wie Weihnachten ist in vielerlei Hinsicht auch Stress. Da muss die Familie zusammenkommen. Wie schafft sie das mit all den Spannungen, die in der Familie da sind? Wie wird man die Zeit verbringen? Singt man "O du Fröhliche"? Und ist man fröhlich? Auf der anderen Seite gibt es sehr, sehr viel Berührendes zu Weihnachten.
- Zur Stille zu kommen, sei das große Thema der heutigen Zeit, ist Kardinal Christoph Schönborn überzeugt.
- Foto: Valentina Marinelić/MeinBezirk
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Was zum Beispiel?
Ich darf seit 30 Jahren zu Weihnachten die Mette mit der Caritas-Gemeinde feiern. Das sind wirklich Armutsbetroffene. Wenn die Menschen "Stille Nacht" singen, dann ist das schon etwas sehr, sehr Echtes, wenn es nicht nur um das Festmahl geht, sondern man auch in einer gewissen Armut und Bescheidenheit zusammenkommt. Je näher man dem ursprünglichen Weihnachten kommt, desto echter ist es. Und das war halt nicht ein Christbaum, das war eine Krippe, das war ein Stall. Das war eine Herberge mit vielen Menschen nebenan. Und dort haben die Beteiligten eine Freude erlebt.
Mette mit der Caritas-Gemeinde
Wo haben Sie diese Freude erlebt?
Auf den Philippinen. Ich habe 1977 dort Weihnachten mit einigen Priestern in einem Slum gefeiert, in einer Kapelle, die wirklich armselig war. Die Gastfreundschaft dieser Menschen, die nichts hatten, ist für mich unvergesslich geblieben.
Welcher Duft ist für Sie mit der Weihnachtszeit verbunden?
Natürlich sind der Tannenduft und das Kerzenlicht etwas Besonderes. Was mich jedoch immer besonders berührt, ist, dass mitten in der Mette der Caritas-Gemeinde die ganze Liste der Verstorbenen des vergangenen Jahres vorgelesen wird – nur die Namen. Und ich weiß: Da ist niemand einsam gestorben, weil man aufeinander schaut, voneinander weiß und eben eine Gemeinde ist. Das ist für mich der Duft von Weihnachten. Die Freude darüber, dass hier niemand einsam sein muss.
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