Kommentar
Besteht Wien aus 184 Parallelgesellschaften?
Integrationsministerin Susanne Raab spricht mit Blick auf Wien von Parallelgesellschaften. Dass die Menschen, die sie dort einordnet, oft jene sind, die das System erhalten, übersieht sie. Wäre aber wichtig.
WIEN. Dass sich in Wien Parallelgesellschaften bilden würden und dass man kein "Chinatown" und "Little Italy" in Wien wolle, ließ Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) angesichts der Präsentation des neuen Integrationsberichtes wissen. Wovon Raab genau spricht, wenn sie das Wort "Parallelgesellschaften" bemüht, das blieb aber offen. In Wien jedenfalls leben Menschen aus 184 verschiedenen Nationen. Sind 183 davon Parallelgesellschaften zu den wirklich echten Wienern?
Einer der Bezirke, die die ÖVP in den vergangenen Monaten als Problembezirk ausgemacht hatte, ist Favoriten. Die türkise Stadtpartei fordert etwa die Schließung des Ernst-Kirchweger-Hauses (EKH). Dieses war nämlich Ende Juni in die Schlagzeilen geraten, als Kurden, linke türkischstämmige Personen und antifaschistische Organisationen am Viktor-Adler-Markt unter anderem gegen die türkische Regierung protestiert hatten. Diese Kundgebung wurde von rechtsgerichteten türkische Gruppen, etwa den Grauen Wölfen, gestört.
Wer in diesem Fall für Probleme gesorgt hatte, mit welchem politischen - nämlich in diesem Fall eben rechten - Hintergrund, so genau nahm es die ÖVP damals doch nicht. Die migrantischen Gruppen in Summe waren halt das Problem. Alles andere sind Details, die im Wahlkampf ruhig mal beiseite geschoben werden können. Ein paar Details sind aber manchmal ganz aufschlussreich.
Bleiben wir in Favoriten: Im 10. Bezirk leben 62,2 Prozent Österreichische Staatsbürger. 13,4 Prozent der Menschen kommen aus Ländern der EU und 24,4 Prozent aus Nicht-EU Ländern. Die Top 5 der ausländischen Staatsbürgerschaften im 10. Bezirk sind Serben mit 6,1 Prozent, gefolgt von Türken mit 4,7 Prozent, dann folgen EU-Bürger – Rumänen (2,6 Prozent), Polen (2,3 Prozent) und Bulgaren (2,1 Prozent). Übrigens: 31 Prozent der Favoritner Beschäftigten arbeitet am Bau oder im Handel. Sie bauen Wohnungen oder schlichten Supermarktregale ein.
Das sind unter anderem jene Bereiche, die gerade in den vergangenen Monaten als systemrelevant gekennzeichnet wurden, also Beschäftigte, die in der Corona-Krise das System am Laufen gehalten haben. Viele von ihnen sind allerdings in Wien nicht wahlberechtigt, oder aber, sofern sie EU-Bürger sind, nur auf Bezirksebene. In Wien leben also jede Menge Menschen, die unsere Gesellschaft dringend braucht, die aber nicht mitbestimmen dürfen. Sie einfach mal als Parallelgesellschaften zu bezeichnen, hilft bestimmt nicht bei der Integration.
Mit einer besonders pointierten Kritik hat jetzt die Kleinpartei Links, die in Wien am 11. Oktober auf Gemeindeebene und in den Bezirken kandidiert, auf die Aussagen der ÖVP-Ministerin in Bezug auf Wien geantwortet. Links ortet bei Ministerin Raab „Schwierigkeiten, sich in einer Großstadt wie Wien zurecht zu finden“. „Susanne Raab ist in Ampflwang im Hausruckwald aufgewachsen. Das ist eine im Bezirk Vöcklabruck gelegene Marktgemeinde in Oberösterreich. Ampflwang hat 3.382 Einwohner“, schreibt Links und präsentiert einen Stadtplan von Wien mit eigenen „Parallelgesellschaften“ in den Wiener Bezirken.
Die eigens für Raab gestaltete Stadtkarte der „Parallelgesellschaften“ solle die Angst vor Chinatowns und Little Italys nehmen und einige der Kulturen und Orte der Stadt näher bringen. Der 15. Bezirk wird hier als „Little Mogadishu“ bezeichnet. Mogadischu ist die Hauptstadt Somalias. Die Somalische Community betreibt in Rudolfsheim-Fünfhaus einige Vereinslokale. Der 10. Bezirk wird, selbsterklärend, als „Ministanbul“ bezeichnet. Mit Augenzwinkern schreibt Links die Innere Stadt etwa als „Russendisko“, den 13. Bezirk als „Beverly Hills“, den 7. Bezirk als „Bobostan“ oder den 14. Bezirk als „Nein herst, das ist kein violett, das ist lila!“
Die Grundaussage: Wien ist eine Großstadt. Menschen aus 184 verschiedenen Nationen leben hier. Sie alle wollen am Leben und an der Politik der Stadt teilhaben. Vorurteile sind der falsche Weg.
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