„Fürchtet euch nicht vor neuen Zeiten“

- Diözesanbischof Egon Kapellari
bringt WOCHE-Leserinnen und -Lesern
seine persönliche Botschaft zum Jahreswechsel nahe. - Foto: Diözese Gurk-Klagenfurt
- hochgeladen von Nadine Ploder
Diözesanbischof Egon Kapellari und seine persönlichen Gedanken zum Jahreswechsel.
Der Lebensweg eines Menschen führt über Schwellen. Es sind Zeit- und Raumschwellen. Sie laden ein oder zwingen zum Nachdenken über Woher und Wohin, über Weg und Proviant dafür. Eine solche Schwelle ist der Übergang in das Jahr 2015. Zeit wird heute sehr unterschiedlich erlebt. Man hat sie seit Beginn des 19. Jahrhunderts abwechselnd als reißende, als bleierne, als dürftige oder als hochwillkommen qualifiziert und auch im Jahr 2015 wird es all das geben: zugleich oder nacheinander für unterschiedliche Menschen und menschliche Gemeinschaften.
Wo stehen Österreicher, Europäer und Weltbürger am Beginn 2015 inmitten eines Weltpanoramas, das zumal durch Medien in der von ihnen verfügten Auswahl präsentiert wird? Generaldiagnostisch drängt sich in hoher Frequenz das Wort Krise auf. Man kann ihm nicht ausweichen, bräuchte sich aber als Angehöriger der Zivilgesellschaft wie als Christ nicht lähmen lassen. Die angezeigte Krise hat eine wirtschaftliche Dimension. Als angesagter Klimawandel hat sie eine ökologische und schließlich angesichts drohender Kulturbrüche, zumal wegen der Überalterung der angestammten Bevölkerung und wegen Veränderungen der Gestalt und Bedeutung von Religion, eine gesamtkulturelle Dimension. Christen und ihre Kirchen sind dadurch besonders zur Solidarität herausgefordert. Das II. Vatikanische Konzil hat darüber in seinem Dokument über Kirche und Gesellschaft in prägnant gesagt, dass „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ sind. Die Christenheit als ganze ist in Europa heute ein großer Teil der Zivilgesellschaft. Sie hat ihre eigenen Wunden und ist herausgefordert durch die Spannung zwischen kirchlicher Breite und Tiefe, durch einen innerkirchlichen Pluralismus aber auch durch einen offensiven Islam und einen neuen aggressiven Atheismus. Es ist dennoch keine Übertreibung, wenn man von der katholischen Kirche als von einer weltweit wirksamen Großmacht der Barmherzigkeit spricht wegen ihres weltweiten Einsatzes gegen Hunger und Armut, gegen Seuchen, soziales Unrecht vieler Art, Bildungsnotstände und die Gefährdung der Umwelt, die als Mitwelt verstanden werden muss, wenn sie nicht zerstört werden und selbst zur Zerstörerin werden soll.
An der Schwelle zum neuen Kalenderjahr ist vielen ein Wort des Weihnachtsengels an die Hirten von Bethlehem in Erinnerung. Es lautet „Fürchtet Euch nicht!“ und sollte auch den Weg in das neue Jahr begleiten. Dieses Wort ist kein Opium zu falscher Beruhigung. Es erspart nicht die Begegnung mit Krisen, sondern fordert dazu auf, Verantwortung zu übernehmen für sich selbst, für andere Menschen, für die Kirche und für die ganze Gesellschaft. Die Kirche darf und wird Europa nicht aufgeben: diesen Kontinent, der im Lauf der bisherigen Kirchengeschichte am längsten und fundamentalsten vom Christentum geprägt worden ist und dessen christliche Wurzeln heute trotz aller Säkularisierung millionenfach tragen und nähren.
Bischof Egon Kapellari
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