Experte: Asylwerberquartiere gehören nicht aufs Land, sondern in urbanes Umfeld

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BB: Anlässlich des Tages der Menschenrechte am 10. Dezember haben Sie von einer „harten, eingefrorenen Linie“ in der Vollzugspraxis beim Asylwesen gesprochen. Was genau ist „hart“?
GERHARD MORY: Das Asylwesen an sich ist schon unmenschlich, weil wir natürlich Menschen ablehnen müssen, obwohl sie rein menschlich betrachtet schutzbedürftig sind. Aber Menschlichkeit und Menschenrechte haben kaum etwas miteinander zu tun. Und gerade in den asylbezogenen Menschenrechten steckt nur eine sehr reduzierte Form von Menschlichkeit drinnen.

BB: Aber das österreichische Asylwesen entspricht doch den EU-Mindeststandards, und da ist ein erniedrigendes und unmenschliches Verhalten gegenüber Asylsuchenden verboten.
GERHARD MORY:
Dieses Verbot einer unmenschlichen Behandlung greift erst in haarsträubenden Situationen. Als Humanist bin ich hier immer wieder mit einer Realität konfrontiert, die unmenschlich ist – aber noch nicht rechtswidrig.

BB: In den letzten Jahren hat sich aber doch einiges verbessert, die Verfahrensdauer zum Beispiel wurde drastisch reduziert.
GERHARD MORY:
Das stimmt, jetzt werden die Verfahren oft regelrecht durchgepeitscht. Da kann man schon nach zwei, drei Monaten einen zweitinstanzlichen Bescheid haben. Und die aufgrund einer EU-Richtlinie eingeführten Rechtsberater, deren Aufgabe es ist, einen Bescheid zu beeinspruchen, wenn es der Asylwerber möchte, sind tatsächlich eine Verbesserung. Nur: Ohne die EU hätten wir das bis heute nicht in Österreich.

BB: Das heißt, eine Verfahrensdauer von mehreren Jahren gehört endgültig der Vergangenheit an?
GERHARD MORY:
Das Asylwesen ist sehr komplex. Ich habe einen Klienten, einen Palästinenser, der in einem Flüchtlingslager im Libanon geboren wurde. Er ist jetzt 36 und weiß nach zehn Jahren Asylverfahren in Österreich immer noch nicht, ob er bleiben darf. Und ich attestiere den Richtern bei uns ein Defizit an Menschlichkeit. Dieser Palästinenser ist seit seiner Geburt Flüchtling und schwer traumatisiert durch die ständige Angst vor einer Abschiebung. Und so wie bei ihm gibt es auch noch sehr viele andere Jahre alte Fälle, die ungelöst sind, das sind sozusagen die Fossilien des früheren Systems. Aber ich muss auch dankbar sein: Ich erlebe immer wieder Fälle, in denen ein Asylwerber aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wird. Diese Genfer Flüchtlingskonvention stammt ja aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und ist etwas, das heute nicht mehr zustande käme.

BB: Warum?
GERHARD MORY:
Wir leben in einer entsolidarisierten Gesellschaft, was uns fehlt, ist diese globale Solidarität, die es nach dem Zweiten Weltkrieg gab. Und wenn wir uns mit den so verbreiteten Charity-Veranstaltungen auch das Gegenteil beweisen wollen, so zeigen sie doch nur eine andere Seite derselben Medaille. Wenn wir nämlich eine solidarische Gesellschaft wären, dann bräuchten wir ja keine hundert Charity-Events. Und ich finde es toll, dass sich hier die Caritas und auch die Diakonie so klar positionieren und sich an die Seite der Flüchtlinge stellen. Aber ich frage mich: Warum nur die Kirchen? Wo ist hier der Staat, wo die Politiker? Wo sind die, die hier einmal ein offenes Wort finden? Es gibt sie nicht.

BB: Kommen wir nach Salzburg. Hier ist das Land zuständig für die Unterbringung von Asylwerbern – und das schafft es nicht zufriedenstellend. Warum ist es so schwierig Quartiere zu finden?
GERHARD MORY:
Im Kern steckt im Österreicher ein kleines Stück Ausländerfeindlichkeit. Es ist aber unsere Verpflichtung, Asylsuchende vorübergehend unterzubringen. Und dazu bräuchte es Menschen, die sich offen dazu bekennen, die sagen, „ja, ich bin dafür“. Wenn ich nur lieb und menschlich bin, solange es ums eigene Land und um Österreicher geht, ist das nicht die Humanität, die ein Christ leben sollte. Und es sind ja nicht zigtausende Asylwerber – denn die bleiben ja wegen des europäischen Systems meist in den EU-Randstaaten – und wie gesagt, die Verfahren werden jetzt immer mehr durchgepeitscht, das heißt, bei vielen es geht wirklich nur um eine vorübergehende Unterbringung.

BB: Was bräuchte es denn aus Ihrer Sicht, um hier einmal einen neuen Weg einzuschlagen und vielleicht mehr Erfolg zu haben?
GERHARD MORY:
Vielleicht eine Art „Flüchtlingsanwalt", auf Bundes- oder auch Landesebene, das meine ich als politische Funktion. Der sollte sich nicht um Einzelfälle kümmern, sondern Überzeugungsarbeit leisten, damit Österreich und auch Salzburg seiner Verpflichtung nachkommen kann. Ein Flüchtlingsanwalt könnte eine Art Ombudsmann sein, der auch einen Wahrnehmungsbericht liefert, wie es jetzt mit dem neuen Bundesgerichtshof läuft, der auf mögliche Schwachpunkte hinweist. Aber natürlich auch bei der Unterbringung der Asylwerber gäbe es für so jemanden viel zu tun: Wie sieht es in den Quartieren aus, welche Zustände herrschen dort? Es geht hier um sehr viel Menschlichkeit. Asylwerber können sich nicht selber helfen, sie brauchen unsere Hilfe. Und eines noch: Wer privat unterkommt erhält monatlich 320 Euro – davon muss er sich aber auch ein Quartier bezahlen. Nur damit einmal gesagt ist, um wie viel Geld es hier geht.

BB: Die Quartiere sind oft in ländlichen Gemeinden – ist das klug?
GERHARD MORY:
Meiner Meinung nach sollten Asylwerberquartiere bevorzugt in urbaneren Gegenden wie der Stadt Salzburg oder Hallein oder auch Zell am See sein. Ein Asylwerberheim am Ende eines Tals ist im Grunde genommen wieder eine Abschiebung, in dem Fall aufs Land. Das tut den Asylwerbern nicht gut, aber vor allem sorgt es in kleinen Gemeinden eher für Aufsehen. Denn was können die Asylwerber denn tun, als herumzuspazieren? Sie sind ja zum Nichtstun verdammt und dann fallen sie natürlich auf. In einem urbaneren Umfeld wäre das alles ein bisschen anders.

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