Psychotherpeutin schlägt Alarm
"Jedes fünfte Mädchen hat Selbstmordgedanken"

Es ist an der Zeit, psychischen Problemen und Krankheit endlich die gleiche Beachtung einzuräumen wie körperlichen Beschwerden.  | Foto: Plöchl
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  • Es ist an der Zeit, psychischen Problemen und Krankheit endlich die gleiche Beachtung einzuräumen wie körperlichen Beschwerden.
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Heike Plöchl arbeitet als Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision in Freistadt und ist Mitarbeiterin im Elco/kico-Projekt der pro mente. Mit der BezirksRundSchau sprach die studierte Erziehungswissenschaftlerin und dreifache Mutter unter anderem über psychische Gesundheitsvorsorge, die Auswirkungen der Pandemie, Tabus und Scham sowie die wirtschaftlichen Folgen von psychischen Erkrankungen. 

Heike Plöchl ist Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision und Mutter von drei Kindern im Alter zwischen 14 und 17. | Foto: Privat
  • Heike Plöchl ist Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision und Mutter von drei Kindern im Alter zwischen 14 und 17.
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Heike Plöchl, wir leben nun seit knapp zwei Jahren in einer Pandemie. Wie viele Menschen sind  derzeit von psychischen Erkrankungen betroffen?
Bereits vor der Pandemie gehörten seelische Störungen, vor allem Ängste und Depressionen, weltweit zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Nun erleben wir seit zwei Jahren eine Ausnahmesituation. Unsicherheit, Stress und Kontrollverlust lassen die psychischen Probleme weiter ansteigen. Eine Studie der Donau-Universität Krems zeigt, dass bereits im ersten Jahr der Pandemie depressive Symptome und Angstsymptome von etwa fünf Prozent auf ein Viertel gestiegen sind. Auch Schlafstörungen haben stark zugenommen.

Wie dramatisch sind die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche?
Sehr gravierend und besorgniserregend. Eine weiterführende Studie der Kremser Universität belegt, dass 62 Prozent der Mädchen und 38 Prozent der Buben unter einer mittelgradig depressiven Symptomatik leiden. Die Häufigkeit von Ängsten und Schlafstörungen hat sich verfünf- bis verzehnfacht. Rund ein Fünftel der Mädchen und 14 Prozent der Burschen leiden unter wiederkehrenden Selbstmordgedanken.

Warum leiden vor allem junge Menschen dermaßen unter der Coronakrise?
Viele alltagssichernde Strukturen sind weggebrochen. Durch die Schließungen der Schulen, Betreuungseinrichtungen und wichtiger Treffpunkte sind soziale Räume für Austausch mit Gleichaltrigen weggefallen. Viele Jugendliche mussten enttäuscht feststellen, dass sie diese so wichtige Zeit in ihrer persönlichen Entwicklung, wo sie Neues, Aufregendes erleben möchten und müssen, um erwachsen zu werden, alleine zu Hause verbracht haben. Einsamkeit, Frustration, Langeweile, Antriebslosigkeit, Überforderungsgefühle, Stress bis hin zu Sinnlosigkeitsgefühlen prägen die Gefühlswelt vieler junger Menschen. 

Vor allem Mädchen leiden besonders unter häufig unter depressiven Gefühlszuständen.  | Foto: littleny/panthermedia
  • Vor allem Mädchen leiden besonders unter häufig unter depressiven Gefühlszuständen.
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Was empfehlen Sie Eltern von betroffenen Kindern?
Für Eltern ist es oft schwierig zu akzeptieren, dass das eigene Kind an einer psychischen Erkrankung leiden könnte, die professionelle Hilfe erfordert. Oft machen sie sich selbst Vorwürfe und fühlen sich hilflos. Gelingt es, dem Kind offen, mit Anteilnahme und wirklichem Interesse, ohne Druck und Bewertung zu begegnen, wird dieses die Beziehung zu den Eltern als unterstützend erleben. Über seine Not erzählen zu können, ohne auf Kritik oder Ratschläge zu stoßen, kann für spürbare Entlastung sorgen. Bei länger andauernden Verhaltensänderungen und Gefühlseinbrüchen ist die Inanspruchnahme von psychologischer, therapeutischer und psychiatrischer Hilfe wichtig, denn je früher eine seelische Störung behandelt wird, desto höher sind die Heilungschancen. Angehörige sollten dabei nicht gehemmt sein, auch für sich selbst Unterstützung anzunehmen.

Welchen Einfluss hat unser psychisches Wohlbefinden auf unsere Gesundheit?
Der Körper reagiert auf Bedrohung ganz natürlich mit Angst- und Erregungszuständen. Hält dieser Spannungszustand an, können sich auch körperliche Beschwerden bilden. Werden dann vermehrt die körperlichen Symptome wahrgenommen und die darunterliegenden Emotionen ausgeblendet, können neuerliche Ängste auftreten, etwa vor einer schweren Erkrankung. Dies löst wiederum beunruhigende Stresshormone aus und ein Teufelskreis der Angst kann sich bilden. Es ist daher wichtig, den Menschen in seiner Gesamtheit von Körper, Psyche und Geist zu sehen.

Sollte die psychische Gesundheit einen höheren Stellenwert in unserem Gesundheitssystem haben? 
Allgemein wäre es wünschenswert, wenn neben der körperlichen Gesundheit auch der Fokus auf die psychische Gesundheit einen gleichberechtigten Stellenwert im Gesundheitswesen einnimmt. Mehr Prävention und mehr Verständnis für psychische Erkrankungen wären wichtig, und natürlich auch der Ausbau der Möglichkeiten für Betroffene und deren Angehörige. Dabei ist aber auch zu beachten, dass es der Initiative und Motivation der Betroffenen bedarf.

Wird das Thema immer noch zu sehr tabuisiert? Schämen sich die Menschen, zum Psychologen zu gehen? In anderen Kulturen ist das ja ganz normal.
Besonders im beruflichen Kontext haben viele psychisch erkrankte Personen Scheu, offen über Erschöpfungszustände, Ängste oder Depressionen zu sprechen, weil sie negative Konsequenzen befürchten. Die Abwesenheit wegen eines gebrochenen Beines ist noch immer deutlich akzeptierter als aufgrund von mentalen Beschwerden.

Die Pandemie hat aber gerade auch in der Berufswelt vielerorts für sehr belastende Arbeitsbedingungen und gesteigerten Zeit- und Leistungsdruck gesorgt. Daher gilt es besonders auch die psychische Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen. Wenn man bedenkt, dass gerade psychische Erkrankungen oft zu sehr langen Krankenständen führen, sollten neben der Prävention auch Frühinterventionen und die Begleitung und Wiedereingliederung von erkrankten Personen Unterstützung finden.

Hat die Coronakrise die Problematik mehr in den Fokus gerückt, vielleicht sogar einen positiven Beitrag geleistet?
Zwar ist das Thema der psychischen Belastungen und Erkrankungen durch die Coronakrise mehr in den Vordergrund gerückt, dennoch stellt es in der Gesellschaft immer noch ein Tabuthema dar. Psychische Krisen und Krankheiten können jede und jeden treffen, dennoch fällt es vielen schwer, darüber zu sprechen. Viele Betroffene wollen nicht einmal engen Vertrauten von ihrer inneren Not erzählen und erleben psychische Krankheit als persönliche Schwäche, für die sie sich oftmals schämen und selber kritisieren. Dabei könnte das Sprechen sehr entlastend sein. Manche erleben aber Kritik von ihrer Umwelt, wenn sie sich offen zeigen, oder können gut gemeinten Ratschlägen der Angehörigen nicht nachkommen, die selbst oft an Belastungsgrenzen stoßen. Auch für Angehörige ist es wichtig, gut auf sich selbst zu schauen und eigene Grenzen und Bedürfnisse zu achten.

Teilweise warten Betroffene wochen- oder monatelang auf einen Therapieplatz und dann wird er oft nicht mehr wahrgenommen. Wer sich keine private Therapie leisten kann, bleibt auf der Strecke. Wie kritisch sehen Sie das Mangelangebot an Kassentherapeuten oder Therapieplätzen und die langen Wartezeiten?
Bei kostenfreien Therapieplätzen zeigen sich aktuell lange Wartezeiten, man sollte sich davon aber nicht entmutigen lassen, nach weiteren Hilfsangeboten etwa von Telefon- und Online-Beratungsdiensten, psychosozialen Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen zu suchen.

Vor knapp drei Wochen hat die Bundesregierung angekündigt, in Form eines speziellen Projektes mehrere Millionen in die psychische Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu investieren. Was sagen Sie zu diesem Vorhaben, wichtiger Schritt oder Tropfen auf dem heißen Stein?
Das neue Projekt der Bundesregierung „Gesund aus der Krise“ soll nun den Zugang zur Psychotherapie für junge Menschen bis 21 Jahre erleichtern und will damit die psychosoziale Unterstützung von etwa 7.500 jungen Menschen, die durch die Covid-19-Krise besonders psychisch belastet sind, gewährleisten. Experten sprechen zwar von einem Tropfen auf dem heißen Stein, da die Versorgung im Bereich der psychischen Gesundheitsleistungen bei Kindern und Jugendlichen bereits vor der Pandemie mangelhaft gewesen ist. Dennoch sind die Maßnahmen, mit denen junge Menschen rasch und unkompliziert Unterstützung bekommen sollen, ein wertvoller Beitrag für die Gesundheitsförderung und ein Signal: Wir nehmen die Kinder und Jugendlichen und ihr psychisches Leiden ernst.

Nähere Infos: psychotherapie-ploechl.at

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