Inntaler Höhenweg von Ost nach West: 6 Tage und 5 Nächte in den Tuxer Alpen

Gebetsfahnen und Sonnenuntergang auf der Terrasse der Kellerjoch Hütte
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"Es ist egal, welchen Berg man besteigt, oben wird man immer weiter sehen," schrieb Reinhard Karl. "Was man da oben sucht, ich weiß es nicht. Die Wahrheit ist so kompliziert, dass sie niemand versteht. Eigentlich ist der Berg nur ein nominelles Ziel. Was zählt sind die Stunden, Minuten, Sekunden, wie man sie verbringt."

Von der Schwazer Altstadt auf die Kellerjochhütte

Wir trafen uns zu viert am 23. Juli 2012, an einem Montag, in St.Veit an der Glan, bepackt mit großen Rucksäcken,mit schweren Bergschuhen und Teleskop-Stecken. Mit Elfi, Lisa und Fritz waren Doris und ich schon im Vorjahr sechs Tage lang rund um die Texel-Gebirgsgruppe in Südtirol getrekkt. Heuer hatte Elfi die Planung und Organisation übernommen und eine kluge Variante des Inntaler Höhenwegs gewählt, der zwischen 1800 m und 2800 m durch eine weitgehend unberührte, einsame Berglandschaft der Tuxer Alpen führt.

Elfi sollten wir mit Brigitte und Julio in Schwaz am Bahnhof treffen. Fritz fuhr mit Lisa, Doris und mir über Salzburg und Bayern nach Nordtirol.

In Salzburg hielten wir an einer größeren Autobahnraststätte, um zu tanken. Fritz tankte, ging zahlen, während Lisa und Doris in das Hauptgebäude mit Shop und Restaurant gingen.

Ich fuhr den Wagen dann auf den Hauptparkplatz, sperrte ab und ging die anderen suchen. Ich war dabei völlig ohne Sorge, denn an einer verhältnismäßig übersichtlichen Raststätte sind die anderen bald alle gefunden. Meinte ich. Fakt war, dass ich zehn Minuten weder Lisa, noch Doris und schon gar nicht Fritz fand. Allesamt Individualisten, allesamt kreative Denker, von den ein oder anderen Wünschen und Nöten Geplagte, waren sie unauffindbar für mich.

Elfi, Brigitte und Julio indes standen Stunden später am Schwazer Bahnhof wie vereinbart pünktlich an Ort und Stelle und Doris und ich machten uns mit Brigitte und Julio bekannt und wir sahen in wache, erwartungsvolle und lachende Augen. Wir gingen gemeinsam noch in die Altstadt von Schwaz, Lisa und Fritz parkten ihr Auto beim Städtischen Bad und mit einem Taxi fuhren wir alle zur Kellerjochbahn, die uns auf luftige 1887 m Höhe brachte.

Wir stiegen zur Kellerjoch Hütte auf luftige 2237 m Höhe auf. Ein freundlicher Hüttenwirt empfing uns. Wir brachten unsere Rucksäcke aufs Zimmer und kletterten vor dem Abend noch auf das Kreuzjoch, dem Hauptgipfel des Kellerjochs, auf dem eine Bergkapelle steht. Nach dem Abendessen standen wir auf der mit Gebetsfahnen geschmückten Terrasse und sahen uns den Sonnenuntergang an.

Die Nacht war kalt. Im Lager stand ein Ofen. Der Wirt heizte, Rauch schlug zurück. Er putzte den Ofen aus, heizte nochmals an, noch immer schlug der Rauch zurück ins Zimmer und im Lager wars nicht so gemütlich, wie es hätte sein sollen.

Lawinenschutzverbau oberhalb von Hochfügen

Am 24.Juli stiegen wir über breite Almenrücken, vorbei an Hochmooren und einem verzauberten Birkenwald nach Hochfügen ab.

Lisa verlor ihre toughe Sonnenbrille bei einer Rast, und wir kamen nach Hochfügen: Ein Bach, Hotelkomplexe, monströse Schilifttalstationen und unglaublich viele Lawinenschutzbauten weit oben auf den Bergen.

Julio meinte mit Blick auf den flächendeckenden Schutzverbau , er fürchtet sich da ein wenig. Wir fanden einen kleinen Kiosk und saßen bei Speck, Brot und Getränken im Schatten, während Lisa im Kiosk eine neue, spacige - (ich glaube, so darf man sie bezeichnen - da sie aus dem Fundus von Star-Trek Utensilien entnommen sein könnte) - Sonnenbrille erstand. Im Kiosk sah man noch Speck, harte Würste, bunte Kindersonnenbrillen, Säfte, ein paar rüstige Bergwanderer, die an einem Holztisch saßen, vor dem Kiosk saßen einige in die Jahre gekommene Biker und wir mit Speck und selbstproduzierten Kraftriegeln.

Nach einem langen, aber leichten Anstieg kamen wir zum Sidanjoch (2127 m) und weiter zur Rastkogel Hütte. Das Essen und die Übernachtung waren unspektakulär, das Wetter das Gegenteil: Am Abend hagelte es, am Morgen blickten wir auf dunkle, wolkenverhangene Gipfel. Wieder am Sidanjoch angekommen vernahmen wir Donnergrollen und es begann leicht zu regnen, dann kurz zu schütten. Brigitte und Lisa halfen mir mit dem Wetterschutz, irgendwann waren die Hose bis zu den Oberschenkeln klatschnass, aber so rasch das Wetter gekommen war, so rasch war es wieder fort. Wir querten auf einem schmalen Grat steile Berghänge, kamen an zwei Bergseen vorbei und sahen unsere ersten Murmeltiere. Nach dieser Idylle trekkten wir steil bergauf. Steinbrocken, Steine und erdiger Untergrund, Kehre um Kehre nach oben und am Ende standen wir am Rastkogel auf 2762 m. In einem breiten Felsenspalt hatten schon ein paar Bergsteiger Schutz gesucht. Einer machte Fotos von uns allen. Danach gings über Geröll nach unten bis zu einem breiten Grad. Auf einem schmalen, wunderbar ausgetretenen Weg ohne Steine gingen wir auf gut und gerne 2500 m Höhe der Weidener Hütte entgegen, die dann die bislang schönste Hütte am "Inntaler" sein sollte.

Ein falscher Tibeter und Julia Roberts
Mittwoch, 25.Juli

Berühmt könnte der bulgarische Kellner werden, den unser Fritz fragte, ob er aus Tibet sei. Ebenso im Licht der Öffentlichkeit könnte die Hüttenwirtin stehen, die laut Fritz eine latente Ähnlichkeit mit der US-Schauspielerin Julia Roberts hatte. Die Weidener Hütte hatte ein helles, hervorragend designtes Lager mit einer neuen Holzdecke, schönen Holzbalken. Schöne Nasszellen, Toiletten, ein sauberer Trockenraum, ein großer Raum für Schuhe mit Schuhwärmer und moderne Gaststuben ergänzten das Angebot.

Manche von uns litten unter Schlaflosigkeit. Wir hatten kein Melatonin mit. Andere hatten durch die ungewohnten Riegel Probleme mit dem Magen. Wir hatten auch kein Basenpulver mit.

Fritz schlief in der Weidener Hütte auch schlecht. Nach dem Frühstück - ab einer bestimmten Zeit wurde das Frühstücksbuffet gnadenlos weggeräumt - standen wir im Hof der Hütte. Wir waren alle mit Rucksack und sämtlichen Ausrüstungsgegenständen angetreten, veranstalteten eine mehr oder minder militärische Befehlsausgabe und traten mit kraftvollen Stechschritt mit schrillem Pfeifton ab. Dieser sorgfältige Abtritt war Julia Roberts geschuldet, die die Hütte, die Tiroler Mandln, den falschen Tibeter aus Bulgarien und einen Nepalesen bei kraftvoller Präsenz unter ihrer Obhut hatte.

Bouldern in der Wattener Lizum
Donnerstag, 26.Juli

Nach dem "Auszug" trekkten wir fröhlich zur Grafennsalm und dann führte ein Steig steil bergauf zum Grafennsjoch. Ganz oben am Grad tauchte kurz ein Hubschrauber auf, später überflog uns ein weiterer mehrmals. Wir waren in der Wattener Lizum. Um ein Haar wären wir zu weit ins Tal abgestiegen, Julio brachte uns mit seinem GPS Gerät und dank seiner mühevollen Vorarbeit, wieder auf den richtigen Weg, der unterhalb vom Hippold, der Eiskarspitze und der Torspitze zur Soldatenkirche führte und weiter zur Lizumer Hütte. Brigitte, Lisa, Doris und Elfried querten den Militärstützpunkt entlang des Pferdestalls, Julio, Fritz und ich stapften brav zur Soldatenkirche hinauf und weiter zur Hütte.

Der Wirt der Lizumer Hütte war ein hölzernes Tiroler Gewächs. Seinen Schmäh haben wir nicht so richtig verstanden. Er blieb uns ein Rätsel. Wars nur eine kraftvolle Ausprägung eines vom Wind, Schnee und Regen gegerbten Gebirgscharakters? So einen nennt man ein Original.

Der deutsche Koch war kommunikativ, nett und hilfsbereit. Elfi und Brigitte verhandelten noch mit dem Hüttenwirt über ein eigenes Zimmer, zumal Elfi schon wochenlang vorher ein Zimmer bestellt hatte und nun Brigitte, Elfi und Julio mit einem zweiten Mann in ein Zimmer gepfercht worden war. Nach fünfminütiger Verhandlung gab der Hüttenwirt nach.

Nach dem Abendessen saßen wir vor der Hütte. Später gingen Fritz und ich bouldern, während Elfi, Doris, Lisa, Brigitte und Julio auf dem schönsten Felsen der Alm geklettert waren und inmitten von Blumen und Bächen auf den Sonnenuntergang warteten. Der Abend war wundervoll.

Neun Stunden Highspeed und stundenlange Blockkletterei in 2700 m Höhe
Freitag, 27.Juli

"Der Abschnitt Glungezerhütte - Lizumerhütte entwickelt sich zum Höhepunkt auf der München-Venedig Route. Viele gehen unwissend die Talwege zur Lizumerhütte und wissen nicht, was sie an Naturschönheit, Faszination wie Fernsicht, Einsamkeit und kurzweiliger Gratwanderung versäumen." Gottfried, Glungezerwirt

Zeitig standen wir vor der Lizumer Hütte. Auch ich hatte es ohne wesentliche Verzögerung in den Hof geschafft. Dieser Tag, das war uns allen bewußt, würde anstrengend werden. 9 bis 10 Stunden waren für den Weg beschrieben, der als Weg über die "seven tuxer summits" beschrieben ist. Der Koch der Lizumer Hütte hatte Doris Speckbrote eingepackt und ihr, wie wir beim Jausnen später sahen, ein Mars dazugeschenkt.

Annähernd 1400 Höhenmeter sind dabei im Aufstieg zu bewältigen und 750 Höhenmeter im Abstieg. Wir trekkten sehr rasch zum Klammjoch auf 2359 m hoch. Bis jetzt hatten wir Bäche und Wasser in Hülle und Fülle gesehen, nun wars damit völlig vorbei. Wir gingen noch zur Schoberspitze auf 2448 hoch, dann machten wir noch eine Pause, ehe der Anstieg zur Grafmartspitze auf 2720 m begann. Doris hatte nun auch ihre Brille verloren, aber sie hatte eine Ersatzbrille mit, die meine. Kiosk war nun keiner mehr zu erwarten und der Wasservorrat von Doris war bald erschöpft, ich hatte keines mit, was mich vorerst nicht weiter tangierte. Die Grafmartspitze kam, nun nahm die Blockkletterei kein Ende mehr.

Schuttberg um Schuttberg: Wir gingen zur Grünbergspitze hoch (2790 m), dann runter in ein Karr, wieder hoch, diesmal zum höchsten Gipfel, dem Rosenjoch auf 2796 m. Wenige Meter unterhalb der Gamslahnerspitze gings weiter über Blöcke, über Schutt. Ich griff in ein Stahlseilende rein, dass nicht abisoliert war, blutete, hatte dann eine Menge Blut im Mund. Irgendwo saßen wir dann auf einem Felsblock. Längst trank Doris und ich nur mehr Schneewasser, Schnee den Doris aus Schneefeldern in die Flasche gepresst hatte. Julio gab Doris dann einen Teil seines Wassers ab. Anfangs war ich noch im Vorstieg gegangen, jetzt war ich Letzter. Brigitte und Lisa und Elfi warteten, als ich hinterherkletterte, nahmen mich in die Mitte, und wir kamen nach mehreren Stunden Blockkletterei zum Glungezer.

Am 29. Februar 1964 kollidierte eine Bristol Britannia 312 der British Eagle International Airlines in 2600 Metern Seehöhe mit der Ostflanke des Glungezer. Die Maschine befand sich im Landeanflug auf Innsbruck. Alle 75 Passagiere und acht Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Ein Denkmal am Glungezer erinnert heute an die Katastrophe.

Unter uns sahen wir nun die höchstgelegene Hütte unserer Bergtour: Die Glungezer Hütte wurde in einer Höhe von 2610 m erbaut. Der Wirt ist ein Philosoph und ein sehr tüchtiger Hüttenwirt, der sogleich eine kurze Besprechung mit unserer Gruppe ansetzte. Aus kleinen Boxen tönten leise, coole Songs. Das Abendessen war gut, das Wasser war knapp hier oben. Die Zimmer eng. Während Lisa, Doris, Elfi, Fritz und ich in einem kleinen Zimmer schliefen, nächtigten Brigitte und Julio mit zwei Bergwanderinnen in einem besonders kleinen Zimmer und eine hustete die halbe Nacht durch. Julio war am Morgen geschlaucht.

Haubenkoch Johann Schweiger kocht für uns in Innsbruck
Samstag, 28.Juli

Brigitte, Elfi und Julio eilten den Glungezer hinunter zum Patscherkofel. Sie mussten zum Hauptbahnhof in Innsbruck. Wir gingen durch einen herrlichen Zirbenwald und bald waren wir alle bei der Bergstation der Patscherkofelbahn. Hier sprach mich ein Mitarbeiter der Bergbahn auf mein St.Veit an der Glan T-Shirt an und es stellte sich heraus, dass sein bester Freund ein Drasendorfer gewesen war, den Lisa und Fritz natürlich gekannt hatten. Unten in der Talstation warteten ein Bub im Dress der spanischen Nationalmannschaft (eine Hommage an unseren Julio), Hansi und Willi. Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander und Willi fuhr Brigitte, Julio und Elfi zum Innsbrucker Bahnhof. Hansi fuhr uns zu Huberta und Willis Wohnung. Hansi kochte ein wohlfeiles Risotto- und ein Nudel-Gericht mit Eierschwammerln. Huberta und Willi waren vorzügliche Gastgeber. Erst jetzt war die körperliche Spannung weg. Die Tour war zu Ende.

Reinhard Karl schrieb während einer Bergtour: "Für einen Moment habe ich das Gefühl wunschlos zu sein, ich glaube, man nennt das Glück."

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