Premierenerfolg für Theaterforum Humiste
Stark gespielte Botschaft aus dem Eis – Standing Ovations für „ferner“ von Martin Plattner

Mit starker Besetzung, gekonnter Regie und überzeugendem Spiel führte das Theaterforum Humiste durch einen gelungenen Premierenabend.
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IMST(alra).Mit dem Stück „ferner“ des im Pitztal aufgewachsenen Autors Martin Plattner startete das Theaterforum Humiste in das Spieljahr 2024. Zu sehen ist starker gegenwartskritischer Stoff, der ein Abbild gesellschaftlicher Verrohung in Bezug auf das Thema Flucht skizziert. Das Mittelmeer als zum Gletscher erstarrtes Massengrab ist der Schauplatz für ein ebenso surrealistisch wirkendes wie unmittelbar aus dem Leben gegriffenes Sichtbarmachen einer drastischen Absage an die Menschlichkeit. Die Premiere erfolgte am 24. Februar in der Stadtbühne Imst vor ausverkauftem Haus und schwer beeindrucktem Publikum.

In knapp eine Stunde Spielzeit ist der tiefgründige Inhalt von „ferner“ gepackt. Dementsprechend intensiv und mit Nachdruck nehmen sich Darstellung und Botschaften aus. Ein Stück, das an die verheerenden Folgen großer humaner Defizite erinnert. Fehlende Empathie, ein Mangel an Solidarität und emotionale Kälte führen in „innere“ Eiszeiten und eine Entmenschlichung von Schicksalen. Fünf Protagonist*innen sind im sprachgewaltigen Einsatz – die Bewohnerin eines Pflegeheimes, gespielt von Andrea Raich, die anonym Zimmer XXIII genannt wird, eine Oberpflegerin von Leni Rauch verkörpert sowie Florian Jonak als Zivildiener. Weiters Valentina Eberlein und Martin Lechleitner, die als sogenannte Dunkelziffer auftreten, in der sich unzählbare Einzelschicksale verdichten. Das reduzierte Bühnenbild erlaubt bemerkenswert deutliche Assoziationen, die von der ewigen Einsamkeit des Gletschereises bis zur tiefen Unendlichkeit des Meeres reichen. Wenige und klug gewählte Elemente prägen die Bühne, auf der Martin Plattners komplexes Werk sich unter Michael Rudigiers Regie im abstrakten Setting wirkungsvoll entfaltet.

Eisiger Schauplatz, heißes Thema

Die ältere Bewohnerin Zimmer XXIII, flieht aus dem Pflegeheim und findet sich mitten in einer Gletscherlandschaft wieder. Dort nimmt sie Stimmen aus dem Eis wahr. Sie gehören zu den Menschen, die einst auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken sind. Das Mittelmeer gibt es längst nicht mehr. Es herrscht Eiszeit und was einst als warmes Gewässer in Bewegung war, ist jetzt ein erstarrtes Gletschermassiv, das unzählige Menschen und ihre persönlichen Geschichten schockgefroren umschließt und wie ein riesiges Mahnmal an einen menschenverachtenden Akt erinnert oder ihn eben gekonnt verdeckt.

„…als wären wir ein auf Glatteis geratenes Barbarenvolk“,

denkt Zimmer XXIII laut nach. Glatt und eiskalt zeigt sich auch die Oberpflegerin, deren radikales Gehabe eher an abgestumpfte Kriegsführung wie an fürsorgliche Betreuung erinnert. Ihr nahezu ausgeliefert ist ein junger Zivildiener, der in schwere Gewissenskonflikte zwischen Gehorsam und Betroffenheit gerät. Beide befinden sich auf der Suche nach Zimmer XXIII und gelangen ebenfalls in die Gletscherlandschaft.

Hörbar und sichtbar machen

Die Stimmen aus dem Eis werden deutlicher – der Wunsch sie zu überhören, sie zu verdrängen ebenso. Doch mit dem Erscheinen der personifizierten Dunkelziffer wird das nicht wahrhaben wollen von Tatsachen schwierig. Anonymisiert, vergessen, in eine Gesichts- und Seelenlosigkeit gedrängt, erheben die Toten nun ihre Stimmen. Sie wagen den Versuch, das Eis zu durchbrechen, zu erinnern und ein Mitfühlen auszulösen. Dies kratzt unangenehm an der Komfortzone jener, die im Schutzpanzer der Arroganz und Ignoranz stecken. Zimmer XXIII hält den Verdränger*innen den Spiegel der Realität vor und fordert Auseinandersetzung: „Es gibt keine Flucht, wir müssen da durch.“

Prägnant inszeniert, intensiv gespielt

Für Regie und Bearbeitung zeichnet Michael Rudigier verantwortlich, der das Stück mit stilistischem Feingefühl inszeniert hat und der Relevanz des Themas im eigentlichen und metaphorischen Sinn mehr als gerecht wird. Eine Abfolge von zeitlos die Schlagzeilen bzw. den Alltag beherrschender Themen rund um Flucht, Pflege und Betreuung, Entmenschlichung und emotionaler Kälte findet sich in „ferner“ wieder. Versinnbildlichte Elemente, die sich auf das Fehlen von Fürsorge, Empathie, Achtung, Respekt, Verantwortung und vor allem Solidarität beziehen, wachsen aus Eis und Meer und aus dem eindringlichen Spiel des authentisch besetzten Ensembles. Die fünf Charaktere werfen große Fragen und Antworten auf, die dringend persönliche und allgemeine Auseinandersetzung fordern. Fünf Menschen, die stellvertretend das fragwürdige Konstrukt einer Gemeinschaft abbilden, die geschichtlich wohl als „barbarisches Volk“ reflektiert werden wird – so zumindest die Einschätzung von Zimmer XXIII:

„Nach dieser Eiszeit. So in sechstausend Jahren. Werden wir dann Menschen sein, oder eben doch nur Leute?“

Eine große Aufführung mitten aus dem Eis, die ganz und gar nicht kalt lässt, aber für so manchen eiskalten Schauer sorgte und zum Nachdenken anregt – direkt, ohne Umweg, ohne Ausflüchte. Eine fulminante Premiere für die das Theaterforum Humiste zurecht mit Standing Ovations aus dicht besetzten Reihen gefeiert wurde.

Was:Theaterforum Humiste „ferner“ von Martin Plattner

Wann: Premiere am Samstag, 24. Februar 2024, 20 Uhr, Matinee am Sonntag, 3. März 2024, 11 Uhr, 1., 8., 9., 10., 16., 17., 23., 24. März – Freitag und Samstag um 20 Uhr, Sonntag um 18 Uhr

Wo:Stadtbühne Imst, 6460 Imst, Stadtbühne 3

Kartenreservierung erforderlich: 0664 6360646

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