Lokalaugenschein Vinzibus
Bei der Markthallengarage zum Abendessen

An diesem Abend waren Karla (rechts) und Aylin mit dem Vinzibus unterwegs.
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Allabendlich steht ein Bus mit warmen Essen vor dem Parkhaus der Markthallengarage. Er bringt für viele die einzige Mahlzeit des Tages. Ein Lokalaugenschein beim Abendmahl der Straße.

INNSBRUCK. Der Wind weht so stark, dass das Laub wie in winzigen Tornados durch die Straßen fegt. Es ist Donnerstag 18:45 Uhr und die Dunkelheit ist bereits angebrochen. In der Einfahrt zur Markthallengarage haben die ersten Gäste Unterschlupf vor dem starken Wind gefunden und nippen an ihren Dosenbieren. Meine Ankunft ist auffallend, das merke ich gleich. "Kommt der Vinzibus hierher?" Die Männer nicken und sehen mich fragend an. "Seid ihr überrascht, dass ich hier bin?" Ungewöhnlich sei es, wenn eine junge Frau bei der Essensausgabe auftaucht. Ich komme mit beiden, Thomas und Richie, ins Gespräch. Thomas fängt an zu reden. Seit einem halben Jahr kommt er zur Essensausgabe. Er ist gelernter Koch. Als seine Frau starb, fing alles an.

Von Tod und Alkohol

Die Schicksale ähneln sich. Es geht um fehlende soziale Netzwerke, um Arbeitsverlust, um Tod, um Alkohol und psychische Krankheiten. "Ich schaff es nicht, vom Kopf her", zeigt Thomas mit einem Finger auf seine Schläfe und meint damit, wieder eine Arbeit zu finden. Er sagt, man müsse so viel in die Zeitung schreiben. Ich will wissen, was er schreiben würde. Dass er keine Wohnung in seiner Heimatgemeinde im Unterland bekommt, obwohl er schon seit drei Jahren wartet. Stattdessen schläft er tagsüber in Zügen und geht nachts durch die Stadt.
Diese Essensausgabe ist einer der wenigen Fixpunkte im Tagesablauf vieler Personen, deshalb ist es besonders bitter, wenn einmal der Vinzibus nicht kommt, wie es erst kürzlich aufgrund eines organisatorischen Missverständnisses der Fall war.

"Man kommt lange ohne Essen aus"

"Dann bleibt man halt einen Tag hungrig. Der Mensch kommt lange ohne Essen aus", meint ein anderer Gast, als ich frage, wie er an dem Tag seinen Magen gefüllt hat. Statt zu kritisieren, bricht er eine Lanze für die Einrichtungen, die in Innsbruck Essen ausgeben. "Dass man in der Stadt hungern muss, das ist ein Blödsinn. Man bekommt immer Essen, wenn man will", sagt er. Auch seine Geschichte ähnelt der von Thomas. Die Frau hat ihn verlassen, sein Kind hat er nicht mehr gesehen, die Arbeit verloren. "Wann war das?", er muss überlegen. "Vor zwanzig Jahren." Auch er kommt aus der Gastronomie. "Arbeit gäbe es ja genug", zeigt er Richtung Altstadt. "Ich nehme mir immer wieder vor, morgen eine zu finden, und plötzlich vergehen zwanzig Jahre."

Aus dem Ausland

Ein anderer Mann mit gepflegtem Bart und einem offenen Blick überrascht an diesem Abend am meisten. Er spricht drei Sprachen und sieht nach einem ruhigen, ausgeglichenen Menschen aus. Er erzählt nur tröpfchenweise seine Geschichte.  Er kam zum Arbeiten nach Innsbruck, verletzte sich und wurde gekündigt. Zum ersten Mal sei er obdachlos. Als es passiert war, musste er viel weinen. Eine gute Seele gibt ihm jetzt Unterschlupf, aber er fühlt sich im Stich gelassen von der Gesellschaft. "Sobald ich nicht mehr fähig war zum Arbeiten, war ich nichts mehr wert." Er hat den Glauben an das Gute in den Menschen verloren. Er löffelt das Paprikahuhn mit Reis aus dem Porzellanteller. Ich will wissen, ob es ihm schmeckt. "Wo ich herkomme, fragt man das nicht. Wenn man was bekommt, nimmt man es, ohne zu fragen."

Wunschdenken

Alle sind sehr dankbar, dass es den Vinzibus gibt. Es gäbe aber oft Reis. Ein Schweinebraten mit Kartoffelpüree, Marillenknödel oder ein Schnitzel, das wäre ganz nach dem Geschmack einiger von ihnen – pures Wunschdenken. Und auch hinsetzen könne man sich hier nicht. Eine warme Stube fehlt ebenfalls. Zum Schluss wird Brot in Sackerl ausgegeben und jemand vom Roten Kreuz fragt, ob medizinische Hilfe gebraucht wird. Die Leute schütteln den Kopf, ziehen sich die Kapuze über und so schnell sie gekommen sind, zerstreuen sie sich wieder in allen Himmelsrichtungen – gemeinsam mit dem Laub, den der Wind noch immer durch die Straßen treibt.

Über den Vinzibus

Seit 18 Jahren ist der Vinzibus in Innsbruck unterwegs und verteilt abends warmes Essen an drei Standorten. Vor der St. Paulus Kirche in der Reichenau, der Wolfgangsstube in der Innenstadt und bei der Markthallengarage. Das Essen wird vom Altenheim St. Raphael gekauft, das Brot und Gebäck kommt vom Baguette als Spende. Die Anfrage nach dem kostenlosen Essen steigt seit einigen Wochen. Der Obmann Markus Bachor merkt auch einen Anstieg innerhalb der örtlichen Bevölkerung, die mit eigenen Behältern vorbeikommt. Früher konnte man bei der Essensvergabe immer großzügig Nachschlag geben – damit muss man jetzt vorsichtiger umgehen.
Seit einigen Jahren setzt der Verein auch vermehrt auf den Umweltgedanken. Es gibt kein Einweggeschirr mehr – die Gäste finden das ebenfalls sehr angenehm – und ein neuer E-Bus fährt das Essen aus. Täglich werden zirka 50 Portionen Essen ausgeteilt. Zu Spitzenzeiten bis zu 70 Portionen. Für das nächste Jahr wurden aufgrund der erhöhten Lebensmittelkosten 10.000 Euro mehr Geld budgetiert, insgesamt also 42.000 Euro, die zu je 1/3 von Stadt und Land, bzw. aus eigenen Spenden finanziert werden. Beim Vinzibus arbeiten über 40 Freiwillige, die sich stetig abwechseln.

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