Tirol sagt JA zur EU
„Es ist eine sehr wichtige Wahl“

Der Haiminger Spitzenbeamte Richard Seeber | Foto: privat
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EXPERTE. Der Haiminger Spitzenbeamte Richard Seeber leitete von 1995 bis 2004 und wieder seit 2014 das Tirol-Büro in Brüssel und war selber zwei Perioden Mitglied des Europäischen Parlaments. Das Interview führte Sieghard Krabichler.

Seit 1995 gibt es das Tiroler Verbindungsbüro von Nord-, Südtirol und dem Trentino in Brüssel. Was sind die Hauptaufgaben?

RICHARD SEEBER: „Wir sind eine regionale Vertretung bei der EU in Brüssel und bringen die Interessen unserer Länder in den EU-Entscheidungsprozess ein. Zudem informieren wir sowohl unsere Regierungen, Beamten und auch die BürgerInnen über Aktuelles aus Brüssel. Weiters organisieren wir Konferenzen, Fortbildungsseminare, Besprechungen, Programme für unsere Politiker und vor allem auch für junge Menschen und andere Gruppen. Wir sind Ansprechpartner für die TirolerInnen, falls sie Fragen und Anliegen an Europa haben. Es ist ein breit abgestecktes Themenfeld.“

Und wie haben sich die Schwerpunkte seit dieser Zeit verändert?

„Inhaltlich haben sich die Schwerpunkte verändert, weil sich ja die EU weiterentwickelt hat und die Zeit nirgendwo stehen geblieben ist. Themen wie Verkehr bleiben gleich, aber in anderen Ausprägungen und mit neuen Herausforderungen. Umwelt- und Wasserpolitik haben neue Nuancen bekommen, die Klima- und Energiepolitik an Bedeutung gewonnen. Nach wie vor sind wir aber meist die erste Anlaufstelle für unsere Landsleute in Brüssel.“

Der Weiterbestand des Tirol-Büros ist aber auch in Zukunft gesichert? „Meiner Ansicht nach nimmt die Bedeutung sowohl der regionalen als auch der EU-Ebene zu. Ohne starke Vertretung in Brüssel wird die Interessendurchsetzung schwieriger. Information aus erster Hand gewinnt trotz der neuen Medien (oder gerade wegen der neuen sozialen Medien, Stichwort ‚fakenews‘) an Bedeutung. Natürlich ist der Weiterbestand eine politische Entscheidung, die die drei Länder treffen müssen. Wir sind nur die Ausführenden, stehen aber ‚Gewehr bei Fuß‘.“


Auch das Trentino und Südtirol sind eng eingebunden. Eine gute Konstruktion?

„Eine sehr gute Konstruktion. Wir arbeiten mit unseren engsten Freunden zusammen. Ohne revanchistische Hintergedanken ist das eine logische Kooperation, weil eben die Interessenlagen sehr ähnlich sind, wir eine lange gemeinsame Geschichte haben und nach wie vor engste Beziehungen bestehen. Gebe es die Europaregion Tirol, Südtirol, Trentino nicht, dann müssten wir sie schaffen und mit einer gemeinsamen Brüsseler EU-Vertretung ausstatten.“

Die Euregio ist für die Politik bereits selbstverständlich, bei den Menschen in Tirol wird noch recht wenig darüber gesprochen. Warum?

„Glaubt man/frau den Meinungsumfragen, so scheint die Europaregion den Menschen nähergekommen und bei ihnen angekommen zu sein. Die meisten wissen mit ihr etwas anzufangen und schätzen sie auch. Viele nehmen an gemeinsamen Projekten teil oder nutzen Einrichtungen und Vorteile der Euregio, z. B. Verkehrsverbindungen, Kultur-, Sport- und Jugendveranstaltungen, den gemeinsamen Lawinenwarndienst, den Wissenschaftsfonds, den Studenten- und Lehrlingsaustausch und vieles mehr. Der Kenntnisstand über die Euregio hat sich stark verbessert.“

Ihre persönliche Bilanz für das Verbindungsbüro?

„Das Tirol-Büro ist immer noch eine einzigartige Konstruktion durch die grenzüberschreitende Arbeit und den gemeinsamen Auftritt in Brüssel, sehr aktiv, allgemein bekannt und von vielen in Anspruch genommen. Unter Berücksichtigung der bescheidenen Mittel sicher sehr effizient und auch effektiv.“

„Das Tirol-Büro ist immer noch eine einzigartige
Konstruktion.“ - Richard Seeber über das Tirol-Büro in Brüssel

Sie waren ja selber Mitglied des EU-Parlaments. Nützt Ihnen diese Erfahrung für Ihre Tätigkeit?

„Natürlich ist das ein großer Vorteil, sowohl für die Region als auch für meine persönliche Arbeit. Zum einen habe ich immer noch sehr gute Kontakte in das EP und auch in die Europäische Kommission, die ich für das Land nutze. Zum anderen kann ich meine Erfahrung und mein Wissen in die Arbeit einbringen und vielleicht manches besser beurteilen als jemand, der nicht so lange in diesem Bereich gearbeitet hat.“

Ein/e Abgeordnete/r aus Tirol wäre aber schon eine wichtige Sache neben dem Tirol-Büro?
„Ein/e Abgeordnete/r ist selbst Entscheidungsträger und versucht seine/ihre Wahlversprechen umzusetzen. Diese decken sich meist mit den regionalen Politikwünschen, aber nicht immer. Er/Sie ist Teil des politischen Prozesses in Brüssel und Straßburg. Wir setzen die Vorgaben der Landesregierungen um, aber auf Beamten- und nicht auf politischer Ebene. Wir sind ‚Befehlsempfänger‘ und nicht Selbstentscheidende.“


Das Thema Transitverkehr beschäftigt Tirol sehr. Haben Sie im Tirol-Büro Möglichkeiten, hier die Belastungen aufzuzeigen?

„Bei jeder Gelegenheit bringen wir hier die Wünsche der Landesregierung ein. Wir haben durch diese Beharrlichkeit auch einiges erreicht. Sehen Sie sich nur die Europäischen Normen heute an. Da hat sich vieles zu unserem Vorteil geändert. Klar ist aber auch, dass die EU im Verkehrsbereich, so wie in den meisten anderen Feldern, Mindestnormen erlässt und die Mitgliedstaaten viel Freiheit bei der Umsetzung haben. Das zeigt sich hier deutlich, denn unsere südlichen und nördlichen Nachbarn sehen diese Dinge anders und sind bei der Umsetzung am unteren Ende, während Tirol am oberen Ende ist, Stichwort Bemautung der Lkws, Kontrollen oder Fahrverbote. Besonders ärgerlich ist, dass wir fleißig am Brenner Basistunnel bauen und Deutschland so säumig bei den nördlichen Zulaufstrecken ist. Ein Trauerspiel, das wir sowohl politisch als auch beamtet bei jeder Gelegenheit beanstanden.“

Schulklassen besuchen häufig das Tirol- Büro. Wie reagieren die Jugendlichen auf die EU und wie hat sich diese Einstellung verändert?

„Jugendliche sind sehr positiv der EU gegenüber eingestellt. Das war eigentlich immer so. Es gibt aufgrund aktueller Ereignisse Schwankungen, aber der Grundtenor bleibt positiv. Die Fragen und die Herausforderungen verändern sich, aber die EU stellen sie eigentlich nicht in Frage. Gott sei Dank gibt es aber einige Verbesserungsvorschläge und das ist gut so.“

Fakten
Tirol-Büro Brüssel
  • Wie viele Besucher kommen pro Jahr ins Tirol-Büro? Ca. 1000
  • Welches Budget hat die Einrichtung? 200.000 Euro für alle 3 Länder
  • Wie viele Mitarbeiter? 2 im gemeinsamen Sekretariat und der Buchhaltung, 2 SüdtirolerInnen plus PraktikantInnen, 5 TrentinerInnen plus PraktikantInnen, in Kürze 2 TirolerInnen plus PraktikantInnen

Sie leben als Haiminger seit vielen Jahren in Brüssel. Wie sehen Sie die EU persönlich?

„Als eine logische und richtige Antwort auf die kriegerischen Auseinandersetzungen, unter denen dieser Kontinent seit Jahrhunderten leidet, mit den absoluten Negativa 1. und 2. Weltkrieg mit den vielen Toten und dem unermesslichen menschlichen Leid. Die EU ist ein politisches und daher menschliches Konstrukt, an dem dauernd gearbeitet wird und das nie perfekt sein wird, aber sie hat Frieden und Wohlstand geschaffen und sie garantiert jedem/r gewisse Grundrechte, die auch einklagbar sind. Arbeiten wir gemeinsam an einer weiteren Verbesserung.“

Wenn Sie an Ihre Pension denken, werden Sie nach Tirol zurückkehren?

„Das ist für mich so sicher wie das Amen im Gebet. Ich bin und bleibe Tiroler und darauf bin ich sehr stolz. Ich liebe meine Heimat. Da ich mit einer Oberländerin verheiratet bin, die gleich denkt wie ich, gibt es auch von dieser Seite keine anderen Meinungen oder Zweifel.“

Sie werden am 26. Mai natürlich zur Wahl gehen. Ihr Appell an die TirolerInnen?

„Bitte informieren und sich die Parteiprogramme und KandidatInnen ansehen und wählen gehen. Es ist eine sehr wichtige Wahl für Tirol und Europa.“

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Der Haiminger Spitzenbeamte Richard Seeber | Foto: privat
Unweit der Europäischen Kommission liegt das Tirol-Büro in Brüssel. | Foto: privat
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