Denkmäler für die Opfer des NS-Terrors
Zwei Stolpersteine für Kindberg

Verlegung der Stolpersteine: Bgm. Christian Sander, Stadträtin Judith Doppelreiter und Initiatorin Gertrude Zöscher. | Foto: Denise Ganster
12Bilder
  • Verlegung der Stolpersteine: Bgm. Christian Sander, Stadträtin Judith Doppelreiter und Initiatorin Gertrude Zöscher.
  • Foto: Denise Ganster
  • hochgeladen von Markus Hackl

In Kindberg wurden in der Fußgängerzone zwei "Stolpersteine" verlegt, die an die Ermordung von Katharina und Samuel Sensel erinnern sollen. Initiatorin war Gertrude Zöscher.

Diese zwei Gedenksteine erinnern an Katharina und Samuel Sensel. | Foto: Denise Ganster
  • Diese zwei Gedenksteine erinnern an Katharina und Samuel Sensel.
  • Foto: Denise Ganster
  • hochgeladen von Markus Hackl

In einer kleinen Feier am 8. November – ein Datum, das an die Novemberpogrome im Jahr 1938 erinnern soll – wurden in der Kindberger Fußgängerzone als fortwährendes Mahnmal zwei "Stolpersteine" in die bestehende Pflasterung verlegt.
Daniela Grabe, die Obfrau des Verein für Gedenkkultur, sprach in Kindberg über die Bedeutung und Wertigkeit dieser "Stolpersteine": "Die Nazis haben Menschen ausgelöscht, wir wollen mit diesen Stolpersteinen zumindest die Erinnerung an diese ermordeten Menschen zurückholen. Menschen sind erst vergessen, wenn ihre Namen vergessen sind."

Der Historiker Alexander Schein hat die Geschichte rund um die Familie Sensel, übrigens die einzige jüdische Familie in Kindberg zu dieser Zeit, aufbereitet und präsentiert (siehe nachstehenden Bericht)

Historiker Alexander Schein präsentierte die Geschichte der Familie Sensel. | Foto: Denise Ganster
  • Historiker Alexander Schein präsentierte die Geschichte der Familie Sensel.
  • Foto: Denise Ganster
  • hochgeladen von Markus Hackl

Im Anschluss an diese Feier wurde auch die Gedenktafel für die Euthanasieopfer bei der Stadtpfarrkirche Kindberg gesegnet. Für diese Gedenktafel hat sich seinerzeit Rudolf Schlaipfer eingesetzt, die Errichtung war nicht ganz unumstritten.

Stolpersteine in der Steiermark

„Stolpersteine“ sind ein Projekt nach dem Konzept des Künstlers Gunter Demnig, mit dem an das Schicksal jener Menschen erinnert wird, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben, in den Suizid getrieben worden sind oder von „Arisierungs“-Enteignungen betroffen waren; dabei wird sowohl jüdischer Opfer gedacht als auch jener Menschen, die Opfer politischer, religiöser, ethnischer Verfolgung waren, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermordet wurden, weil sie den Kriegsdienst verweigert haben oder weil ihr Leben als „unwert“ galt.

Einweihung der Gedenktafel für die Euthanasieopfer während des Nazi-Regimes. | Foto: Ganster
  • Einweihung der Gedenktafel für die Euthanasieopfer während des Nazi-Regimes.
  • Foto: Ganster
  • hochgeladen von Markus Hackl

Im Jahr 2012 hat sich der „Verein für Gedenkkultur in Graz“ gegründet, mit dem Ziel, im Jahr 2013, also 75 Jahre nach dem Beginn des NS-Terrors in Österreich, auch in Graz und weiteren steirischen Regionen im öffentlichen Raum (mehr) Erinnerungszeichen für Opfer des Nationalsozialismus zu setzen. 2013 wurden als Erinnerungszeichen die ersten „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig in Graz umgesetzt, und in Folge in weiteren steirischen Regionen. Solpersteine gibt es mittlerweile in 650 Städten in Deutschland, aber auch in Salzburg, in der Region Braunau, in den Niederlanden, Belgien, Italien, Norwegen, Polen, der Slowakei, Tschechien, der Ukraine und Ungarn. In ganz Europa gibt es bereits über 60.000 solcher Gedenksteine in 21 Ländern.

Mehr Infos zum Verein für Gedenkkultur finden Sie hier

Die Geschichte von Katharina und Samuel Sensel

von Alexander Schein
Samuel Sensel wurde am 14. November 1878 als Sohn von Moritz und Netti, geb. Terker, in Szucsán in der ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie geboren (heute Sučany in der Slowakei). Seine spätere Frau kam am 11. November 1879 als Katharina Scheck in Sonnberg im damals österreichischen Böhmen (heute Žumberk, Tschechien) auf die Welt, ihre Eltern hießen Ignatz und Rosa, geb. Schneider. Katharina („Käthe“), die sich als Handarbeiterin verdingte, und Samuel, der als Geschäftsleiter in Böhmen arbeitete, heirateten im Jahr 1905, beide gehörten der jüdischen Glaubensgemeinschaft an.

Katharina und Samuel Sensel mit ihren Kindern Oskar (links), Paula und Erwin, 1937. | Foto: Archiv Stadt Kindberg
  • Katharina und Samuel Sensel mit ihren Kindern Oskar (links), Paula und Erwin, 1937.
  • Foto: Archiv Stadt Kindberg
  • hochgeladen von Markus Hackl

Am 1. September 1905 eröffnete Samuel Sensel die Gemischtwarenhandlung „Warenhalle zum Arbeiter“ in Kindberg, und zwar im Haus Hauptstraße 15, damals im Besitz von Carl Aichholzer. Ende 1906 änderten sich die Eigentumsverhältnisse der Liegenschaft und Sensel musste ausziehen. Er siedelte in das Haus von Rudolf Fuhrmann, Hauptstraße 25. Das Sortiment umfasste Lebensmittel, Stoffe, Bekleidung und Schuhe. Sensel vertrieb etwa das „Hammerbrot“ aus der Großbäckerei der Wiener Arbeiterschaft. Zahlreiche Lehrlinge wurden bei ihm ausgebildet. Bereits 1908 suchte er einen Verkäufer als Filialleiter, 1910 beabsichtigte er eine Filiale in der Veitsch zu errichten.

1914 verlegte er Geschäft und Wohnung in das bedeutend größere Haus von Friedrich Fritz, Hauptstraße 49. Auch Katharina Sensel war im Betrieb tätig, besonders als ihr Mann im Ersten Weltkrieg eingerückt war. 1922 erwarben sie das heute nicht mehr bestehende Haus Wienerstraße 16 in Kapfenberg, am Beginn des Schlossbergweges, und eröffneten dort eine Filiale.

Das Haus Hauptstraße 15 war 1905/06 der erste Standort von Samuel Sensels „Warenhalle zum Arbeiter“ in Kindberg. Diese Ansichtskarte mit kleiner Menschenansammlung vor dem Geschäft verlegte er selbst. | Foto: Privat
  • Das Haus Hauptstraße 15 war 1905/06 der erste Standort von Samuel Sensels „Warenhalle zum Arbeiter“ in Kindberg. Diese Ansichtskarte mit kleiner Menschenansammlung vor dem Geschäft verlegte er selbst.
  • Foto: Privat
  • hochgeladen von Markus Hackl

Am 1. Dezember 1934 kauften Samuel und Katharina Sensel von Anton Fürst die Liegenschaft Hauptstraße 65 in Kindberg. Hier war nicht nur Raum für Wohnung und Geschäft, sondern auch für zahlreiche Mietparteien. Sensel ermöglichte es seinen Kunden, Waren, die sie dringend benötigten, aber sich momentan nicht leisten konnten, erst später zu bezahlen. So kam es, dass bei der Auflösung des Geschäftes viele Schulden nicht beglichen waren.

Samuel Sensel war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und gehörte dem Ausschuss der Sparkasse der Marktgemeinde Kindberg an. Er war im Vorstand der hiesigen Naturfreunde und des Arbeiterradfahrervereins tätig, in letzterem ein paar Jahre als Obmann und später im Ausschuss der Motorradsektion. Katharina Sensel wurde die Bannermutter des Arbeiterradfahrervereins. 1920 begründete Samuel Sensel den Kindberger Arbeiterturnverein „Eintracht“ mit und übernahm die Funktion des Kassiers.

Die Kinder von Katharina und Samuel Sensel wurden in Kindberg geboren: Paula im Jahr 1906, Erwin 1907 und Oskar 1911. Sie waren die einzigen Juden in Kindberg. 1919 erwarb die Familie die Heimatzugehörigkeit der Marktgemeinde. Paula und Erwin absolvierten die achtjährige Volksschule in Kindberg, Oskar wechselte nach dem fünften Jahr in die dreijährige Bürgerschule in Bruck an der Mur.

Von 1914 bis 1934 wirkte die Familie Sensel im Haus Hauptstraße 49 von Friedrich Fritz. Diese Ansichtskarte aus dem Jahr 1932 stammt vom Frank-Verlag Graz. Auf der Bank vor dem Musikpavillon sitzt in der Mitte Samuel Sensel. | Foto: Privat
  • Von 1914 bis 1934 wirkte die Familie Sensel im Haus Hauptstraße 49 von Friedrich Fritz. Diese Ansichtskarte aus dem Jahr 1932 stammt vom Frank-Verlag Graz. Auf der Bank vor dem Musikpavillon sitzt in der Mitte Samuel Sensel.
  • Foto: Privat
  • hochgeladen von Markus Hackl

Oskar wurde Elektriker und wanderte 1933 nach Palästina aus. In Petach Tikwa ehelichte er im Jahr 1935 Mathilde (Masza Ajdla) Kermann aus Łódź (Polen), im selben Jahr kam Sohn Maximilian (Mosche David) in Herzlia auf die Welt.

Erwin wurde Kaufmann, heiratete 1934 in Wien die Jüdin Elsa Fischer aus Eggenburg in Niederösterreich und zog nach Kapfenberg. Ab 1935 gehörte ihm das dortige Haus und Geschäft der Eltern. Neben mehreren Angestellten und Lehrlingen war auch Elsa als Verkäuferin beschäftigt. Paula heiratete 1937 den jüdischen Kaufmann Franz Wellisch und lebte mit ihm in St. Pölten.

Infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1938 wurde das Geschäft in Kindberg geschlossen und geräumt. Im Juli 1940 mussten Samuel und Katharina Sensel die Liegenschaft billig an die Marktgemeinde Kindberg verkaufen. Räumlichkeiten des Hauses wurden für Versammlungen der Hitlerjugend, der Feuerwehr usw. genutzt bzw. waren für ein Schmölzer-Museum vorgesehen. Der Volksliedsammler und Komponist Jakob Eduard Schmölzer (1812–1886) war in diesem Haus gestorben.

Erwin und Elsa Sensel verkauften das Geschäft in Kapfenberg um einen niedrigen Preis im Juli 1938, als sie zunehmenden Diskriminierungen ausgesetzt waren. Im August 1939 mussten sie dem neuen Besitzer auch das Haus verkaufen.

Im Dezember 1938 übersiedelten sowohl Samuel und Katharina Sensel als auch Erwin und Elsa und Oskar mit Familie, welche mittlerweile in Österreich lebte, nach Wien, um die Auswanderung zu organisieren.

Erwin gelangte nach einer schicksalhaften Flucht nach Venezuela, Oskar wiederum nach Palästina. Erwins Frau und Oskars Frau mit Kind schafften es, nachzukommen. Die Eltern, Samuel und Katharina, bekamen keine Gelegenheit zur Ausreise. Sie wurden in Wien mehrmals umquartiert und schließlich im August 1942 in den Vernichtungsort Maly Trostinec bei Minsk deportiert, wo sie am 4. September 1942 ermordet wurden. Auch Paula und ihr Mann fielen der Tötungsmaschinerie des Nationalsozialismus zum Opfer.

Erwin und Oskar Sensel bemühten sich nach dem Zweiten Weltkrieg um die Rückstellung des Kindberger Besitzes von der Marktgemeinde; dazu kam es schließlich im Juli 1949. Sie kehrten nicht nach Österreich zurück und verkauften die Liegenschaft 1954 an Alois und Gisela Krikac. Erwin wurde 1948 auch das Haus in Kapfenberg restituiert; er verkaufte es im Jahr 1969. Elsa und Erwin Sensels Sohn Enrique kam 1948 in Venezuela auf die Welt.

Stolpersteinverlegung in Kindberg vor dem Krikac-Haus: Bgm. Christian Sander, Manfred Ulrich (er war bei der Ehrenbürgerschaftsverleihung 2008 in Venezuela als Vizebürgermeister mit dabei), LAbg. Cornelia Izzo, Rudolf Schlaipfer und Stadträtin Judith Doppelreiter. | Foto: Hackl
  • Stolpersteinverlegung in Kindberg vor dem Krikac-Haus: Bgm. Christian Sander, Manfred Ulrich (er war bei der Ehrenbürgerschaftsverleihung 2008 in Venezuela als Vizebürgermeister mit dabei), LAbg. Cornelia Izzo, Rudolf Schlaipfer und Stadträtin Judith Doppelreiter.
  • Foto: Hackl
  • hochgeladen von Markus Hackl

Kindberger Delegation in Caracas

2008 wurde Erwin Sensel (1907–2010) das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark und die Ehrenbürgerschaft von Kindberg in Caracas in Venezuela verliehen.

Verleihung der Ehrenbürgerschaft: Gert Andrieu, Erwin Sensel, Karl Hofmeister und Manfred Ulrich. | Foto: ORF
  • Verleihung der Ehrenbürgerschaft: Gert Andrieu, Erwin Sensel, Karl Hofmeister und Manfred Ulrich.
  • Foto: ORF
  • hochgeladen von Markus Hackl

Eine Delegation aus Kindberg mit dem damaligen Bürgermeister Karl Hofmeister und den Vizebürgermeistern Manfred Ulrich und Gert Andrieu überreichte ihn in seinem Haus in Caracas die Urkunde der Ehrenbürgerschaft.

Zu Besuch bei Erwin Sensel in Venezuela: Manfred Ulrich, Gert Andrieu, Erwin Sensel und ORF-Redakteur Robert Gokl. | Foto: ORF
  • Zu Besuch bei Erwin Sensel in Venezuela: Manfred Ulrich, Gert Andrieu, Erwin Sensel und ORF-Redakteur Robert Gokl.
  • Foto: ORF
  • hochgeladen von Markus Hackl

Der damalige Landeshauptmann Franz Voves schickte eine Videobotschaft. Als Dankeschön gab es den Erzherzog-Johann-Jodler, gesungen von Erwin Sensel. Den Kontakt eingefädelt hat ORF-Redakteur Robert Gokl.

Push-Nachrichten auf dein Handy
MeinBezirk.at auf Facebook verfolgen
Die Woche als ePaper durchblättern
Newsletter deines Bezirks abonnieren

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Anzeige
Die Gemeinde Kapfenberg wird feierlich zur Stadt erhoben, April 1924. | Foto: Pachleitner/Archiv Stadt Kapfenberg
3

Kapfenberg Spezial: 100 Jahre Stadt Kapfenberg
Kapfenberg wird feierlich zur Stadt erhoben

Die Stadt Kapfenberg feiert heuer ihren 100. Geburtstag. Exakt am 13. April 1924 wurde die Marktgemeinde Kapfenberg zur Stadt erhoben. KAPFENBERG. "Mit Erlass des österreichischen Bundeskanzleramtes vom 4. März 1924, Zahl 43.841/8, wurde die Marktgemeinde Kapfenberg unter Einbeziehung de Ortschaften Diemlach, St. Martin, Siebenbrünn und Winkel zur Stadt erhoben. Aus diesem Anlass wurde am 13. April 1924 eine Festsitzung des Gemeinderates abgehalten, zu welcher Vertreter der Landesregierung, der...

  • Stmk
  • Bruck an der Mur
  • Angelika Kern

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.