85 Jahre "Anschluss"
Die "Zeit der Abrechnung" in Wagrain und St. Johann
Am 12. März 1938 marschierten die Nationalsozialisten in Salzburg ein. Der Flachauer Historiker Michael Mooslechner spricht von den Tagen nach dem Anschluss im Pongau als "Zeit der Abrechnung". So wurde etwa in Wagrain ein Tourismus-Pionier gedemütigt und in St. Johann wurden politische Gegner inhaftiert.
WAGRAIN, ST. JOHANN. Heute jährt sich der "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich zum 85. Mal. Am frühen Vormittag des 12. März 1938 marschierten Hitlers Truppen in der Stadt Salzburg ein. Auch in den Pongauer Gemeinden übernahmen die Nazis die Macht.
Illegale Nazis waren auf Rache aus
Der Flachauer Historiker Michael Mooslechner spricht ab 1938 von einer "Zeit der Abrechnung" durch jene Pongauer Nazis, die bereits vor dem Anschluss illegal die NSDAP unterstützt hatten. "Vor allem Mitglieder der 'Vaterländischen Front', der Einheitspartei in der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur, wurden von den Nationalsozialisten bedrängt, gedemütigt und teilweise nach Dachau geschickt", berichtet der Historiker.
Linus Hochleitner in Wagrain gedemütigt
Ein besonders eindrucksvoller Fall spielte sich in Wagrain ab. Linus Hochleitner war bis zum Anschluss Oberförster, Gemeinderat und Obmann des örtlichen Fremdenverkehrsvereins. Gemeinsam mit Joseph Reisenberger und Karl Heinrich Waggerl gilt Hochleitner als früher Pionier des Tourismus in Wagrain. Im Gegensatz zu Waggerl, der als Unterstützer der NS-Diktatur in den Jahren von 1940 bis 1942 sogar zum Bürgermeister von Wagrain bestellt wurde, musste Hochleitner nach der Machtübernahme der Nazis Demütigungen ertragen.
In einem Bericht an das Amt der Salzburger Landesregierung schilderte Hochleitner im Jahr 1962 die erlittenen Anprangerungen. In der "Umbruchsnacht" sei Hochleitner vom Ortsgruppenleiter der NSDAP geweckt , festgenommen und zur Gendarmerie gebracht worden. "Unter beleidigenden Begleiterscheinungen und Heil-Hitler-Gebrüll, trotz meiner starken Grippe", erinnerte sich Hochleitner. Nach der Entlassung in den Hausarrest wurde Hochleitner am nächsten Tag erneut von einer Eskorte abgeholt und gezwungen ein in Wagrain aufgestelltes Kruckenkreuz — das Symbol der Vaterländischen Front — umzureißen.
"Kreuzweg" zu den Klängen der "Zugin"
Mit einem Kranz auf dem Kopf musste Hochleitner das Kreuz auf den Schultern zum Marktplatz tragen. Seine Schilderungen erinnern stark an den Kreuzweg Jesu'. Sein Weg wurde auch von Schulkindern gesäumt, "die Fähnlein schwangen und auf zackiges Kommando 'Heil Hitler' schreien mussten." Auch ein Ziehharmonika-Spieler begleitete Hochleitner. Am Marktplatz angekommen, musste er das Kreuz und eine Ortstafel der Vaterländischen Front gemeinsam mit dem ehemaligen "Postenkommandaten Kellner" auf einen Radelbock — eine Art Schubkarren — verladen und zum Gendarmerieposten bringen. "Natürlich unter fürchterlichem Radau, Heil-Hitler-Gebrüll und Spuckerei," wie Hochleitner erneut betonte.
Nach zwei weiteren Wochen im strengen Hausarrest wurde Hochleitner am Wagrainer Marktplatz in ein Auto gebracht "und beim Einsteigen bespuckt sowie mit 'Heil Hitler' und 'Dachau' verabschiedet." Der Versuch, Hochleitner nach Dachau zu bringen, scheiterte aber. Nach einem Gespräch mit dem Bezirksrichter in St. Johann wurde der Wagrainer enthaftet. Er kehrte nur kurz in seine Heimat zurück. Nach seinem Pensionsantritt im Mai 1938 begab er sich nach St. Johann. "Unter solchen Verhältnissen konnte ich nicht mehr nach Wagrain zurückkehren", beschloss er seine Ausführungen im Jahr 1962.
Fackelzüge in St. Johann und Bischofshofen
Aber auch St. Johann war inzwischen fest in nationalsozialistischer Hand. "Am 13. März 1938 marschierte in St. Johann ein deutsches Polizeiregiment ein", heißt es in einem Buch zur NS-Zeit in St. Johann, das Michael Mooslechner in den 1980er-Jahren mit Robert Stadler publizierte. Bereits kurz darauf wurden im Salzachpongau die ersten politischen Gegner gefangen genommen. Führende Mitglieder der Vaterländischen Front waren genauso unter den Gefangenen wie ehemalige Sozialdemokraten. In Bischofshofen und St. Johann wurden zur Feier des Anschlusses Fackelzüge abgehalten. Die Pongauer Wochenschau berichtete damals von einer "zweitausendköpfigen Menge bei den begeisterten Ansprachen."
Spiegel über den Wahlzellen
In der Bezirkshauptstadt wurde bis zur Volksabstimmung am 10. April 1938, die den Anschluss scheindemokratisch legitimieren sollte, eine enorme Propaganda-Maschinerie gestartet. Auch hohe Parteivertreter kamen dafür nach St. Johann. Am 3. April sprach etwa Baldur von Schirach, der später zu den 24 Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gehörte, auf einer Versammlung im Ort.
Bei der Volksabstimmung stimmten im ganzen Pongau von den 25.191 abgegebenen Stimmen nur 34 gegen den Anschluss. Mooslechner zufolge zeige dieses Ergebnis die massiven Einschüchterungen und Manipulationen, denen die Bevölkerung ausgesetzt war. So wurden bei der Stimmabgabe in St. Johann etwa Spiegel über den Wahlzellen montiert, in Mühlbach wurden Wähler sogar zur offenen Stimmabgabe unter Beobachtung gezwungen.
Das könnte dich auch interessieren:
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.