Supervision / Psychologie
Mobbing, Bossing und psychische Gewalt im Kunst- und Kulturbereich Teil 2

Psychische Gewalt am Arbeitsplatz hat viele Gesichter und reicht von psychischem Quälen, über Einschüchtern, Mobbing, Bossing, Ausgrenzen, Bloßstellen, bis hin zum Schikanieren einer Person durch andere Personen (sowohl durch Einzeltäter*innen als auch durch Gruppen von Täter*innen).

Psychische Gewalt stellt dabei immer eine Gefahr für die psychische Stabilität eines Menschen dar. Sie kann Menschen traumatisieren oder, wenn bereits Traumen in Kindheit und Jugend überlebt wurden, retraumatisieren.
Jede psychische Gewalt ist unbedingt ernst zu nehmen ist. Ich mache oft die Erfahrung, dass das soziale Umfeld der Opfer, aber auch professionelle Helfer*innen und Ärzt*innen mit psychischer Gewalt überfordert sind und die Opfer nicht ernst nehmen. Das Leiden der Opfer wird rasch bagatellisiert, oder sie werden mitunter sogar selbst zu Täter*innen gemacht. Das nennt man "Täter-Opfer-Umkehr" oder "Victim Blaming".
Grundsätzlich stellt psychische Gewalt am Arbeitsplatz eine Straftat dar, die aber juristisch meist nicht nachgewiesen werden kann.
Den Täter*innen fehlt es fast immer an jeder Einsicht, Empathie oder Sensibilität für den Schmerz und das Leiden ihrer Opfer. Oft handelt es sich bei den Täter*innen auch um narzisstische Persönlichkeiten oder Menschen mit Persönlichkeitsstörungen.
Völlig empathielose Aussagen des sozialen Umfeldes oder der Täter*innen wie „Du musst das aushalten, später wird es Dir noch oft so gehen.“, „Man kann halt nicht immer davonlaufen.“, „Stell Dich nicht so an!“ oder „Du simulierst ja nur.“ können ein Opfer noch zusätzlich traumatisieren oder zu einem falschen Selbst führen. Ein falsches Selbst hat ein Mensch, der seinen Schmerz weder richtig spüren noch ausdrücken kann und stattdessen Pseudogefühle zeigt (etwa Wut statt Trauer und Ohnmacht oder Humor und Zynismus statt Trauer und Leid).
Stattdessen würde ein Opfer ganz viel Verständnis, Unterstützung, Hilfe und Zeugenschaft benötigen. Mobbing- und Bossing-Opfer sind unmittelbar zu schützen, mitunter ist das jedoch nur möglich, wenn der Arbeitsplatz gewechselt wird.

Folgende Strukturen begünstigen m.E. psychische Gewalt unter Künstler*innen oder an Arbeitsplätzen im Kunst- und Kulturbereich:

- Es gibt viel zu wenige bezahlte Jobs und Arbeitsplätze. Auf eine bezahlte Stelle bewerben sich oft hunderte Menschen. Der ständige Druck und die Angst, finanziell nicht überleben zu können, erzeugen Stress und begünstigen Gewalt.

- Die Ausbildungsstrukturen von Musiker*innen, Schauspieler*innen und Sänger*innen entsprechen denen des 19. Jahrhunderts. Es existiert noch immer viel zu viel Schwarze Pädagogik, und die jungen Menschen sollen, so die Ansicht dieser malignen "Pädagogik", erst einmal völlig gebrochen werden. Danach sollen sie neu geformt werden. Nur wer noch jung ist und sich aufgrund der mangelnden Lebenserfahrung nicht so gut schützen kann gilt als „formbar“.

- Auch die Lehrenden leiden unter Frühstörungen und Selbstwertstörungen, die sie ungefiltert an ihre Schüler*innen weitergeben. Sehr klar wird dies in der Dokumentation DIE SPIELWÜTIGEN (2004, Regie von Andres Veiel) sichtbar, welche Schauspielschüler*innen während ihres Schauspielstudiums begleitet und die Neurosen und Störungen der Lehrenden plastisch aufzeigt.
Dabei wird auch der Neid der älteren auf die jüngeren Generationen deutlich oder der Neid der Gescheiterten auf diejenigen, die noch voller Hoffnung, kreativer Freude und Begeisterungsfähigkeit sind. Der psychischen Gewalt liegen ganz niedere Motive zugrunde.

- Es gibt wenig gute Feedbackkultur, und Künstler*innen bekommen keine Skills vermittelt, wie sie mit Feedback gut umgehen oder sich vor abwertender-hasserfüllter Kritik abgrenzen und schützen können.

- Manche Kunstkritiker*innen agieren ihre eigenen Selbstwertdefizite und Selbstwertstörungen hasserfüllt aus und schreiben mit totalitärem Anspruch vernichtende und gewaltvolle Kritiken. Dabei rationalisieren sie ihre Störung und verobjektivieren subjektive Empfindungen. Sie schreiben dann nicht von sich selbst und bleiben bei ihrem subjektiven Erleben (etwa: „Ich habe das Projekt xy als schlecht und nicht überzeugend erlebt.“), sondern stellen ihr Empfinden als objektive Gewissheit dar (etwa: „Das Projekt xy war schlecht und nicht überzeugend.“).
Abgesehen davon, dass derartige Aussagen schnell gewaltvoll werden, ist die Verobjektivierung des Künstlerischen problematisch, vor allem in der darstellenden Kunst, im Schauspiel und in der bildnerischen und modernen Kunst, wo es so sehr um Projektionen, Subjektivität, Psychologie und künstlerische Freiheit geht.

- Künstler*innen geben oft sehr Intimes von sich Preis, egal ob in der darstellenden Kunst oder in anderen Kunstrichtungen. Diese Preisgabe des Intimen wird immer als existentiell und wesenhaft erlebt. Wertet hier nun eine Person eine andere massiv ab, so kann dies extrem kränken, verletzen und schmerzhaft sein.

- Viele Menschen mussten während ihrer Ausbildung schwere Kränkungen und psychische Gewalt erleben. Gewalt isoliert und spaltet. Die Opfer werden nicht selten selbst zu Täter*innen und geben zwecks innerseelischer Entlastung die erlittene psychische Pein und Folter an andere weiter.

- Die Ausbildungsstrukturen, aber auch die Gesellschaft fördern Menschen mit einem ausgeprägten Narzissmus, der oft maligen ist.

- Da es so wenige bezahlte Berufe im Kunst- und Kulturbereich gibt, erdulden die Opfer oft jahrelang die psychische Gewalt und haben noch mehr Angst, sich zu wehren. Auch Kolleg*innen haben Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie sich mit dem Opfer solidarisieren. Zudem sind die Anstellungsverhältnisse prekär, die soziale Absicherung ist schlecht, vor allem für freischaffende Künstler*innen. Viele Künstler*innen sind deshalb von Altersarmut betroffen.

- Künstler*innen verdienen meistens extrem schlecht, ein paar wenige extrem gut. Häufig ist dieses monetäre Ungleichgewicht sogar in ein und derselben Berufsgruppe am selben Theaterhaus zu finden. Eine angehende Schauspielerin verdient dann ein paar tausend Euro weniger als ihr berühmter Kollege, obwohl sie das gleiche leistet und genauso viel arbeitet. Der Gleichheitsgrundsatz gilt im Kunst- und Kulturbereich nicht.

- Generell ist das Stadttheater ein verkrusteter, patriarchalischer und sexistischer Betrieb. Das erklärt, warum Sängerinnen und Schauspielerinnen ideale Körpermaße vorweisen müssen (es gibt z.B. kaum mollige oder adipöse Schauspielerinnen), während das bei Männern eher egal ist und es auch viele männliche Kollegen mit Bauch oder Adipositas gibt. Auf diese Weise finden wir im Theaterbetrieb viel strukturelle und männliche Gewalt (Hegemoniale Männlichkeit).

- Oft hat man bei diversen Festspielen und Stadttheatern den Eindruck, es gehe eher um Pfründe, alte Privilegien und den Erhalt von Machtstrukturen als darum, Kunst zu machen.

- Auch das Publikum verhält sich kollusiv, denn in einer narzisstischen, selbstentfremdeten Gesellschaft neigt es ebenfalls zu Ersatzkompensationen. Künstler*innen, die unter Selbststörungen oder Pathologien leiden, eignen sich dann besonders gut als Projektionsfiguren, um eigene Defizite im Selbst zu vergessen. Das erklärt, warum die Sängerin mit den vielen Drogenexzessen oder der namhafte Schauspieler, der immer betrunken auf die Bühne geht, die Kolleg*innen abwertet und psychisch malträtiert, so erfolgreich sind.

Diese Symptome können auf erlittene psychische Gewalt zurückzuführen sein:

- Schlafstörungen
- Gedankenkreisen und Grübeln
- totale Erschöpfung
- depressive Zustände
- emotionale Achterbahnfahrten
- viel Wut und Hass (Hass ist eine Copingreaktion auf eine extreme psychische oder physische Bedrohung)
- Ängste
- vegetative Symptome, wie Bauchschmerzen, Verdauungsbeschwerden, innere Gefühle von Enge und Druck, Magenbeschwerden, Durchfall, muskuläre Verspannungen, ein erhöhter Muskeltonus, Schlaflosigkeit u.v.m.
- starke Ängste vor den Täter*innen
- Angst, in die Arbeit zu gehen
- Panikattacken

Exkurs: Psychische Belastungen von Künstler*innen

Künstler*innen sehen sich mit spezifischen Belastungen konfrontiert, die wir in anderen Berufsgruppen nicht finden.
Da wäre etwa die Tradition der „Brotlosen Kunst“, d.h. es gibt viel zu wenig budgetäre Förderung für Kunst- und Kulturprojekte. Für militärische Ausgaben werden in Deutschland gerade Unsummen locker gemacht, im Kunst- und Kulturbereich hingegen wird um jeden Euro gefeilscht. Dies hat zur Folge, dass sich für eine bezahlte Stelle oft hunderte Künstler*innen bewerben. 600€ netto für mehrere Wochen Proben inklusive Aufführungen sind keine Seltenheit und viele Sänger*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen zählen zu den Working Poor.

Weitere Belastungen können sein:

- psychische Gewalt, Mobbing und Bossing am Arbeitsplatz
- das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit, des geringen Einkommens, der Armutsgefährdung und der Verschuldung
- prekäre Jobs mit miesen Arbeitsbedingungen
- Diskriminierung und Ungleichbehandlung (etwa unterschiedliche Gehälter trotz desselben Berufes)
- wenig Wertschätzung: So wird von Künstler*innen oft erwartet, dass sie ihre Arbeit für einen Hungerlohn ausüben
- Verkrustete, sexistische, chauvinistische und vergiftende Strukturen während der Ausbildung oder später in den Theaterhäusern bzw. Kunst- und Kulturbetrieben
- sadistische hasserfüllte Kritiken durch Kolleg*innen, Vorgesetze, Ausbildner*innen, Lehrende oder Kunstkritiker*innen
- psychisch labile (oder maligen-narzisstische) Kolleg*innen, die sich missbräuchlich oder psychisch gewaltvoll verhalten

Als Sänger, Schauspieler und Vorstandsmitglied in zwei professionellen Theatervereinen weiß ich um die spezifischen Belastungen von professionellen Künstler*innen und habe viel Schlimmes am eigenen Leib bzw. in der eigenen Seele miterleben müssen.

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Salzburg / Hamburg
(Existenzanalyse)

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