Neues Buch zu Russlandbeziehungen
Warum wir die Russen nicht verstehen

Zar Alexander besuchte vor genau 200 Jahren Tirol.
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  • Zar Alexander besuchte vor genau 200 Jahren Tirol.
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„Warum wir die Russen nicht verstehen – Von der totalen Unkenntnis der deutsch-österreichischen Beziehungen zu Russland“ lautet der Titel eines soeben im Verlag Edition Tirol erschienenen Buches von Norbert Hölzl und Martin Reiter. Während Hölzl im ersten Teil des Buches die über 500-jährigen Beziehungen Österreichs zu Russland durchleuchtet, beschreibt Reiter interessante Zusammenhänge von Russen und Tirolern.

Norbert Hölzl: „Vor 500 Jahren, 1514, schloss Kaiser Maximilian als erster deutscher Kaiser einen Beistandsvertrag mit Moskau. Gemeinsam setzten Wien und Moskau den Polenkönig Schachmatt. Und das Seltsame: Der Herrscher im Kreml vor 500 Jahren führte sich genauso auf wie Putin heute. Wassili III. Iwanowitsch, Großfürst von Moskau, nannte sich im Vertrag mit dem Kaiser zum ersten Mal in der Geschichte ,Zar‘, also Kaiser, obwohl die erste Zarenkrönung erst 33 Jahre später erfolgte. Er wollte dem Herrscher aus dem Westen schon vom Titel her ebenbürtig sein. Die antipolnische Front zwischen Wien und Moskau wurde auf Augenhöhe geschmiedet. Und sie hat erstaunlich lang gehalten.“

Russlandbuch aus Österreich

Man wusste damals von Russland fast nichts, außer dass es schöne Pelze lieferte. Der Gesandte Maximilians, Sigmund Freiherr von Herberstein, reiste für Maximilian und seinen Nachfolger, den Weltreichskaiser Karl V. so oft nach Moskau, dass er für Europa das erste brauchbare Buch über Russland schreiben konnte: „Rerum moscoviticarum“, 1549. Herberstein brachte die erste Landkarte von Russland, obwohl die Russen aus allem bis heute ein Geheimnis machen und sich möglichst nicht in die Karten schauen lassen.
Die guten Beziehungen zwischen Russland und der Habsburgermonarchie, der Heiligen Allianz etc. wurden erst vom „Totengräber Österreichs“ Franz Joseph I. mutwillig zerstört und endeten im Chaos des 1. Weltkrieges.
So wie einst am Wiener Kongress 1815 vereinbart, schlug Zar Nikolaus I. 1848/49 den ungarischen Aufstand nieder. Er rettete damit dem auf Schloss Tratzberg in Tirol versteckten Franzl mehr als die Hälfte „Seiner“ Monarchie. Ganz im Sinne alter russischer Vertragstreue. Der Franzl von der Sissi ließ hingegen den Zar gegen die Osmanen 1877/78 im Stich. Ja, insgesamt gar viermal provozierte Franz Joseph sogar einen Krieg gegen Russland. Norbert Hölzl bringt in seinen Berichten zahlreiche Beispiele, Hintergründe und teilweise komplett neue Gesichtspunkte in den Beziehungen Österreichs und Deutschlands mit Russland. Nur so kann man die heutige Eskalation mit dem Ukrainekrieg besser nachvollziehen.

Tirol – beliebteste Nation der Russen

Martin Reiter widmet sich im Buch den vielfältigen Beziehungen zwischen Tirol und Russland. Diese reichen Jahrhunderte zurück. Tirol war für die Russen schon im 18. Jahrhundert nicht irgendein Kronland. Tirol war in Russland bis 1914 die mit Abstand beliebteste Nation Europas. Auch im schlimmsten Wodkarausch hätte kein Russe einem Tiroler ein Leid angetan. So zogen beispielsweise die nach dem Tiroler „Täufer“ Jakob Hutterer benannten Hutterer schon 1770 in das Gebiet etwa 100 Kilometer nordöstlich von Kiew am Fluss Djessna und gründeten dort Kolonien.
Joseph Rohrer, ein Wiener, der in Tirol studiert hatte, schrieb 1796 ein blitzgescheites Büchlein „Uiber die Tiroler“. Er beschreibt die Begeisterung der russischen Fürsten, wenn die Tiroler Wanderhändler kamen, mit ihren Schafwollteppichen und lustigen Hüten, dem Spielzeug aus Gröden, und vor allem mit den Singvögeln aus den Alpen. Allein in St. Petersburg 1787 verdienten die Tiroler über 30.000 Rubel. Die Frau Zar war so hingerissen von den originellen Defereggern, dass sie alles in Bausch und Bogen kaufte. Das geschah alles vor 1809. Nach dem Freiheitskampf des kleinen Volkes in den Bergen kannte die russische Tirol-Begeisterung keine Grenzen mehr. Dann sangen ihnen die Zillertaler das Lied von der Stillen Nacht vor und „Zu Mantua in Banden“.

Der Zar und das Zillertal

Vielleicht auch deshalb, besuchte der russische Zar Alexander auf seiner Reise zum Veroneser Kongress 1822 auch das Zillertal, wo ihm die Geschwister Rainer im Fügener Schloss Tiroler Volkslieder vorsangen und er sie daraufhin zu sich nach Russland einlud. Daraus wurde leider nichts, das der Zar allzu früh verstarb.
Dafür sagen 20 Jahre später die Geschwister Leo aus dem Zillertal vor Zar Nikolaus I. in St. Petersburg.
1848 wurden beim längsten Viehtrieb der Welt Tux-Zillertaler Rinder von Fügen im Zillertal nach Sysran an der Wolga getrieben. Für die 3.400 km Fußmarsch benötigten sie damals einige Monate.
Für Aufsehen sorgte 1865 die Hochzeit des berühmten Tiroler Nationalsängers Ludwig Rainer in St. Petersburg, an der 500 Gäste teilnahmen, viele davon in Tiroler Tracht. Rainers Schwägerin, die „Tiroler Nachtigall“ Therese Prantl, erhielt vom russischen Zar sogar einen goldenen Zitherring mit Diamant, eine goldene Stimmgabel und einen Armreif – heute im Heimatmuseum Kufstein – als Geschenk überreicht, so fasziniert dürfte er vom Gesang der Tirolerin gewesen sein. Ludwig Rainer importierte überdies aus Russland Spielhahnfedern, die er in Österreich den Kaiserjägern für ihre Hüte verkaufte.
In Moskau beteiligte sich die Sängergesellschaft Stiegler aus Stumm 1883 an den Krönungsfeierlichkeiten von Alexander III. und dessen Frau Dagmar von Dänemark zu Zar und Zarin von Russland.
Die Sammlungen am Mineralogischen Museum der Universität St. Petersburg umfassen rund 39.000 Sammlungsstücke aus verschiedensten Fundorten der Welt. Darunter sind auch 600 Objekte von bekannten österreichischen Gebieten, vor allem aus Tirol und dem Land Salzburg. Und sogar die Genbanken von St. Petersburg und Tirol haben eine Gemeinsamkeit: sie sind die ältesten der mittlerweile weltweit 1.400 Genbanken.

Meran als russischer Kurort

Das historische Tirol war und ist auch ein beliebtes Urlaubsland für Russinnen und Russen. Zwischen 1881 und 1914 reisten zahlreiche Gäste in luxuriös ausgestatteten Direktzügen von St. Petersburg nach Meran. Damals waren die Russen die drittgrößte Gästegruppe in der Südtiroler Kurstadt. Schon seit 1875 gab es eine private Vereinigung wohlhabender russischer Bürger, die in Meran lebten. Sie gründeten ein Heim, um bedürftigen, tuberkulosekranken Russen den Kuraufenthalt in Meran zu ermöglichen. Dieses „Russenkomitee“ lebte von der Großzügigkeit ihrer Mitglieder, hauptsächlich der Ärzte, die hier praktizierten.
Auch zur letzten Zarenfamilie gibt es in Tirol einen Bezug. 2008 gab das Gerichtsmedizinische Institut Innsbruck die Ergebnisse von DNA-Untersuchungen bekannt. Demnach stammten 2007 in Russland gefundene sterbliche Überreste zweifelsfrei vom Zarensohn Alexei und seiner Schwester Maria.
Wie so viele junge Tiroler, zog 1914 auch Johann Haunholter aus Kirchbichl als Soldat der k.u.k. Armee gegen Russland in den Krieg und geriet binnen kürzester Zeit in russische Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit einem Freund konnte er flüchten und nachdem er sich in russischen Dörfern mit dem Restaurieren von Ikonen und Bilderrahmen durchgeschlagen hatte, in seinen Heimatort Kirchbichl zurückkehren. Jahre später zog er in die Sowjetunion und half dort beim Aufbau einer Kommune.

Letzter Russland-Heimkehrer

Unter dem Titel „Was ein Tiroler in Sibirien erlebte“ berichtete der Tiroler Anzeiger 1932 über den (vermutlich) letzten Tiroler Heimkehrer aus der russischen Gefangenschaft: Josef Hofer (vuglo Huisler) aus Neustift im Stubai. Die Heimkehr des Tirolers knapp 18 Jahre nach Verlassen seiner Heimat war eine Sensation, sodass sogar eine Tageszeitung ihm am 14. April 1932 österreichweit das Titelbild widmete.
So könnte man noch viele weitere Beziehungen zwischen Russen und Tirolern aufzählen, ob Fußballstar Stanislaw Tschertschessow beim FC Tirol, Wladimir Putin bei Karl Schranz, Tirol bei den Olympischen Spielen in Sotschi, das Russlandzentrum der Universität Innsbruck oder die russische Filmproduktion „Das Geheimnis der Schneekönigin“ an Drehplätzen in Tirol. Nicht zu vergessen die sogenannten „Russenhotels“ und viele wirtschaftliche Beziehungen.

Das Buch

Warum wir die Russen nicht verstehen – Von der totalen Unkenntnis der deutsch-österreichischen Beziehungen zu Russland, Taschenbuch, 130 x 205 mm, 146 Seiten, 143 Bilder, Verlag Edition Tirol, Euro 12,90.

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