Tulln: Die Armut ist weiblich

Irene Drnovsky kann wieder lachen: Nach Krankheit und Arbeitslosigkeit hat sie einen Job. | Foto: Zeiler
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BEZIRK TULLN. "Es ist erst der 24. und ich habe nur mehr zehn Euro zum Überleben", mit diesen Aussagen ist man im Tullner Sozialmarkt oft konfrontiert, wie Christine Krampl, Geschäftsführerin SAM NÖ, erzählt.
Das Leben wird 2014 für immer mehr Menschen härter: Im Juli haben 183 Personen bzw. Familien im Bezirk Tulln die Bedarfsorientierte Mindestsicherung bezogen, Tendenz steigend, informiert Sonja Dragoni, Bereichsleiterin Jugend und Soziales von der Bezirkshauptmannschaft Tulln.

Banken schreiten heutzutage früher ein

Bei der Schuldnerberatung weiß man, dass der Rückgang von Privatinsolvenzen leider keine Erfolgsmeldung ist: "Zum einen sind die Banken bei den Kreditvergaben zurückhaltender und schreiten bei einer hohen Kontoüberziehung viel früher ein", so Ulrike Martin, Geschäftsführerin NÖ Schuldnerberatung. Zum anderen liege das Hauptproblem bei der lang anhaltenden Krise am Arbeitsmarkt.

Krankenstand, Arbeitslosigkeit und dann?

"In so eine Situation kommt man schneller als erwartet", weiß Irene Drnovsky. Mit 48 Jahren wurde ihr Krebs diagnostiziert, Krankenstand und Arbeitslosigkeit waren die Folge. Das AMS wollte sie krankheitshalber in Pension schicken, denn "wer stellt jemanden mit 56 ein?" Der Sozialmarkt. Seit drei Wochen arbeitet sie hier, was ihr großen Spaß macht. "Für Armut braucht man sich nicht zu schämen", sagt sie, das könne jedem passieren.

Immer mehr kaufen beim SOMA ein

Und das schlägt sich auch beim SOMA nieder: Allein in Tulln gibt es 659 Pässe, der jährliche Zuwachs liegt bei über 20 Prozent", so Krampl.
"Die Armut ist weiblich", stellt AK-Chefin Brigitte Radl fest und rechnet ein Beispiel vor.

Kein Auslangen mit erwarteter Pension

Eine Frau im Alter von 51 Jahren weiß bereits heute, dass sie mit ihrer zu erwartenden Pension nicht das Auslangen finden wird:
Besuch des Gymnasiums; 4 Jahre Studium - Abbruch; Teilzeitjob als Handelsangestellte; Heirat; Schaffung einer Eigentumswohnung mit Langzeitrückzahlungsverpflichtung; Gemeines gutes Haushaltseinkommen bedingt durch Partnereinkommen; Im Haushalt leben 2 kleine Hunde und 2 Katzen;
Scheidung nach 29 Ehejahren; die Arbeitnehmerin verbleibt in der Wohnung und bezahlt Kredit mit befristeter finanzieller Unterstützung des Exmannes zurück.
Diese Unterstützung läuft in fünf Jahren aus, dies wurde bei der Scheidung so vereinbart.

Mehr zu arbeiten ist vonseiten Dienstgeber nicht möglich

Die Teilzeitbeschäftigung wird nach wie vor ausgeübt und eine Erhöhung der Arbeitsstunden pro Woche ist beim Dienstgeber nicht möglich. Frau B. hat Lebenserhaltungskosten in der Höhe von 1.200,00 € und führt ein sehr zurückgezogenes sparsames Leben. Mal weggehen oder Urlaube oder Kurztripps machen, die der Seele gut tun würden, sind nicht finanzierbar.
Nun ergibt die Kontoerstgutschrift, dass sie – würde sie jetzt in Pension gehen müssen – eine solche in der Höhe von 829,46 € hätte, netto 787,16 €.
Rechnet man auf Grund des jetzigen Bruttogehaltes die zu erwartende Pension von Frau B. bis zu ihrem Pensionsstichtag mit 60 Jahren hoch, hat sie eine zu erwartende Bruttopension von 1.149,86 €, netto 1.062,67 €. Hier ist bereits neun Jahre vor Eintritt des Pensions-Antritts klar, dass sich Frau B. ihr heute schon schwer finanzierbares Leben nicht mehr leisten können wird.

Psychische Probleme werden nicht weniger

Frau B. hat jetzt schon psychische Probleme auf Grund der permanenten finanziellen Sorgen und kürzlich gemeint, das Beste wäre, sie würde sterben oder sich das Leben nehmen, da sie ohnedies keine Aussicht auf Verbesserung ihrer Lebenssituation hat.
Jetzt stehen Überlegungen an, ob die geschaffene Eigentumswohnung verkauft werden soll – wissend, dass eine Mietwohnung mittlerweile auch nicht finanzierbar ist. Ob die Tiere, die seit kurzem im Haushalt leben abgegeben werden sollen ...
"Dies ist nur ein Beispiel und wie vielen Menschen es so oder noch schlimmer geht, erfahren wir aus Scham um diese existenzielle Bedrohung gar nicht. Eines zeigt sich für mich leider sehr deutlich: Die Armut ist weiblich. Eine ähnliche Situation wie sie Frau B. erleben muss, werden viele andere Frauen vermutlich noch härter erleben, wenn sie zum Beispiel auf Grund von Kindererziehungszeiten viele Jahre einer Berufsunterbrechung aufweisen können", ist Radl überzeugt.
Zwei Lösungsansätze die hier direkt helfen würden wäre eine Senkung der Lohnsteuer, damit den arbeitenden Menschen mehr Netto vom Brutto bleibt und Schaffung von finanzierbaren und leistbaren Wohnraum für alle Menschen.

Ulrike Martin, Chefin der Schuldnerberatung NÖ schätzt die Situation wie folgt ein:

Mittelfristig wird mit wiederum steigenden Zahlen an Schuldenregulierungsverfahren gerechnet. Der kurzfristige Rückgang scheint eher aus der allgemeinen Zurückhaltung der Banken aus der jüngeren Vergangenheit zu resultieren, die bei der Vergabe von neuen Krediten restriktiv sind. Auch mag der derzeit niedrige Zinssatz das Auftreten neuer Schuldenprobleme etwas dämpfen. Sollte die Erholung am Arbeitsmarkt erfolgen und wieder mehr Menschen in Beschäftigung stehen, würden ebenfalls die Zugangsmöglichkeiten zum Privatinsolvenzverfahren steigen.
Wichtig wäre es, in Zukunft die Präventionstätigkeit in Schulen auszubauen, ebenso in den Erwachseneneinrichtungen. Personen sollen früh genug den Umgang mit Geld und somit der Finanzwelt lernen.

Zur Sache
Das Leben wird 2014 für immer mehr Menschen härter, weil immer schwerer zu finanzieren: 813,99 Euro für Einzelpersonen, 1.220,98 Euro für Ehepaare – die bedarfsorientierte Mindestsicherung ist als Unterstützung für Menschen zu verstehen, die in eine finanzielle Notlage geraten sind und ihren Lebensunterhalt mit eigenen Mitteln (Einkommen und Vermögen) nicht mehr abdecken können.
In vielen Bezirken stieg heuer die Zahl der Menschen, die auf finanzielle Stütze, damit sie auf diesen MIndestsicherungs-Wert kommen, angewiesen sind (etwa in Baden um 15 Prozent). Im Bezirk Tulln – wie Sonja Dragoni mitteilt – haben im Juli 2014 insgesamt 183 Personen bzw. Familien im Bezirk Tulln die Bedarfsorientierte Mindestsicherung bezogen. Tendenz: Von 2011 (kurz nach Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung) bis 2014 leicht steigend.

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