Wien als Bilderbuch in 3D
Versteckte Kunst im Grätzel
Die Juristin Rosemarie bietet 23 Kunstspaziergänge in den Wiener Bezirken gegen die Pandemie-"Lethargie" an.
WIEN. Rosemarie ist ein kleiner Tausendsassa: Die Juristin studiert auch Kunstgeschichte und ist selbstständig tätig. Im Rahmen ihres Studiums stieß sie auf viele, oft übersehene Denkmäler und Statuen, die in allen Bezirken Wiens zu finden sind.
"Die Kunstwerke, die man an vielen Plätzen findet, werden meist nur von den Touristen gewürdigt", so die 38-Jährige. Was man gleichsam vor der Haustür stehen hat, das bemerkt man gar nicht mehr. Das findet Rosemarie schade und wollte etwas dagegen tun.
23 Bezirke – 23 Kunstwerke
Im Herbst vorigen Jahres ist ihr aufgefallen, dass die Menschen immer mehr in eine "Pandemie-Lethargie" verfallen. "Da wollte ich etwas dagegen unternehmen", so Rosemarie. Also sammelte sie pro Bezirk eine besondere Sehenswürdigkeit.
"Die Menschen können so bei einem Spaziergang, ein Denkmal in ihrem Grätzel besuchen", erklärt die Kunsthistorikerin. "Und wer weiß, vielleicht findet man in der Nähe ein weiteres Kunstwerk, das man bislang übersehen hat", schmunzelt die Hernalserin.
Gegen den Vandalismus
"Vielleicht achtet man die Kunstwerke dann auch mehr", ärgert sich Rosmarie über zahlreiche Vandalen-Akte. "Der Favoritner Schmerzensmann hat seine Laterne verloren und das Landstraßer Relief ,Krankenbesuch' bröckelt bereits", so die Kunsthistorikerin.
Um dem entgegen zu wirken versucht sie, die Kunstwerke zu erklären und mit Leben zu erfüllen. "Dann kann man diese Denkmäler auch als Teil seiner Geschichte erkennen und mehr achten", hofft sie. Und sie arbeitet bereits daran, an einem kleinen Buch. "Das wäre doch interessant", so Rosemarie: "Wien als Bilderbuch in 3D durch die 23 Bezirke gesehen."
Lange Suche
Bei der Arbeit, die 23 Denkmäler zusammenzutragen, hat die Hernalserin einiges auf sich genommen: Vier Tage ist Rosemarie in Wien unterwegs gewesen. "Das weiße Kreuz in Ottakring musste ich lange suchen, bevor ich es gefunden habe", gibt sie freimütig zu. Auch der Schmerzensmann in Favoriten wird ihr in Erinnerung bleiben: Die Statue steht am Rande der Stadt.
"Drei Wochen habe ich gebraucht, um alles zusammen zu stellen, zu recherchieren und die Denkmäler dann erklären zu können", so Rosemarie. "Ich wünsche mir, dass die Wiener mit offeneren Augen durch ihr Grätzel gehen", so die Kunsthistorikerin.
Hier nun die 23 Denkmäler, die Rosemarie in den 23 Bezirken ausgesucht und gedeutet hat:
1. Bezirk – Andromeda Brunnen
In der Inneren Stadt befindet sich in der Wipplingerstraße 8 ein besonderer Brunnen. Man sieht die junge Andromeda am Felsen angekettet. Hinter ihr nähert sich ein Seemonster, aber Perseus mit Pegasus kommen, um sie zu retten.
Ungewöhnlich ist, dass hier auch vier Putten-Figuren verewigt wurden. Sie zeigen das oft aufgegriffene Motiv der vier Kardinalstugenden: verständig, gerecht, fromm und tapfer.
2. Bezirk – Heiliger Florian
Der Heilige Florian am Alexander-Poch-Platz 6 wird hier in einer Rüstung mit einem kurzen Rock dargestellt. Er ist ein römischer Veteran, der sich dem Christentum zugewandt hatte. Der Legende nach wurde er dafür mit einem Mühlstein beschwert und in die Enns geworfen.
3. Bezirk – Krankenbesuch
Das Relief in der Baumgasse 75 stammt von Karl Kundmann. Es ist ein Stück aus der Fassade des Mautner-Markhoff-Kinderspitals. Der Arzt ist aufwändig gekleidet, aber ohne den weißen Kittel, den wir heute gewohnt sind. Dieser ist erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Arbeitskleidung der Ärzte geworden. Das junge Mädchen liegt am Schemel vor ihm.
4. Bezirk – Gluck
Die Statue des Komponisten Christoph Willibald Gluck (1714 bis 1787) befand sich ursprünglich im Seitenflügel des Musikverein-Saales. Besonders interessant ist, wie detailliert sein Gewand abgebildet wurde: vom Rock bis hin zu den Schnallenschuhen. Heute findet man die Statue in der Argentinierstraße 6.
5. Bezirk – Die Heilige Margareta
Die Statue der Heiligen Margareta in der Schönbrunner Straße 52 bei der Kirche St. Josef steht aufrecht mit einem Kreuz in der Hand. Unter ihr befindet sich ein halber Drachenkörper.
Der Legende nach wollte die Christin nicht gegen ihren Glauben heiraten, weshalb sie hingerichtet und zur Märtyrerin wurde. Sie zählt zu den Helfer-Figuren.
6. Bezirk – Barockstatuen
Am Fritz Grünbaum Platz befinden sich vor dem Haus des Meeres vier Barockstatuen, deren Zuordnung noch umstritten ist. So hält eine weibliche Figur etwa einen Lorbeerkranz. Es ist noch nicht klar, ob sie nun die Siegesgöttin Viktoria oder Nike darstellt. Herkules wird als älterer Mann mit einem Buch gezeigt.
Eine weitere weibliche Figur ist mit einer Muschel in Stein gemeißelt, was auf eine Darstellung der Liebesgöttin Venus hinweist. Ihr Zaubergürtel hat sie den Männern gegenüber unwiderstehlich gemacht.
7. Bezirk – Pestsäule
Am St. Ulrichs Platz steht eine Pestsäule. Zu sehen ist etwa der heilige Sebastian. Er war ein Soldat, der zum Christentum konvertierte und deshalb zum Tode verurteilt wurde. Er ist als junger Mann dargestellt, in dem Pfeile stecken. Er wird als Pestpatron verehrt. Der Legende nach wurde dieses Denkmal vor allem von jungen Frauen gerne besucht, die kamen, um sich den schönen Jüngling anzusehen.
Die zweite Figur zeigt die Heilige Rosalia. Sie war eine italienische Jungfrau, die als Einsiedlerin lebte, da sie nicht heiraten wollte. Die Sage erzählt, dass ein Engel ihr eine Höhle gezeigt habe, in der sie nicht gefunden werden konnte. Erst 1624 wurden ihre Gebeine tatsächlich gefunden.
8. Bezirk – Isis Brunnen
Die Statue, die heute am Albertplatz 8 zu finden ist , war bis 1912 im Kunsthistorischen Museum zu sehen. Sie wird mit einem Kopfschmuck gekrönt und hält eine Kanne, um Nil-Wasser schöpfen zu können.
9. Bezirk – Der gute Hirte
Zu sehen ist in der Lustkandlgasse 34-38 ein Gleichnis aus dem Neuen Testament: Christus als guter Hirte. Vermutlich war dieses Denkmal früher eine Nischenfigur. Das Motiv wird immer auch mit der Vorstellung des Paradieses verknüpft.
10. Bezirk – Der Schmerzensmann
An der Stadtgrenze an der Leopoldsdorfer Straße 17 findet sich der Schmerzensmann. Auf der Stele, die ihm Halt bietet, sind die Werkzeuge seines Leidens abgebildet, etwa Lanze, Leiter, Geißel sowie Folterwerkzeuge.
11. Bezirk – Sefritkreuz
Diese Steinsäule geht auf einen Fleischhauer zurück, der im 17. Jahrhundert lebte. Ursprünglich befand sich das Denkmal vor dem Haus Simmeringer Hauptstraße 27. Auf dem Sockel der Steinsäule findet man die Inschrift, dass die Dame des Hauses "eine liebe Hausfrau" war.
12. Bezirk – Heilige Anna mit Maria
Am Khleslplatz findet sich ein seltenes christliches Motiv: Anna überreicht Maria, die hier als kleines Mädchen dargestellt ist, ein Bündel Papier. Dass man Anna und Maria auf einem Denkmal findet, ist äußerst selten.
13. Bezirk – Heiliger Christophorus
In der Fasangartenstraße 101 steht ein älterer Mann mit Vollbart: der heilige Christophorus mit dem Christuskind am Arm.
14. Bezirk – Heiliger Ludwig
Am Friedhofsgelände in der Samptwandnergasse 6 findet sich die Statue des Heiligen Ludwig. Er ist als König in Rüstung mit Kette um den Hals dargestellt. Er lebte im 13. Jahrhundert, nahm bei einem Kreuzzug teil und galt als mildtätig und äußerst fromm.
15. Bezirk – Mariensäule
Auf dem Denkmal am Henriettenplatz 6 ist unter anderen auch die Heilige Katharina abgebildet. Das Teil des Rades, den man hier sieht, spielt auf ihren Märtyrer-Tod an: Sie wurde auf das Rad geflochten und geköpft. Der Legende nach soll dabei Milch aus ihrem Nacken geflossen sein.
16. Bezirk – Weißes Kreuz
Gegenüber der Polizeiwache in der Wattgasse 15 befindet sich das Weiße Kreuz. Es zeigte den Ortsausgang Ottakrings an und wurde erstmals 1683 zerstört. Zu sehen ist Christus am Kreuz.
17. Bezirk – Eisbär
Einen Kampf auf Leben und Tod zeigt die Steinskulptur Eisbär in der Jörgerstraße 46-48. Während der Eisbär schon die Oberhand gewonnen hat, versucht die Robbe unter ihm noch dem Tod zu entkommen. Geschaffen hat dieses Kunstwerk der Bildhauer Otto Jarl 1902. Seine Tochter arbeitete auch Motive für Augarten aus.
18. Bezirk – Josef Kainz
Der berühmte Burg-Mime Josef Kainz steht als Denkmal am Josef-Kainz-Platz. Dargestellt ist er mit einem Totenschädel in seiner rechten Hand, womit auf seine Parade-Rolle "Hamlet" von Shakespeare angespielt wird.
Er starb 1910 in Wien. Ihm zu Ehren wurde in Österreich von 1958 bis 1999 jedes Jahr die Kainz-Medaille für bedeutende Leistungen von Schauspielern und Regisseuren verliehen.
19. Bezirk – Heiliger Petrus
Der Apostel schaut zum Himmel hinauf. Petrus wurde mit einem wallenden Gewand in der Eyblergasse 1 dargestellt. Er ist der Patron der Schlüsselmacher.
20. Bezirk – Nepomuk-Kapelle
Die Kapelle an der Kreuzung Nordwestbahnstraße / Scherzergasse / Am Tabor (an der nördlichen Seite der Taborstraße 89) hat einen quadratischen Grundriss. Darin steht die Statue des Nepomuk mit Engeln, einem aufgeschlagenem Buch und dem Blick gegen den Himmel. Nepomuk war in Prag tätig, wo er sich mit König Wenzel IV. überwarf. Der König ließ ihn daraufhin in die Moldau werfen, wie die Legende erzählt.
21. Bezirk – Pieta
Maria hält auf diesem Denkmal am Jedlersdorfer Platz 2 ihren toten Sohn am Schoß. Jesus ist nur mit einem Lendenschurz bedeckt, sodass man die Wunden sehen kann.
22. Bezirk – Christus
"Wer an mich glaubt, wird ewig leben", so die Inschrift auf dem Denkmal am Asperner Heldenplatz 9. Die Statue zeigt ihn nach der Auferstehung mit einem Segensgruß.
23. Bezirk – Heiliger Donatus
Im Engelbert-Schliemann Park sieht man den christlichen Märtyrer Donatus. Er ist ein Wetter- und Ernte-Heiliger, aber vieles von seinem Leben ist ungewiss. Sein Name kommt aus dem Lateinischen und heißt etwa "der Geschenkte".
Die Statue zeigt einen S-förmigen Körper mit Bart, im Barock-Kostüm und mit Wadenstrümpfen. hinter seinem Fuß sieht man einen Baumstumpf, aus dem Beeren wachsen. Donatus selbst hält die Sichel und Ähren, ein Zeichen für die Fruchtbarkeit der Erde.
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