Interview
Peter Hacker über Ärztemangel, falsche Statistiken & "Burger-Gate"
Im Interview sprach Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) über die großen Herausforderungen in der medizinischen Versorgung und was ihn richtig grantig macht. Kritik gab es nach dem Burger-Video an Bundeskanzler Nehammer.
WIEN. Wie sieht es mit der Zukunft der medizinischen Versorgung aus? Werden wir in 15 Jahren ausreichend Ärztinnen und Ärzte und auch Pflegepersonal haben? Das alles wollten wir von Gesundheits- und Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) wissen. Im Interview mit der BezirksZeitung nimmt er sich kein Blatt vor den Mund, äußert sich zum Burger-Video von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und verrät, warum sich die Wienerinnen und Wiener noch gepflanzt fühlen.
Die BezirksZeitung feiert heuer ihren 40. Geburtstag. Wie hat sich die Gesundheitsversorgung in den vergangenen 40 Jahren verändert?
PETER HACKER: Wir können heute Krankheiten behandeln, bei denen wir früher höchstens die Schmerzen lindern konnten. Wir sind auf der Technologieebene unglaublich weitergekommen. Früher wurden bei OPs noch 20, 30 Zentimeter große Öffnungen in den Körper geschnitten. Heute sind das knopflochgroße Öffnungen in der Haut, die nach ein paar Tagen verheilt sind. Es ist unglaublich, was die Medizin heutzutage kann. Wir haben heute zweifelsohne eine wesentlich bessere Versorgung der Bevölkerung als vor 40 Jahren, jedoch nicht im Vergleich zu vor zehn bis 15, 20 Jahren.
Inwiefern?
Wir haben einen Rückgang im niedergelassenen Kassenbereich und es ist nicht möglich, diesen durch die ambulante Spitalsbehandlung aufzufangen. Bitte nicht missverstehen: Das ist kein versteckter Vorwurf gegenüber den Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen Bereich. Die arbeiten so viel wie niemals zuvor, aber sie werden immer weniger. Das ist nicht ihre Schuld, sondern die unseres Gesundheitssystems. Wir haben vor 20 Jahren eine Finanzierung des Gesundheitssystems samt Evaluierung, ob sich das auch alles ausgeht, vereinbart. Seit 20 Jahren werden wir vertröstet und in der Zwischenzeit haben wir ein riesiges Budgetloch. Ich verstehe einfach nicht, warum es so schwierig ist, mit dem Bund vernünftige Grundsätze zu vereinbaren.
Wie frustrierend ist das für Sie?
Das ist schon auch ein bisschen frustrierend. Aber ich empfinde es als Herausforderung, mich besonders anzustrengen, einen Weg zu finden, um ans Ziel zu kommen.
17.000 Ärzte in zehn Jahren in Pension
Die Babyboomer-Generation geht derzeit in Pension. Welche Auswirkungen hat das auf den Pflegebereich, der jetzt schon am Limit ist?
Wir haben vor fünf Jahren die Ausbildungsplätze in der Pflege verdoppelt. Das war eine meiner ersten großen Maßnahmen als Stadtrat. Mehr können wir aktuell nicht ausbilden – nicht aufgrund der Schulklassen, sondern aufgrund der Ausbildungsplätze in der Praxis. Da war eine Verdoppelung eine echte Herausforderung, aber das haben wir hinbekommen. Würden das in Österreich alle machen, wären wir schon weiter, denn wir haben nach wie vor mehr Bewerber als Ausbildungsplätze.
Wie sieht es künftig mit der Anzahl der Ärzte aus?
Das bereitet mir wirklich Sorgen. Denn dort kann ich eine solche Initiative – eine Verdoppelung der Ausbildungsplätze – nicht wahrnehmen. Fakt ist: Wir schicken jedes Jahr weit mehr als 10.000 Personen frustriert nach einer Prüfung weg, die alle sagen: ´Wir würden irrsinnig gerne Ärztinnen oder Ärzte werden.´ In zehn Jahren werden 17.000 Ärztinnen und Ärzte in Pension gehen. 7.000 davon werden nicht nachbesetzt. Wir werden in zehn, 15 Jahren einen Ärztemangel haben. Da wird das, was wir jetzt in der Pflege erleben, als Lercherl in Erinnerung bleiben.
"Bevölkerung wird Sand in die Augen gestreut"
Dieser Mangel kann aus heutiger Sicht auch nicht mehr behoben werden?
Nein. Was wir in den vergangenen Jahren zu wenig an Ärztinnen und Ärzten ausgebildet haben, können wir nicht über Nacht ersetzen. Die Altersstatistik der Ärztinnen und Ärzte kann man auf der Homepage der Ärztekammer nachlesen. Wir zählen dort tatsächlich die pensionierten Ärzte mit. Die Pensionistinnen und Pensionisten gehören aus der Ärzteliste raus. Wenn wir das jedoch tun würden, würden wir draufkommen, dass wir ja gar nicht mehr die höchste Ärztedichte Europas haben. Hier wird der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut. Aber die Leute sind nicht deppert: Du findest keinen Gynäkologen mehr. Punkt. Aus. Ende. Du findest keinen Allgemeinmediziner mehr, keinen Kinderarzt, keinen Augenarzt und, und, und. Die Menschen bekommen das tagtäglich mit. Ich glaube, dass das mitunter ein Auslöser für die Politikverdrossenheit der Bevölkerung ist. Die Leute fühlen sich gerollt und das wird sich auf die Wahlen auswirken.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) empfiehlt armutsbetroffenen Familien, ihren Kindern Burger zu essen zu geben. Was denkt man sich da als Gesundheits- und Sozialstadtrat?
Dieser Zynismus macht mich richtig grantig. Es ist mir ehrlich gesagt zu deppert, dem Bundeskanzler einen Vortrag über gesunde Ernährung zu halten, aber auch Armutsbetroffene haben ein Recht auf gesunde Ernährung. Das sind wir ihnen schuldig. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir sagen: ´Wir halten alle zusammen.´ Und genau darum wird es gehen: Wollen die Menschen eine Gesellschaft, die zusammenhält? Eine Gesellschaft, die niemanden zurücklässt und alle mitnimmt? Oder sagen wir: ´Pfeif drauf! Die sollen einfach mehr hackeln gehen, wenn sie nichts zu essen haben!´ Am Ende des Tages wird es bei der Wahl genau darum gehen. Ich finde, der Bundeskanzler muss sich für seine Aussagen entschuldigen.
Sie haben der Zukunft unserer medizinischen Versorgung eher ein schlechtes Zeugnis ausgestellt …
Nein, ich habe kein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Ich mache nur kein Geheimnis aus den Herausforderungen. Ist das alles schaffbar? Ja, wenn wir uns anstrengen. Ich bin auf jeden Fall dazu bereit, mich dafür anzustrengen. Aber ich werde auch nicht schweigen, wenn sich andere nicht bemühen. Wichtig ist, dass alle Menschen die bestmögliche Behandlung bekommen. Dafür stehe ich und dafür kämpfe ich auch.
Mehr zum Thema:
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.