Akuter Personalmangel
So wollen die Wiener Linien die Situation meistern
U-Bahn-Bau, Personalmangel, Krankenstände und daraus resultierende längere Wartezeiten auf die Öffis: Wiener Linien-Geschäftsführerin Alexandra Reinagl verrät im Interview, mit welchen Maßnahmen sie diese Herausforderungen in den Griff bekommen möchte.
WIEN. Seit 1. November 2022 leitet Alexandra Reinagl gemeinsam mit Petra Hums und Gudrun Senk als Trio die Geschicke der Wiener Linien. Das Unternehmen steht vor großen Herausforderungen, die auch an den Fahrgästen nicht spurlos vorüber gehen. Was auf die Wienerinnen und Wiener zukommt, verrät Reinagl im Interview.
Es sind gerade herausfordernde Zeiten – der U-Bahn-Bau, eine Pensionierungswelle, Personalmangel, Krankenstände. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?
ALEXANDRA REINAGL: Ich führe und manage sehr gerne und das macht dann Spaß, wenn es Herausforderungen gibt – auch wenn das vielleicht jetzt ein bisschen plakativ klingt. Aber so sehen wir drei das. Wir sind ein gutes, eingespieltes Team, wir teilen uns diese Herausforderungen auf und werden sie so gut anpacken können. Wir haben für die ganzen Herausforderungen ein 5-Punkte-Programm ausgearbeitet. Erstens widmen wir uns dem Thema Ausbildung. Es bewerben sich derzeit zwei Kategorien Menschen. Die einen top ausgebildet, fast überausgebildet, die jedoch nicht Vollzeit arbeiten wollen. Hier spricht man mittlerweile von einem Life-Work-Flow.
Was ist mit der anderen Kategorie?
Die andere Hälfte, die sich bewirbt, ist schlechter qualifiziert. Auch die, die als Muttersprache Deutsch haben, sind in Schrift und Wort teilweise schlecht. Hier gibt es Handlungsbedarf. Das heißt, die Ausbildung muss einerseits länger werden, damit wir den Menschen mehr Zeit zum Lernen geben, andererseits muss sie einfacher werden. Wir sind gerade dabei, unsere Lernunterlagen in einfache Sprache zu übersetzen. Der zweite Punkt betrifft eine Recruiting-Offensive – die eh schon länger läuft. Dabei werben wir verstärkt mit diversen Kampagnen um Mitarbeiter.
Wie sieht es mit den Intervallen der Öffis aus? Wird es hier zu Veränderungen kommen?
Das ist unser dritter Punkt. Wir versuchen unsere Intervalle zu stabilisieren, indem wir den Fahrplan erneut etwas ausdehnen. Das betrifft nicht den Morgenverkehr und die U-Bahn. Jedoch einige wenige Busse und die Straßenbahnen. Hier haben wir aktuell den größten Personalmangel – da muss ein bisschen entzerrt werden. Wir versuchen in regelmäßigere Intervalle reinzukommen. Daher müssen wir eben nach 9 Uhr und auch am Wochenende ein bisschen was rausnehmen.
Was heißt „ein bisschen rausnehmen“?
Drei Prozent des Fahrplans werden ab 9. Jänner 2023 angegriffen. Davon ist ja ein Teil im November schon angegriffen worden – die sind in diesen drei Prozent enthalten. Das waren 0,4 Prozent unseres Komplettangebotes. Jetzt müssen wir hier noch einmal nachjustieren, weil es leider einfach nicht gereicht hat.
Was natürlich gerade für die Westbezirke problematisch ist, die auf die Bim angewiesen sind...
Ja, ich rede die Situation nicht schön. Im Gegenteil. Jedoch weiß ich, dass die aktuellen längeren Wartezeiten entstehen, wenn eine Garnitur aufgrund eines spontanen Krankenstandes eingezogen werden muss. Früher sind die Leute dann einfach länger gefahren. Aber im Moment machen sie bereits so viele Überstunden, dass wir Krankenstände einfach nicht mehr abdecken können. Wenn ich jedoch schon einen entspannteren Fahrplan habe, kann ich mehr Potential in die Spitzen reinstecken. Aktuell kann ich mich nur hinstellen und dafür entschuldigen, dass es derzeit nicht anders geht. Und natürlich setzen wir alles dran, das so schnell wie möglich zu ändern.
Ist der Personalmangel so vakant?
Es ist nicht nur der Personalmangel. Aktuell kämpfen wir auch mit wirklich vielen Krankenständen. Wenn ich einen Schnupfen habe, mich nicht wohlfühle und selbst wenn ich Fieber habe, kann ich im Homeoffice arbeiten. Unsere Fahrerinnen und Fahrer können das nicht. Ich weiß, dass die Fahrplananpassungen in den nächsten Tagen in den Medien rauf- und runtergespielt werden, das ist mir bewusst. Aber dennoch: 97 Prozent der Fahrpläne werden nicht angetastet. Wir schwächeln bei den Straßenbahnen und das wird jetzt wirklich analysiert und angeschaut.
Warum fehlen so viele Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer?
Ich stelle mir die Frage seit einem halben Jahr. Es ist eine Tatsache, dass die wenigsten in die Straßenbahnausbildung gehen wollen. Denn man ist an eine Schiene gebunden, fährt aber trotzdem großteils im normalen Verkehr mit und das ist schon extrem stressig.
Wie sieht es mit den restlichen zwei Maßnahmen aus?
Der vierte Punkt umfasst eine Beratung. Wir lassen uns analysieren. Denn wir sind der Meinung, dass es einen objektiven Blick von außen braucht.
Hängt das mit dem anonymen Schreiben einiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen, die die Arbeitsbedingungen, die hohe Fluktuation und die so genannten Unterbrecherdienste kritisierten?
Gerade die Unterbrecherdienste sind sehr an den Pranger gestellt worden. Man kann sie auch geteilte Dienste nennen. Sprich, man arbeitet morgens und dann wieder abends, dazwischen geht die Person nach Hause. Vor Jahrzehnten hat man sich diese Unterbrecherdienste gewünscht. Jetzt will man scheinbar was anderes. Um das zu analysieren holen wir uns externe, objektive Beraterinnen und Beratern. Sind die Dienstpläne und Unterbrecherdienste, die wir derzeit noch haben, passend? Ist es das, was die neuen Generationen auch haben wollen?
Wie hat es sich für Sie angefühlt, dass jemand von Ihrem Team an die Medien geht und sich nicht direkt an Sie wendet?
Anonyme Briefe gibt es immer wieder mal, das ist nicht der erste. Aber es ist der erste, der es so schnell in die Medien geschafft hat. Tatsächlich ist es – glaube ich – nicht einmal eine Gruppe. Wir haben im März Personalvertretungswahlen und da entstehen im Vorfeld gerne solche Themen. Aber ich nehme das schon sehr ernst. Ein anonymer Brief ist oft die Spitze eines Eisberges. Inhaltlich scheint da schon länger etwas zu gären. Also hier gilt es für alle Führungskräfte Verantwortung zu übernehmen und Maßnahmen vorzuschlagen, wie wir damit umgehen. Es hat mich schon ein bisschen betroffen gemacht. Denn eigentlich bin ich als Geschäftsführerin eines 8.700-Personen-Unternehmens eh so viel draußen und rede mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Jedoch wird das nicht honoriert. Mit dem muss man umgehen lernen, das muss man wegstecken können. Einerseits die eigene Gefühlswelt unter Kontrolle halten und andererseits sich hinstellen und überlegen, was tun wir. Die Ärmel aufkrempeln und die Sache angehen.
Wie sieht es mit dem fünften Punkt Ihres Programmes aus?
Beim letzten Punkt geht es um die Attraktivierung des Fahrdienstes. Einerseits gehen wir ab 2026 auf eine 36-Stunden-Woche und ab 2028 auf eine 35-Stunden-Woche. Außerdem sehen wir uns an, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Dienst beginnen und wo er endet. Wir haben viele verschiedene Straßenbahnhöfe in Wien und jetzt kann es schon mal sein, dass eine Kollegin oder ein Kollege in Ottakring den Dienst beginnt und in Speising aufhört. Das wollen die Leute nicht. Die kommen bei einem Frühdienst mit ihrem Auto nach Ottakring, wo sie auch parken können, und sind dann in Speising, haben vielleicht auch noch einen Unterbrecherdienst und müssen wieder nach Ottakring. Es hat alles seinen Grund und wir wollen damit auch niemanden pflanzen – aber wenn es zu Problemen führt, muss man sich das anschauen und überlegen, wie man diese Situation verbessern kann.
Wie könnte man denn diese Situation verbessern?
Wir wollen hier schnell Maßnahmen ergreifen, denn ich will den Menschen zeigen, dass wir sie hören. Ich bin oft auch um 4 Uhr früh draußen und versuche mein Ohr an die richtige Stelle zu legen und da sind die unterschiedlichen Beginn- und Endpunkte ein Thema. Ich überlege mir beispielsweise einen Shuttle für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuführen oder eventuell kleine Elektro-Smarts, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von A nach B fahren können.
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