Region und regionale Identität
In einem „Plädoyer für das Unerwartete“ hat Wissenschafter Günther Marchner für die „Synergie-Konferenz“ von Kunst Ost, die auf Schloß Freiberg stattfand, kulturelles Engagement auf der Höhe der Zeit reflektiert.
Vor einer Woche fand diese Konferenz statt, in der die „Kulturspange“, eine regionale Plattform von Kulturinitiativen, ihre Themen und ihre Jahresplanung darlegte, auf daß interessierte Kreative Anknüpfungspunkte finden können.
Marchner widerspricht übertragenen Klischees und sieht ländliche Regionen auch als „Räume des Aufbruchs, verbunden mit neuen Sichtweisen und Visionen engagierter Menschen“. Es gehe um „Möglichkeits- und Freiräume für Unbekanntes, Unerwartetes und Unkonventionelles, um Räume für Experiment und die Schaffung von Neuem“.
Das heißt, im Kontrast zu konventionellem Kultur- und City-Management, das vor allem einmal Geselligkeit verwaltet, was ja zu den legitimen Aufgaben einer Kommune gehört, verlangen „Lebensentwürfe in ländlichen Regionen“ eine Reihe grundlegend anderer Bedingungen.
Das wird übrigens auch von der EU so gesehen, die einige ihrer Förderprogramme an die Erfüllung des „Bottom up-Prinzips“ geknüpft hat. Das bedeutet, solche zusätzlichen Gelder aus Brüssel kommen nur dann in die Region, wenn eingereichte Projekte von der zivilgesellschaftlichen Basis engagierter Bürgerinnen und Bürger her entwickelt werden.
Das hat sich bisher bewährt. Kunst Ost ist als ein Projekt des „kultur.at: verein für medienkultur“ entstand und war das überhaupt erste LEADER-Kulturprojekt der Steiermark. Das bedeutet, die „Kulturspange“ repräsentiert durchgängige praktische Erfahrung mit diesen Modi seit 2008.
Marchner konstatiert, die „Bilder im Kopf“ würden „die Entwicklung von Regionen und somit auch Lebensentwürfe von Menschen genauso“ mitbestimmen, „wie strukturelle und geographische Rahmenbedingungen“.
Kunst Ost war nun durch die Jahre nicht bloß mit Gegenwartskunst befaßt. Über das „Kuratorium für triviale Mythen“ wurde auch an Themen gearbeitet, die in einer Gesamtbetrachtung kulturellen Geschehens der Volkskultur zuzurechnen sind.
Das korrespondiert mit einer Feststellung Marchners: „Nicht nur objektive Rahmenbedingungen, sondern eben auch tradierte Vorstellungen zu Entwicklungsmöglichkeiten ländlicher Regionen beeinflussen Planung und Politik.“
Gerade die von uns allen durchlaufenen Prozesse einer steirischen Verwaltungsreform, die zu einer Serie von Gemeindezusammenlegungen geführt haben, machten breiteren Bevölkerungskreisen aktuell bewußt, daß wir die Fragen nach Identität und Entwicklung nicht bloß Werbeagenturen und PR-Büros überlassen sollten.
Marchner konstatiert eine „besondere Problematik“ in der „verbreiteten Thematisierung von ‚regionaler Identität’ als Ressource und als gewachsenes Merkmal“. Dazu präzisiert der Wissenschafter: „Regionale Identität wird in ländlichen Regionen aber vorrangig mit ‚Tradition’ und ‚Kulturerbe’ verbunden. Demzufolge werden Elemente, die nicht zu diesem Bild passen, ausgeblendet.“
Solchen Tendenzen steht die „Kulturspange“, der Marchner angehört, entgegen, denn: „Derartige Strategien und Leitbilder laufen Gefahr, einer rückwärtsgewandten und traditionalistischen Sichtweise für die Entwicklung einer Region Vorschub zu leisten. Man verbindet die Zukunft einer Region überwiegend mit Bildern des allzu oft idealisierten Vorhandenen.“
Marchner benennt das zentrale Problem solcher Sichtweisen: „Man lässt damit Neues, Unbekanntes und Unkonventionelles nicht zu.“
Im Kontrast zu solchen rückwärtsgewandten Kulturstrategien hat die „Kulturspange“ im November 2014 einen Themenschwerpunkt für die kommenden Jahre vorgelegt, der aus dem vergangenen Kunstsymposion und der Arbeit am „Mythos Puch“ abgeleitet wurde: „Die Ehre des Handwerks, das Gewicht der Kunst, der Geist in der Maschine“.
In dieser Themenentwicklung besteht auch ein eigener Schwerpunkt „Volkskultur“, der einer klaren Überlegung gewidmet ist: Provinz, das muß nicht „provinziell“ heißen. Siehe dazu auch: „Kulturspange: 2015 bis 2017“ [link]
+) Kunst Ost: Volkskultur [link]
+) Einige LEADER-Prinzipien der EU [link]
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