Uhr eines KZ-Häftlings nach 85 Jahren an den Sohn retourniert

- Hans Meissnitzer bekam nach 85 Jahren die Taschenuhr seines Vaters zurück
Foto FMZ - hochgeladen von Franz Michael Zagler
David Meissnitzer aus Admont verweigerte aus religiöser Überzeugung den Dienst mit der Waffe. Diese Gesinnung führte dazu, dass er als Zeuge Jehovas von Dezember 1939 bis Mai 1945 in drei verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert war. Vom 1. März 1940 bis 9. Mai 1945 verrichtete Meissnitzer im KZ Neuengamme Zwangsarbeit. Dort wurde ihm auch seine Taschenuhr abgenommen und in der Effektenkammer verwahrt. 85 Jahre später wurde diese Uhr dem Sohn Hans Meissnitzer übergeben, die noch funktioniert.
26. Mai 2025 – Im großen Gedenkjahr 2025 erlebt Hans Meissnitzer eine große Überraschung. Sein Vater David Meissnitzer verbrachte unter schrecklichen Bedingungen über 5 Jahre Haft im KZ Mauthausen, im KZ Sachsenhausen und im KZ Neuengamme. Am 1. März 1940 kam der Häftling David Meissnitzer mit dem Lila Winkel in Neuengamme an. Die SS nahm ihm sogleich sein Hab und Gut ab und lagerte es in der Effektenkammer, wozu auch seine geliebte Taschenuhr gehörte.
"Ich erhielt die Uhr per Post"
Diese Uhr seines Vaters erhielt Hans Meissnitzer diese Tage vom „Arolsen Archives“ zurück. Arolsen ist das internationale Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von Arolsen meldete sich beim Verein Lila Winkel. Sie suchte nach der Bestätigung, dass David Meissnitzer Opfer des NS-Regimes war und ob der Verein Kontakt zu Angehörigen herstellen könnte. Die Daten waren schnell abgeglichen und da der Verein Lila Winkel kontakt zu Angehörigen von NS-Opfern pflegt konnte Hans Meissnitzer umgehend informiert werden. Hans Meissnitzer überglücklich: „Ich erhielt die Uhr per Post, feinsäuberlich verpackt, ich war fasziniert, dass sie sogar noch funktioniert. Es ist für mich auch ein Anstoß mich intensiv mit der Geschichte meines Vaters zu beschäftigen. Denn bis zu seinem Tod hat er über sein Schicksal geschwiegen.“
David Meissnitzer wird am 29.12.1908 der steirischen Gemeinde Stadl an der Mur als eines von sechs Kindern geboren. Dieser naturverbundene junge Mann war in der Land- und Forstwirtschaft als fleißiger Arbeiter bekannt, der jedoch einer gefährlichen Leidenschaft nachging: der Wilderei. Das änderte sich 1935. Mit 27 Jahren lässt er sich am 15. August als Zeuge Jehovas in Admont taufen, gibt die Wilderei auf und widmet sich seinem Glauben.
Seine neue religiöse Überzeugung sollte bald auf die Probe gestellt werden. Im April 1938 reiste Hitler durch Österreich und machte in Rottenmann einen Zwischenstopp. Arbeiter bildeten ein Begrüßungskomitee, erhoben ihre Hand zum Hitlergruß und riefen „Heil Hitler“. Nur Meissnitzer nicht. Im Dezember 1939 bekam er den Einberufungsbefehl. Als er aus religiöser Überzeugung den Dienst mit der Waffe verweigerte, schlug ihm ein Offizier mehrmals brutal mit einem Schürhaken auf dem Kopf und schrie David an: „Sie müssen doch ihr Vaterland verteidigen!“ Meissnitzer darauf: „Mein Vaterland ist die ganze Erde.“ Der Offizier kontert: „Und, was wäre denn, wenn alle so denken würden?“ „Dann bliebe der Krieg aus“, erwiderte Meissnitzer.
Am 20. Dezember 1939 beginnt für David Meissnitzer ein jahrelanger Leidensweg. Er verbringt einige Wochen im Polizeigefängnis Graz, dann ging es über das KZ Mauthausen in das KZ Sachsenhausen, dort verbrachte er nur 2 Wochen, bevor es am 1. März 1940 weiter nach Neuengamme in das neu errichtete Konzentrationslager geht. Durch die brutale Behandlung der SS glaubte David bald, dass er Neuengamme nicht lebend verlassen würde. In seiner Not aß er Schnecken und Knochen, die bereits von Hunden abgenagt worden waren, oder fischte sich ölverschmiertes Brot aus dem Hafenwasser in Hamburg, als er dort mit dem Suchen von Bomben und dem Wegräumen von Leichen beschäftigt war.
Am 30. April 1945 war Meissnitzer einer der Häftlinge, die Richtung Flensburg in die Freiheit marschierten. Auf diesem „Todesmarsch“ kam kein einziger Zeuge Jehovas ums Leben, da sie sich gegenseitig trotz ihrer eigenen Schwäche halfen. Am 18. Mai 1945 kam David in Flensburg ins Betreuungslager „Stormschule“, wo er bis zum 1. August 1945 blieb. Danach wurde er auf einen Bauernhof in Deutschland gebracht, wo er wieder zu Kräften kam.
David Meissnitzer kehrte schließlich nach Admont zurück, heiratete seine Jugendliebe und erwarb 1959 ein nettes Anwesen mit einer hölzernen Veranda, die bis 1974 als Versammlungsraum für die Gottesdienste der Zeugen Jehovas diente. Er starb mit 71 Jahren.
David Meissnitzer hinterlässt seinem Sohn Hans nicht nur ein geistiges Erbe, sondern auch eine Taschenuhr, von der er gar nichts wusste. 1940 im KZ Neuengamme abgenommen, in weiterer Folge im Arolsen Archiv verwahrt und schließlich im Mai 2025 an Sohn Hans Meissnitzer übermittelt.
„Arolsen Archiv“
Die „Arolsen Archives“ wurden 1948 von den Alliierten gegründet und sind das internationale Zentrum über NS-Verfolgung das rund 17,5 Millionen Hinweise zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus beinhaltet.
Allgemeines zur NS-Geschichte von Jehovas Zeugen und „Lila Winkel“
Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 kam es in Deutschland sehr rasch zur Verfolgung der Zeugen Jehovas. Sie zählten zu den ersten, die in Konzentrationslagern inhaftiert wurden. 1938, nach dem Anschluss, begann die Verfolgung auch in Österreich. Von den circa 800 Zeug:innen Jehovas, die 1938 in Österreich lebten, wurden 80 Prozent von den Nationalsozialisten verfolgt, 154 wurden ermordet oder starben an den Folgen brutaler Behandlung.
Von Anfang an verweigerten sich Jehovas Zeugen dem Nationalsozialismus aus christlicher Überzeugung. Sie gelten als die einzige Religionsgemeinschaft, die dem NS-Regime geschlossen Widerstand leistete und deshalb besonders stark verfolgt wurde. Zu den Gründen für die Verfolgung zählten unter anderem die Ablehnung des Hitlergrußes sowie die Weigerung, sich nationalsozialistischen Organisationen wie der NSDAP, dem Bund Deutscher Mädel oder der Hitlerjugend anzuschließen. Mit Beginn des Krieges kamen weitere Anlässe hinzu, etwa die Verweigerung kriegsrelevanter Tätigkeiten – wie in der Rüstungsindustrie – und die grundsätzliche Ablehnung jeglichen Kriegsdienstes.
Verein Lila Winkel
Der Verein „LILA WINKEL – Vereinigung zur Rehabilitierung und Unterstützung von Opfern der NS-Zeit“ beschäftigt sich seit 1998 mit der Dokumentation und Aufarbeitung des Schicksals unschuldiger Opfer. Der Verein dient der Förderung aller Maßnahmen und Tätigkeiten, welche dem Gedenken an die Opfer, der Aufarbeitung der NS-Zeit in historischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sowie der gesellschaftlichen und rechtlichen Rehabilitierung der Betroffenen dienlich sind.


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