Arbeitsmarkt
„Massenkündigungen erwarte ich nicht“

Stefan Seilinger ist stellvertretender Leiter des Arbeitsmarktservice (AMS) Braunau. | Foto: AMS Braunau
  • Stefan Seilinger ist stellvertretender Leiter des Arbeitsmarktservice (AMS) Braunau.
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Stefan Seilinger vom AMS Braunau über offene Stellen, krisensichere Jobs und Angst vor Jobverlust.

BezirksRundschau: Wie viele Arbeitslose haben wir aktuell im Bezirk Braunau?
Seilinger:
Per 20. Oktober 2020 sind 3.184 Personen, inklusive der Schulungsteilnehmer, zur Arbeitssuche vorgemerkt

Wie viele offene Stellen gibt es im Bezirk? 
Wir verzeichnen 1.547 offene, sofort verfügbare Stellenangebote. Da ist eine kontinuierliche Steigerung seit August zu sehen.

Welche Branchen suchen?
Besonders im traditionellen Handwerk werden ständig loyale Facharbeiter gesucht: Maurer, Zimmerer und Dachdecker für den Bau, Elektriker, Installateure, Montagetischler sowie Fliesen- und Plattenleger. Auch die Warenproduktion meldet Bedarf an Produktionsmitarbeitern im Vier-Schichtbetrieb. Die Gebäudereinigung verzeichnet Auftragssteigerungen, dadurch wird auch in diesem Bereich mehr Personal zum Einsatz kommen.

Welche Fachkräfte sind gefragt?
Solche mit einer Lehrausbildung im jeweiligen Bereich, gepaart mit Praxis, körperlicher Fitness und der Bereitschaft auch an Tagesrandzeiten dem Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Die entsprechende Mobilität ist dafür natürlich eine Grundvoraussetzung. Diese hohen Standards grenzen das Potenzial jedoch sehr stark ein, sodass trotz der hohen Arbeitslosigkeit in diesen Segmenten chronisch ein Nachfragedefizit zu verzeichnen ist.

Gibt es Branchen oder Firmen im Bezirk, die sich gerade besonders schwer tun, Personal zu finden oder geht es aktuell eher darum, Personal auszustellen?
Ich möchte festhalten, dass nicht jede Redimensionierung aufgrund von Corona passiert. Da darf nicht alles in einen Topf geworfen werden. Im Bereich der Automobilindustrie findet zum Beispiel ein großer Veränderungsprozess statt. Wenn Elektroautos weniger Arbeitsvolumen erzeugen, wird sich dies auch auf den Bereich der Zulieferbetriebe auswirken, weil eben Produktionsschritte wieder in das Unternehmen zurückgeholt werden. Die Luftfahrtindustrie, das Beherbergungsgewerbe und der Personentransport leiden natürlich unter den Reisebeschränkungen. Das ergibt Chancen für diese Mitarbeiter in neuen Berufen, durch Umschulungen, Anpassung der Qualifikation, wieder Fuß fassen zu können. Personalbedarfe entstehen nicht nur über die Konjunktur. Karenzierungen und Pensionierungen erfordern Einstellungen, der Arbeitsmarkt ist immer in Bewegung.

Wie viele Lehrstellen sind offen?
Wir verzeichnen aktuell 289 offene Ausbildungsplätze.

Und wie viele junge Menschen befinden sich auf der Suche nach einer Lehrstelle?
Mit Stand 20. Oktober 2020 bemühen sich über das AMS 205 Jugendliche um eine Lehrstelle. Ich bin davon überzeugt, dass sich darüber hinaus eine Vielzahl von Jugendlichen in weiterführenden Schulen befinden, wo Abbrüche in den kommenden Monaten erwartbar sein werden. Fehlende Zugangsbeschränkungen für diese Ausbildungseinrichtungen entziehen der Wirtschaft das Potenzial für Nachwuchskräfte.

Wird sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter zuspitzen?
In den nächsten Monaten steigt die Arbeitslosigkeit, den Höchststand kann man Ende Jänner 2021 erwarten, weil der Bau witterungsbedingt die Arbeit stark reduzieren muss. Daher gilt es für die Arbeitssuchenden jetzt – individuell – den Werdegang zu hinterfragen. Wenn klassische Hilfsarbeit weniger wird, ist es das Gebot der Stunde, meine beruflichen Qualifikationen zu erneuern. Zu glauben, dass jetzt in der Krise ohnehin keine Chance auf Anstellung besteht, ist grundlegend falsch. Im Bereich der Alten- und Krankenpflege können wir den Leuten sehr gute Ausbildungsprogramme anbieten. Wir werden alles dafür tun, dass sich die friktionelle Arbeitslosigkeit nicht unnötig in die Länge zieht. Vermittlungsbemühungen und Qualifizierung werden parallel einhergehen müssen

Drohen im Bezirk Braunau Massenkündigungen?
Nein, Massenkündigungen erwarte ich nicht. Der Bezirk bezieht seine Stärke durch die Vielfalt der Unternehmen und deren Produkte und Dienstleistungen. Da sind wir grundsätzlich sehr gut aufgestellt. Die Kurzarbeit hat aus meiner Sicht in der dringlichsten Phase 8.000 Jobs gerettet. Beim konjunkturellen Aufschwung kann die Firma wieder auf das bewährte Team zurückgreifen. Zeit- und kostenintensive Suche und Einschulung bleiben somit erspart. Mit einem Maß an Rationalität im Umgang mit den gesundheitlichen Herausforderungen, gibt es wieder globale Geschäftstätigkeit. Da erwarte ich starke Impulse aus der Industrie und somit wichtige Aufträge für die vor- und nachgelagerten Bereiche.

Ist die Angst vor Kündigungen berechtigt? In welchen Branchen im Speziellen? Was sind derzeit „krisensichere“ Jobs? Und werden hier Fachkräfte gesucht?
Wenn Geschäftsfelder komplett weg brechen, werden Kündigungen alternativlos die Folge sein. Da plädiere ich auf ein vorzeitiges Ende mit Schrecken, um das Arbeitskräftepotenzial für andere Bereiche zur Verfügung stellen zu können. Die Unterhaltungsbranche, Reisbüros und die Luftfahrtindustrie sind derzeit das Sinnbild der Corona-Auswirkungen am Arbeitsmarkt. Auch in der Gastronomie, wo de facto Veranstaltungen verunmöglicht wurden, werden Jobs wegfallen, weil einige Unternehmen den Betrieb einstellen müssen. Berufe im Gesundheits- und Pflegebereich werden jetzt noch stärker in den Fokus rücken. Das traditionelle Handwerk, mit Dienstleistungen von höchster Qualität, bieten große Chancen. Speziell die jungen Erwachsenen sollten ihre Eignung und Interessen auf diese Felder lenken.

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