Fortsetzung: Vertrieben (45)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Adelheit und ich müssen im Pfarrhof viel helfen: Abtrocknen, Gemüse putzen und schneiden, Kartoffeln schälen, Dinge in den Keller bringen, Einkaufen und viele andere Dinge gehören zu unseren täglichen Pflichten. Alle – auch die Kinder – müssen zupacken auf einem Bauernhof und bei so vielen Leuten. Besonders unangenehm ist das Stopfen der Strümpfe. Sie müssen für alle im Haus, auch für die Gendarmen, gestopft werden. Eine nie endende Arbeit! Mit Grausen denke ich an die riesigen Löcher an den Fersen und Spitzen der Strümpfe, die man lange nicht zukriegt. Doch oft ist Fräulein Anita dabei und dann ist es schön. Wir sitzen in der Küche auf der Ofenbank am warmen Kachelofen und unterhalten uns oder Fräulein Anita erzählt aus ihrer Kinderzeit. Nie ist sie böse mit uns oder straft uns, immer ist sie freundlich, verständig und nett.

Wir sollen einkaufen gehen. Ach, das machen Adelheid und ich gar nicht gern. Es liegt Schnee und wir müssen den Schlitten ziemlich weit Richtung Oberdorf ziehen. Da trifft man immer wieder auf Gruppen tschechischer Kinder. Die wissen: Die deutschen Kinder dürfen sich nicht wehren. Man darf sie ungestraft schlagen. So gehen sie auf uns los und schlagen schmerzhaft mit Peitschen. Wir haben richtige Angst und rennen so schnell es geht weiter. Hervor getan hat sich beim Schlagen ein kleiner tschechischer Junge, kaum älter als Viktor. Er ist der Bruder der Dostal Gerlinde (und heißt Philipp, soviel ich noch weiß).

Eher wagen wir, uns zu wehren, wenn nur ein einzelnes tschechisches Kind uns bedrängt. So stehen wir einmal mit Viktor nahe der „Totenbrücke“ (die Brücke über den Dorfbach, die hinauf zu Kirche und Friedhof führt und über die sich die Leichenzüge bewegen) am Ufer des Dorfbaches. Ein größerer Junge, der Sohn vom „Weeder Tschech“ (ist jener Tscheche, der die Bäckerei Weeder an sich gerissen und die Bäckerfamilie hinaus gedrängt hatte) wirft sich plötzlich auf Viktor und will ihn in den Bach stoßen. Da gehen Adelheid und ich wie die Furien auf diesen frechen Burschen los. Wohl streiten wir oft mit Viktor, aber wenn man ihm Böses antun will, ist alles vergessen und wir verteidigen Viktor. Und weil Adelheid und ich stets zu zweit kämpfen, sind wir anderen Kindern meist überlegen. So geschieht es auch diesmal und wir können Viktor von dem Jungen, der ihn gepackt hat, befreien. Schnell hinauf auf die Brücke. Auf Tschechisch beschimpfen wir den unterlegenen Buben. Der rennt uns nach und wirft mit Steinen nach uns. Doch schon sind wir durch die Scheuneneinfahrt in den Pfarreihof geschlüpft und triumphieren in Sicherheit. Denn hierher getraut sich der Junge nicht. (Hätten sich die Eltern eingeschaltet, hätte die Sache trotzdem ein böses Nachspiel haben können. Denn auch die deutschen Kinder sind vogelfrei).

„Wenn ihr immer so früh aufwacht und dann Unfug macht, dann könnt ihr, Adelheid und Ursula, genauso gut in die Kirche gehen. Das ist besser, als im Bett herum zu lärmen“, befindet Tante Rosi. Wir drei müssen abends schon um 6 Uhr schlafen gehen, wachen entsprechend frühzeitig auf, bleiben natürlich nicht still, sondern schwätzen, toben oder streiten miteinander. Damit soll nun Schluss sein. So gehen Adelheid und ich von jetzt an in die Roratemesse am frühen Morgen. Es ist Adventzeit, tiefer Winter, nirgends Wegbeleuchtung. In der schwarzen Dunkelheit geht es auf dem verschneiten Kirchweg hinauf zur Kirche. Meist sind während der Woche außer den Pfarreileuten nur wenige Menschen im Gottesdienst. Das Gotteshaus ist eiskalt, vor allem an den Füßen friert man ganz schrecklich. Aber das ist eben so. Man hat das immer als normal hingenommen. Und nach dem Gottesdienst gibt es ja gutes Frühstück mit dem heißen Milchkaffee, der im Ofenrohr auf uns wartet.

Fortsetzung folgt

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