Fortsetzung: Vertrieben (4)

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Zweite Julihälfte 1944: Warum verhalten sich die Erwachsenen heute so anders als sonst? Sie machen besorgte Gesichter, sie flüstern und raunen und tuscheln. Was ist nur los? Endlich sagen sie es uns. Man hat versucht, den Führer zu töten. Ein Attentat ist auf Hitler verübt worden. Doch er hat überlebt.

„Den Führer töten! Das kann doch nicht sein. Wer kann so etwas machen? Er ist doch der edelste Mensch. Und man sieht es ja auch: der liebe Gott hat ihn vor den bösen Feinden beschützt.“

Die unablässige Propaganda in Schule und Öffentlichkeit hat gut bei uns Kindern gewirkt und die Eltern hüten sich davor, sich vor uns kritisch zu äußern. Kinder verplappern sich leicht und das könnte schlimm enden.

Schon einmal war unsere Familie auf gefährliche Weise aufgefallen. Auf Grund einer Mutprobe hatte Gottfried auf offener Straße mit erhobener Faust „Heil Stalin“ gegrüßt. Das hätte KZ bedeuten können. Aber irgendwie ist es Papa damals gelungen, sich aus der Schlinge zu ziehen.

Zwar haben unsere Eltern den Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland begrüßt, nicht aber das brutale Nazi-Regime. Unter den Nazis hat unser Vater sogleich seine herausragende Stellung als Leiter der Landesstelle für deutsche Jugendfürsorge des ehemaligen Österreichisch-Schlesien verloren und arbeitet wieder als Lehrer. Nie ist er der Partei beigetreten sondern er ist nur als „Anwärter“ registriert. Als Beamter hat er sich dem nicht entziehen können. All das aber habe ich erst sehr viel später lange nach Kriegende erfahren.

Wir halten uns mit Roswitha in der Laube vom Häusl auf, denn es ist trübe und regnerisch. Wer ist denn da drüben beim Jakshaus uns gegenüber auf der anderen Seite des Weges? Frau Jaks ist es nicht. Eine Fremde macht sich dort seltsam im Garten zu schaffen, bückt sich, scheint etwas zu suchen. Jetzt geht sie über den Weg und kommt doch tatsächlich durchs offene Gartentürchen in unseren Garten. „Das ist doch die Höhe“, sagt Roswitha, „einfach ohne zu fragen auf unser Grundstück kommen! Was fällt der nur ein. Jetzt gehe ich hinaus und spreche ein Wörtchen mit ihr“.

Roswitha redet energisch auf die Frau ein. Die verschwindet auf dem Weg Richtung Bach. Verwirrt kommt Roswitha zurück. „Brennnesseln sammelt die Frau und sie sagt, dass wir bald alle auch Brennnesseln sammeln und essen würden“. „Ha, ha, Brennnesseln essen! Das kann man doch nicht“. So ein Unsinn! So etwas Dummes haben wir noch niemals gehört. Aber seltsam komisch ist uns doch allen zumute.

Wir ahnten es damals nicht, dass die Frau wahr gesprochen und uns die Zukunft vorausgesagt hatte. Kaum ein Jahr später haben auch wir gegen den drohenden Hunger in Bennisch Brennnesseln gesammelt und als Suppe oder Gemüse gegessen.

Fortsetzung folgt

Bildquelle: Bayrischer Rundfunk

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