Fortsetzung: Vertrieben (52)

Foto: Bayrischer Rundfunk

Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens

Autorin: U. Hillesheim ©

Vor dem Palmsonntag sind Adelheid und ich Palmkatzerlen sammeln gegangen. Wir finden viele am Schieferbruch nahe dem Friedhof. Ich klettere auf eine der Weiden. Sanft wiegt sie sich im Wind. Mir wird so leicht im Gemüt, so fern und entrückt erscheint alles….. Es ist so schön hier. Ich präge mir alles ein. Sehr wohl ist mir bewusst, dass ich bald alles verlassen werde.

In der Pfarreiküche gibt es lange Debatten, wie in der Kirche Ostern gefeiert werden soll. Mit einer Palmsonntagsprozession, einer Flurprozession, mit „Kreuzelstecken“ wie früher? Ich glaube, Herr Pfarrer hat wegen der unsicheren Lage auf alle Volksbräuche verzichtet und sich allein an die Liturgie als solche gehalten. Er erwägt auch vor uns anderen, bei der bevorstehenden Ausweisung (der er sich freiwillig anschließen will), nichts von den eigenen Gütern, sondern nur Priestergewänder mitzunehmen. Sicherlich hat ihn das biblische Armutsideal dazu angeregt. Die nüchtern und praktisch denkende Tante Rosi ist entrüstet.

Am (fleischlosen) Karsamstag kocht Fräulein Anita für uns wiederum Mohnklierslen. Die hatten uns doch am Hl. Abend so wunderbar gut geschmeckt. Jetzt haben auch Roswitha und Gottfried Gelegenheit, dieses gute Gericht kennen zu lernen. Und bei den Kindertellern stehen am Abend Lämmchen aus Butter geformt. Herzige „Butterlammeln“! Wir drei sind ganz und gar begeistert. Und es tut uns nur leid, die herzigen Lämmchen beim Essen zu zerstören.

An diesem Karsamstag, den 20. April 1946, aber kommt ein Bote zu uns. Er bringt uns einen Befehl von den Tschechen. Den Ausweisungsbefehl für die Familie Killian. Am Osterdienstag müssen wir fort. Ohne Tante Rosi, Herrn Pfarrer und Fräulein Anita (sie werden erst im Juli vertrieben). Ihr Versprechen, uns nicht allein weggehen zu lassen, haben die Tschechen nicht eingehalten.

Ja, es ist unser letztes Osterfest in der Heimat. Wir drei haben im Pfarrgarten Osternestchen gebaut. So schöne Dinge liegen darin. Viktor findet ein richtiges Stoff-Osterhäschen, aus Strumpfteilen genäht mit aufgesticktem Gesicht. Adelheid und ich erhalten je ein kleines Stofftäschchen. Adelheid ein gelbes mit aufgenähten grünen Häschen, meines ist umgekehrt grün mit einem gelben „Haserle“ vorn. Rundherum sind die Täschchen andersfarbig hübsch mit Randstich umstochen. Und darin stecken ganz viele, herzige Kleidchen für unsere Schildkröt-Puppenzimmerpüppchen, die wir seit einem guten Jahr haben. Wir sind völlig entzückt und nehmen sie bei der Austreibung mit (alle Geschenke hat Roswitha genäht). Noch einmal gibt es sehr Gutes zum Essen. Am Ostermorgen essen wir Mohn-Streuselkuchen und zu Mittag gibt es ausgebackenes (paniertes) Zickelfleisch.

Osterdienstag, 23. April 1946: Schon um 6 Uhr morgens müssen wir und noch viele andere Mohrauer (insgesamt 360 Personen) uns an dem angegebenen Treffpunkt in Nieder Mohrau versammeln. Adelheid und ich haben drei Kleider und zwei Mäntel übereinander angezogen, denn Muttl weiß, was man am Leib trägt, wird bei der Kontrolle nicht mitgewogen. An Gepäck darf jeder nur 50 kg mitnehmen. Bevor wir das Haus verlassen, hängt Muttl um Adelheids Hals ein Silberkettchen mit Marien-Medaillon. Wir beide stecken uns geweihte Palmkatzerlen in die Manteltaschen und meinen abergläubisch, das wird uns sicher beschützen. Viktor trägt einen kleinen Kinderrucksack am Rücken. Darin steckt sein liebstes Spieltier, „Bulli“, ein grauroter Plüschhund. Das Köpfchen vom „Bulli“ schaut aus dem Rucksack niedlich hervor. Bis zu seinem Tod wird Viktor den „Bulli“ behalten.

Zum Abschied ist auch Herr Pfarrer zu seinen scheidenden Pfarrkindern an die Sammelstelle gekommen. Er geht zu jedem. Allen gibt er noch einmal die Hand und er segnete sie alle. Nun geht es mit Pferdewagen über Groß Stohl nach Janowitz in das Sammel- und Durchgangslager. Das Pferd vor unserem Wagen ist vollkommen kahl, der Schwanz fehlt sogar. „Es hat die Räude“, sagen die Leute. „Schaut euch noch einmal alles gut an“, Muttl macht uns den Abschied bewusst. Ich betrachte die Gegend und versuche, mir alles gut einzuprägen. Mit meinen 10 Jahren ist mir klar, dass wir sobald nicht zurückkehren würden. Dann würden die Felder verkommen sein, würden Dornen und Disteln tragen, meinen die Leute. Sie kennen die Misswirtschaft der eingewanderten Tschechen. An eine Rückkehr in späterer Zukunft glauben aber die meisten.

Adelheid und ich haben zu jener Zeit viel „gedichtet“. Zur Fastenzeit haben wir sogar ein 14-strophiges Kreuzweglied samt Melodie ersonnen und ganz „toll“ gefunden. Nun sitze ich im Wagen am Wag nach Janowitz und erfinde ein Abschiedsgedicht mit dem kindlich-kitschigen Abschluss: „Heimat, wie wunderschön, wann werd ich dich wiedersehn!“

Fortsetzung folgt

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