Ist Österreich heute noch neutral?

KLEINE ZEITUNG, 26.10.2014: Der heutige Feiertag erinnert an den 26. Oktober 1955: Der Nationalrat beschloss die immerwährende Neutralität Österreichs. Der damalige Bundeskanzler Julius Raab hielt im Parlament eine Rede:

"Innerhalb der politischen Ordnung Europas wird die Funktion Österreichs vor allem durch seine geografische Lage im Herzen Mitteleuropas und damit Europas bestimmt. Diese Lage bringt den Besitz – heute können wir mit Stolz wieder sagen die Beherrschung – der Ostalpen in ihrer ganzen Länge und Tiefe mit sich. Im Vertrage von Saint Germain erhielt Österreich einen besonderen internationalen Status, dessen Erhaltung für das europäische Gleichgewicht wesentlich war, das in der Neuzeit den politischen Leitgedanken des europäischen Staatensystems bildet. Das österreichische Volk hat diese geschichtliche Entscheidung erkannt. Auch heute, nach zwei Jahrzehnten leidvoller Geschichte, ist das österreichische Volk bereit, diese seine europäische Funktion für die Erhaltung des Friedens und des europäischen Gleichgewichts unter nunmehr wesentlich verbesserten Bedingungen auf sich zu nehmen.

Der Staatsvertrag hat für Österreich zum ersten Male seit der Gründung der Republik im Jahre 1918 die Möglichkeit einer wirklich aktiven und konstruktiven Außenpolitik eröffnet. Für diese Außenpolitik wird unsere Neutralität die neue, zukunftsreiche und dauernde Grundlage darstellen. Wenn diese Neutralität im vorliegenden Gesetzentwurf als immerwährend bezeichnet wird, so ist dies von ausschlaggebender Bedeutung. Unsere Neutralität ist keine provisorische, widerrufliche Beschränkung unserer Souveränität, die wir etwa unter dem Zwang der Verhältnisse widerstrebend auf uns genommen haben, sondern die dauernde Basis für eine Außenpolitik, die unserer Heimat und unserem Volke für alle Zukunft Frieden und Wohlstand gewährleisten soll.

Wir sind uns bewusst, dass die Neutralität auf dem Gebiete der Außenpolitik unserem Lande eine besondere Verantwortung auferlegt und dass wir durch sie immer wieder vor schwierige Entscheidungen gestellt werden. Wir fürchten diese Entscheidungen aber nicht, denn wir werden in unserer Außenpolitik eine klare und eindeutige Linie verfolgen, geleitet von den Interessen unseres Landes unter Rücksichtnahme auf die europäische Ordnung. Der Gedanke der Neutralität ist in der österreichischen Bevölkerung auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. In überraschend kurzer Zeit hat sich dieser Gedanke, der immerhin in seiner Form für unser Volk neu war, allgemein durchgesetzt.

Mit dem heutigen Tag wird der Unterschied gegenüber der seelischen Verfassung des österreichischen Volkes im Jahre 1918 voll sichtbar: Das österreichische Volk bejaht heute einmütig seinen Staat. Das österreichische Selbstbewusstsein hat sich – trotz oder gerade infolge der zahlreichen erlittenen Unbilden – bis zu einem eigenständigen, österreichischen Nationalbewusstsein gesteigert."

Von Beginn an tendierte nach der wieder gewonnenen Freiheit die österreichische Politik immer mehr zu den westlichen Staaten, zu den Werten der westlichen Welt. Von einer Äquidistanz zwischen NATO einerseits und der Sowjetunion und Warschauer Pakt andererseits konnte keine Rede sein. Der Eiserne Vorhang bildete eine düstere Grenze gen Norden und Osten hin. Auch die Menschen hier sahen im Ostblock eine düstere Bedrohung und hinter der stacheldrahtbewehrten Grenze Unterdrückung und Unfreiheit. Dennoch blieben unsere Regierungen insofern neutraler, als dass sie nicht die politischen Positionen der USA und der NATO-Staaten für sich übernahmen. Gerade Kreisky fuhr einen betont eigenständigen Kurs.

Die Sowjetunion und der Warschauer Pakt sind implodiert. Etliche dieser Staaten sind inzwischen Teil der EU geworden. So wie auch Österreich, dass beim Beitrittsprozess versuchte, irgendwie die Neutralität innerhalb der EU zu behalten. Das war solange kein Problem, als zwischen dem Westen und Russland eine Kuschelperiode herrschte. Bis in der Ukraine nationalistische Strömungen zur gegenwärtig noch andauernden Zerreissprobe führten. Putin nutzte die Gunst der Stunde zur Wiedereingliederung der Krim ins Reich und die Ukraine geriet ins Spannungsfeld der globalen Einflussnahmen der USA und ihrer NATO-Vasallen einerseits und jener von Putins Russland andererseits.

Und wie verhält sich die österreichische Politik? Die Positionen in Washington, Berlin und Wien sind eigentlich dieselben. Obwohl Österreich zu einer neutralen (und objektiveren) Haltung verpflichtet wäre.

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