In St. Pauli wird der Fußball gelebt

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Es ist sicherlich eines der emotionalsten Fußballderbys: mittendrin bei St. Pauli – HSV.

Wir Österreicher denken beim Wort „Derby“ an Rapid – Austria, als Grazer erinnert man sich auch noch an Sturm – GAK. Was aber wirklich ein Derby ist, erfährt man in Hamburg, wie etwa letzten Sonntag. Die WOCHE war mittendrin beim emotionalsten Klassiker Deutschlands: St. Pauli gegen den Hamburger SV.
Acht Jahre hat die Hansestadt auf dieses Bundesligaderby zwischen Braun-Weiß (St. Pauli) und Schwarz-Weiß-Blau (HSV) gewartet. Da geht schon Stunden vor dem Spiel die Stimmung über. Auf der Reeperbahn, der „sündigen Meile“, marschieren knapp 2.000 HSV-Fans Richtung Millerntor-Stadion, der Heimstätte des Kultklubs St. Pauli. Begleitet von einer 1.200 Mann starken Armee an Polizisten. Dass dieser Auflauf nicht ganz friedlich über die Bühne geht, kann man sich denken. Fangesänge wie "Die Nr. 1 in Hamburg werdet ihr nie - Scheiß St. Pauli" sind da noch das Harmloseste. Minuten später werden die ersten "Fans" festgenommen, die Polizei setzt Wasserwerfer ein, um die Lage einigermaßen zu beruhigen. Besonderen Respekt hat man auch von der hohen Anzahl der berittenen Polizei - Polizisten auf Pferden, das hat schon was!

Die Stimmung vor dem Stadion ist schon zwei Stunden vor Spielbeginn sensationell gut. Während sich etwa hundert Fans noch am Kartenschalter anstellen und noch die letzten Tickets ergattern wollen - und danach fluchend, schimpfend, spuckend und schreiend von dannen gehen, weil das Spiel längst ausverkauft ist - sorgt ein Straßenmusiker für gute Laune und fließt viel Alkohol. Man merkt jetzt schon: St. Pauli ist einfach anders, da kommt eine ganz besondere Sorte von Fans ins Stadion.

Der Eintritt ist für mich als Journalisten nicht ganz so einfach. Der Herr links schickt uns beim Eingang nach rechts zur Kontrolle. Dort werde ich vom ersten Kontrollor freundlich weitergelassen, auch der zweite Kontrollor lässt mich noch passieren. Der dritte Kontrollor sagt dann aber plötzlich "Stopp, du bist hier falsch, darfst hier nicht rein ..." Auch das ist St. Pauli: Nicht jeder weiß hundertprozentig Bescheid, was er tut. Aber gut: Zurück an die Ausgangsposition und den richtigen Eingang finden. Zehn Minuten später stehe ich im neugestalteten Presseraum und kann das erste Käsebrötchen verschlingen.

24.360 Zuschauer – so die offizielle Zahl im kultigen Millerntor-Stadion. Bereits eine halbe Stunde vor Spielbeginn, also während die Spieler aufwärmen, ist das Stadion eigentlich zu 99 Prozent gefüllt. Die Spannung steigt, auch die Emotionen und die Gesänge der Fans werden immer lauter. Auf der Südtribüne die Pauli-Anhänger, auf der gegenüberliegenden in einen kleinen Sektor gepfercht die HSV-Fans. Der Stadionsprecher stimmt die Zuschauer mit Erinnerungen und einer Übertragung auf der Leinwand ein: damals in der Saison 1977/78 hat St. Pauli das erste und bisher einzige Mal ein Derby gegen den HSV gewonnen. 2:0 damals in der Heimstätte des Sportvereins - so ein Ergebnis würde heute das Millerntor-Stadion wohl zum Erbeben bringen ...

Warum St. Pauli Kult ist, wird einem im Stadion dann sofort klar: „Hells Bells“ von AC/DC erklingt, wenn die Spieler aufs Feld kommen. Die Fans singen „Welcome to the hell“. Die braunen Dressen sind genauso legendär wie die Totenkopfflagge, sogar auf den Eckfahnen prangern die Totenköpfe. Die VIP-Klubs heißen "Separees" und "Ballsaal". Und selbst der Hauptsponsor ist so anders: die Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“ von ARD ...
Die Tausenden Pauli-Fans werden jedoch nicht so oft an dieser Lotterie teilnehmen. Schließlich bezeichnen sie sich selbst stolz als „asozial“. Es gibt auf dieser Welt wohl nirgendwo Fans, die statt „IHR seid asoziale Zecken“ lieber „WIR sind asoziale Zecken“ singen. Genau das macht aber den Kult von St. Pauli aus. Der Klub hatte nie den unglaublich großen Erfolg (außer das 2:1 gegen Bayern München im Jahre 2002, seitdem nennen sie sich „Weltpokalsiegerbesieger“), spielte meist in der zweiten Liga, manchmal sogar in der dritten. Große, internationale Topstars sucht man in St. Pauli auch vergebens, es geht um die Mannschaft und nicht um einzelne Helden. Es wurde heuer zwar Gerald Asamoah verpflichtet, aber der fällt auch nicht in die Kategorie "Topstar". Wie er in seinem ersten Pflichtspiel für St. Pauli in der zweiten Hälfte eingewechselt und von den Fans begrüßt wird, lässt einem die Gänsehaut auffahren. Wohl noch nirgends wurde ein farbiger Spieler in Europa so derart frenetisch und euphorisch willkommen geheißen - sensationell. So sind die Pauli-Fans einfach!

Übrigens: Das (schwache) Spiel endete 1:1, nur drei Minuten fehlten St. Pauli auf den ersten Sieg gegen den HSV seit über 30 Jahren! In der ersten Halbzeit gab es fast keine Torchance, in den ersten Minuten hatten die Spieler fast mehr damit zu tun, den Luftballons, die von den Fans auf das Feld geworfen wurden, zu entfernen. Auch HSV-Torhüter Rost wurde mit Klopapier regelrecht "begraben". Aber die Stimmung war dennoch überwältigend und mit keinem anderen Fußballspiel zuvor vergleichbar. Schade, dass St. Pauli dieses Derby nicht gewinnen konnte, ich hätte gerne miterlebt, was dann wirklich auf der Reeperbahn los gewesen wäre. Aber vielleicht ist es auch besser so ...

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