Drogenkonsum
Die Pandemie brachte die Jugend an ihre Grenzen

Der Drogenkonsum bei Jugendlichen hat seit der Pandemie zugenommen. Oft werden wahllos Substanzen, auch aus dem Darknet, konsumiert. | Foto: PantherMedia / photographee.eu
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  • Der Drogenkonsum bei Jugendlichen hat seit der Pandemie zugenommen. Oft werden wahllos Substanzen, auch aus dem Darknet, konsumiert.
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In der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck wurden 2023 knapp 50 Aufnahmen wegen Substanzkonsums verzeichnet, über 85 % davon waren Akutaufnahmen – das heißt, es wurde eine Überdosis konsumiert. Dabei wird eines deutlich: Seit der Pandemie sind die Zahlen der stationären Aufnahmen um ein Vielfaches gestiegen.

INNSBRUCK. Drogenkonsum bei Kindern und Jugendlichen ist ein Thema, das die Kindernotfallambulanz sowie die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck zunehmend beschäftigt. Denn Zahlen der Aufnahmen zeigen: Seitdem die Corona-Pandemie herrscht, verfallen immer mehr Jugendliche in den Drogenkonsum, Tendenz steigend.

"Wir vermuten, dass die Zahlen nicht abfallen werden",

so Kathrin Sevecke, Primaria der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Hall und Direktorin der Innsbrucker Univ.-Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter.

Deshalb lädt die Ärztin zu einem Kongress ein, um das Thema Substanzkonsum zu diskutieren.

„Auffallend ist, dass die Jugendlichen alle Substanzen einnehmen, die sie sich im Moment beschaffen können“,

erklärt Kathrin Sevecke.

Kathrin Sevecke, Primaria der Abteilung und Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Hall und Innsbruck | Foto: tirol kliniken/schwamberger
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Die Flucht ergreifen – egal wie

Der Grund, warum viele Jugendliche Drogen konsumieren ist, dass sie nicht mehr können, ihnen mit der Zeit alles egal wird und sie sich betäuben wollen. Wer kein gefestigtes soziales Umfeld hat, kippt leichter in eine Spirale aus Ausweglosigkeit. Der Tenor lautet klar: „Ich mag nicht mehr“. Keine Rolle spielt der soziale Status. Man findet die Betroffenen in allen sozialen Schichten. Dabei sind die Jugendlichen ein Messgerät für die Stimmung in der Gesellschaft, denn sie besitzen noch am wenigsten Resilienz. 

Wahlloses Konsumverhalten

Egal ob Schmerztabletten, Medikamente oder Drogen wie Kokain, Cannabis und Ecstasy-Pillen – den Jugendlichen ist es egal welche Art von Betäubung sie konsumieren – Hauptsache es hat seine Wirkung. Dieses wahllose Konsumverhalten ist neu. Die Jugendlichen nehmen, was sie bekommen - oft auch aus dem Darknet.

„Viele der Jugendlichen werden mit multitoxischen Vergiftungen in unsere Ambulanz eingeliefert“,

so Klaus Kapelari, Leiter der Kindernotfallambulanz an der Innsbrucker Klinik. Damit ist eine Vergiftung infolge gleichzeitiger Einnahme verschiedener Substanzen gemeint.

Klaus Kapelari, Leitender Oberarzt an der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder-und Jugendheilkunde und Leiter der Kinderschutzgruppe an der Innsbrucker Klinik | Foto: tirol kliniken /schwamberger
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Hilfe vor Ort

Betroffene, die aufgrund ihres Substanzenkonsums in die Ambulanz eingeliefert werden, bekommen das Angebot, sich stationär oder auch ambulant helfen zu lassen. Ab einem Alter von 14 Jahren dürfen sie selbst entscheiden, ob sie sich in eine Behandlung begeben oder nicht. Laut Sevecke nehmen drei Viertel der Jugendlichen diese Möglichkeiten vorerst an. Viele von ihnen brechen aber wieder ab. Die stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall sind auf sechs Wochen angelegt, mit der Option auf Verlängerung. Auch ambulante Behandlungsmöglichkeiten werden angeboten.

Zusammenarbeit

In Tirol besteht eine gute Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Kliniken und den externen Einrichtungen. Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Drogenberatungen, Pädagoginnen und Pädagogen, Anlaufstellen wie pro mente, Z6 und andere Netzwerke arbeiten hier zusammen.

„Der Kongress wird eine sehr wertvolle Gelegenheit sein, alle beteiligten Einrichtungen, Beratungsstellen, und viele mehr an einen Tisch zu holen und in Vorträgen und Workshops dieses leider sehr akute Thema intensiv zu bearbeiten und die neuesten Erkenntnisse bekannt zu machen“,

so Sevecke. Seit Ende des Jahre 2023 gibt es außerdem erstmalig die Möglichkeit des Hometreatments. Kinder und Jugendliche werden dabei von einem mobilen und multidisziplinären Team aus Psychologinnen und Psychologen, Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Pflegerinnen und Pflegern sowie Sozialarbeiterinnen und -arbeitern zu Hause betreut.

Erschreckende Zahlen

Im Jahr 2022 wurden ambulant ca. 350 Kontakte mit Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren in der Notfallaufnahme mit einer Intoxikation vermerkt. Dabei ist das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen ziemlich ausgeglichen. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie wurden 2023 knapp 50 Aufnahmen wegen Substanzkonsums verzeichnet, über 85 % davon waren Akutaufnahmen. 2022 waren es sogar 71 stationäre Aufnahmen, davon wiederum über 85 % akut.

„Im Jahr 2022 hatten wir 48 Aufnahmen auf der Intensivstation. Meist handelte es sich um Reanimationssituationen nach Atemstillständen beziehungsweise Kreislaufstillständen ausgelöst durch den Substanzkonsum“,

weiß Klaus Kapelari.

Hoffnung bleibt bestehen

Auch wenn die Zahlen der Fälle nicht zurückgehen, sehen die Ärzte dennoch Hoffnung, denn Schritt für Schritt bekommt dieses Thema mehr Aufmerksamkeit. Außerdem erklärt Klaus Kapelari:

"Die Chance aus dem Kreislauf herauszukommen, ist bei Jugendlichen recht groß, da sie oft nur akut konsumieren und nicht dauerhaft. So kann man frühzeitig eingreifen und eine Therapie gelingt meist."

Reaktionen der Politik

„Bei allen Gesprächen und auch bei den Beantwortungen unseren Anfragen im Landtag hören wir von den beiden zuständigen Landesrätinnen Hagele und Pawlata, dass alles im Laufen sei, vieles geplant oder bereits umgesetzt wird. Die Wahrheit schaut aber ganz anders aus, wie jetzt die Direktorin der Kinderpsychiatrie oder auch der leitende Oberarzt an der Klinik Innsbruck, betonen. Vor allem bei den Plätzen auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es massiven Aufholbedarf. Darauf haben wir schon mehrfach hingewiesen und rasche Maßnahmen gefordert. Es sind zwar Bemühungen der beiden Landesrätinnen erkennbar, aber Runde Tische und Versprechungen sind zu wenig, es müssen rasch Taten folgen, um dieses Problem in den Griff zu bekommen“,

so NEOS LA Brigit Obermüller als Reaktion auf die stattgefundene Pressekonferenz und den bevorstehenden Kongress der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die NEOS betonen, dass ein wichtiger Schritt in Richtung Besserung der Ausbau von Präventionsarbeit wäre:

"Wahre Prävention beginnt lange vor dem ersten Kontakt mit Drogen und auch lange bevor dies überhaupt zur Debatte steht. Das isländische Präventionsmodell bietet dabei viele Anhaltspunkte, die nachgewiesenermaßen Wirkung zeigen. Dabei dreht sich alles um die Freizeitmöglichkeiten und Sozialkontakte von Kindern und Jugendlichen. Der Lösungsansatz basiert auf der Annahme, dass Kinder und Jugendliche das spiegeln, was sie in ihrem Umfeld erleben und somit, wenn dieses funktioniert und ihre Freizeit mit verschiedensten Aktivitäten gefüllt ist, die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Drogen greifen, sehr viel geringer ist",

erklärt Obermüller. Die pinke Partei reichte dahingehend einen Antrag ein, der bis jetzt ausgesetzt wurde.

Auch die FPÖ meldete sich nach Veröffentlichung der aktuellen Lage zu Wort:

„Der Anstieg des schweren Drogenkonsums von Tiroler Kindern und Jugendlichen wird von Jahr zu Jahr extremer und die Landesregierung schaut weg, und verdrängt die Probleme. Es gibt eindeutig zu wenig Plätze auf der Kinderpsychiatrie, haben da schon unzählige Anträge im Landtag gestellt, aber nichts ist passiert. Zudem werden die Jugendlichen bei Überdosen zu früh wieder aus den Kliniken entlassen. Auch ist oftmals das Miteinander von Betreuungseinrichtungen und den Familien von suchtabhängigen Jugendlichen und leider auch mehr und mehr Kindern nicht vorhanden. Seit Jahren wird diese Problematik vor allem von Seiten der ÖVP marginalisiert. Es bräuchte mehr finanzielle Mittel für Kinder und Jugendliche mit psychiatrischen Erkrankungen und speziell schweren Drogenkonsum“,

fordert Markus Abwerzger, und fügt dem hinzu:

„Eine frühzeitige Betreuung von Kindern und Jugendlichen ist wichtig, um Spätfolgen zu verhindern. Das Angebot in Tirol ist eben seit Jahren nicht mehr ausreichend, vor allem muss man auch an die Eltern und Erziehungsberechtigten der Betroffenen denken.“

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