Zeit-ver-treibender Flaneur trifft frei-zeit-lichen Flaneur.
40 Jahre am Bozner Platz sind (noch nicht?) genug...

Noch steht die Ampel am Bozner Platz auf rot. Aber schon bald gibts Grün und schattenspendende Lederhülsenbäume ... 2022 gehts los! | Foto: Marcantonio Marino
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  • Noch steht die Ampel am Bozner Platz auf rot. Aber schon bald gibts Grün und schattenspendende Lederhülsenbäume ... 2022 gehts los!
  • Foto: Marcantonio Marino
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Gerade als ich an einer schwierigen Aufgabe rund um das Projekt "Schreiben in der Fastenzeit" bastle, erreicht mich ein Mail eines – womöglich – Interessierten. Unaufgefordert. Was er will? Er möchte mit mir über den Bozner Platz sprechen. Persönlich. Ebendort. Am Platz.

Den "BP" kenne ich gut. Ganz gut sogar.
Ein unter Wert geschlagener Kraftplatz, mitten in der Stadt. Täglich 8.000 Fahrzeuge und 10.000 Zweibeiner. Also 20.000 Beiner. Zurückgerudert zum Projekt und der Aufgabe. Die Geschichte rund um "Schreiben in der Fastenzeit" ist genial. Susanne Gurschler hat das inszeniert. Jeden Tag in der Fastenzeit gibt es schreibluststeigernde Aufgaben von ihr. Macht mehr Spaß als auf Süsses oder ein Schluckerl zu verzichten. Was jetzt?  Ich sage zu. Dem Mailschreiber.

Wo wollen wir uns treffen?

Dort. An einem schönen Mittwoch. Am Leopoldbrunnen. Tolle Geschichte rund um den Brunnen. Musste einmal in der aktiven Zeit für eine Rede eines Vorstandes recherchieren. Jetzt informiere ich mich über den Stand der Umbauarbeiten, Fakten, Wettbewerb und Status Quo.Georg Herrmann hat im Bezirksblatt eine wunderbare Auflistung aller kreativen Entwicklungen, Statements, Meinungen, Irrungen und Verirrungen, sogar mit den Plänen der Gewinner recherchiert und für uns interessierte Leser zugänglich gemacht. Biff-Baff erstaunt. Bühnen, Bäume, Luftiges Baumdach sorgt für Kühlung. Schattenspendende Lederhülsenbäume!, Klimaresilenter Stadtraum. Begegnungszone!, Konsumfreies Verweilen,  unterschiedliche Szenarien. Gastgärten. Temporäre Märkte. Mundoffenes Staunen. Auch eine verkehrsfreie Variante ist da sichtbar. Gleichzeitig steht irgendwo dann "auch wenn keine Verkehrsfunktionen gestrichen werden, soll eine Reduzierung des Verkehrs und eine Entschleunigung erzielt werden." Tempolimit 20. Verbreiterte Gehsteige. Ein Wiener Ingenieurbüro hat den Wettbewerb gewonnen. Chapeau! Gegen 57 eingereichte Projekte. Die Kosten. 3,5 Mio - dann 4,5 Mio angeschätzt. Jetzt bin ich informiert und fasziniert. Der BP neu. Kla, sie  haben ja recht. Ich weiß schon, wir haben derzeit viele andere offene Baustellen. Wen kümmert da schon der BP? Mich!!!! Er hat mich irgendwie auch immer mit-betroffen. Über 40 Jahre lang. Und, jaja ich mag ihn. Also auch jetzt, heute.

Habe den E-Mail Absender getroffen.

"Kein Foto von mir",  war das erste, das er mir gesagt hat. Akzeptiert. Ein mittelschlanker, groß-gewachsener Herr, irgendwie kommt er mir bekannt vor. Er sagt mir, im Vertrauen, er habe nix mit den 3 großen Herren, die vor Jahren auf diesem Platz ihr Unwesen getrieben haben, zu tun. Soll ich ihm glauben? Wir setzen uns auf eine Bank gegenüber vom Brunnen. Die Landesbank im Blick. Das überlebensgroße Standbild von Herzog Rudolf IV hinter mir, quasi als zusätzlichen Beobachter. Klar wir alle wissen – der Brunnen wurde 1877 anlässlich des 500 Jahre Jubiläums Tirol an Österreich errichtet. So polemisch wie manche andere Zeitgenossen möchten wir aber nicht sein, diese behaupten ja, das man das rückgängig machen muss. Mir gefällt der Brunnen. Und Österreich mit Tirol. Basta. Es geht los. Wir haben vereinbart. Ich stelle die Fragen. Sieben. Er antwortet. Er noch: "Den Hinterkopf dürfen sie fotografieren. Mehr nicht!" Ich sollte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, wie und wohin sich das Gespräch entwickeln würde. Aber lesen sie selbst. 

Warum haben Sie sich bei mir gemeldet?

Ganz einfach. Ich habe in den digitalen Bezirksblättern von ihnen gelesen. Deshalb die Kontaktaufnahme. Und weil es mich interessiert hat mit jemanden zu sprechen, der den BP auch gut kennt. So einfach. Und ich wollte sowieso wieder einmal auf diesen Platz. Noch dazu bei so schönem Wetter, wie  heute.

Was wissen Sie über den BP eigentlich, wieso und woher?

Habe über 40 Jahre hier die meiste meiner Zeit verbracht. Tagtäglich. Und weiß eigentlich wie sich der Platz anfühlt,  wie er sich verändert hat und was er kann – und was nicht ... Stimmt an den Wochenenden war ich nicht da. Aber sonst. Wenn man vor 40 Jahren gesagt hat, ich arbeite am Bozner Platz in einer Bank, dann hat das Gegenüber den Kopf geschüttelt und gemeint – dort gibt es keine Bank. Erst wenn man das Gegenüber, das Kindermodengeschäft Heidegger oder die Augenärztin Färber-Friedl, die im Bankgebäude ordinierte ins Spiel brachte, wussten die Menschen was und wo. In meinen letzten Berufsjahren habe ich sogar direkt auf den Platz hinuntersehen können. Das Tagesgeschäft beobachten dürfen. Die Sackgasse vor der Apotheke, die Diskussionen mit den Behörden, das Abstrafen, die regelmässigen Einsätze der Rettungskräfte, die gehbehinderte Menschen zu den Orthopäden brachten, Sandler die eine Mütze Schlaf brauchten und die Bänke nutzten, Erwachsene, Kinder, Ruhesuchende, hie und da jemanden der eine Münze in den Brunnen - rücklings reinwirft und das Glück herbeiwünscht, vermeintliche Drogenhändler aus fernen Ländern, die später vertrieben wurden, öffentliche Toiletten, die später, heute noch, verschlossen geruchlos vor sich hin stinken ... 

??? Hmm!

40 Jahre sind eine lange Zeit, was hat sich inzwischen verändert. Ihre Einschätzung?

Wir haben uns alle verändert. Verkehr. Umwelt, Corona, jeder einzelne von uns ist älter geworden. Wir gendern, suchen und finden Verbotenes  und betonieren gleichzeitig - Gefühle, den Boden, das Miteinander ...Der BP wäre eine sehr schöne Chance, richtige Spuren zu hinterlassen. Und die Menschen, die anbei wohnen, leben, die Innsbrucker, die Tiroler wirklich mit zu nehmen. Der Platz ist einer der schönsten in ganz Innsbruck. Wohlgemerkt. Aufgeräumt. Hergerichtet und wohlfühlend gemacht. Wen man immer loben muss, die Stadtgärtner kümmern sich gewohnt liebevoll um ihn, den Platz. Im Frühjahr, im Sommer und im Herbst ist er, nicht nur von oben betrachtet ein richtiges Blumenkleinod in der Stadt. Man hat im Vorfeld über die Jahre viel geredet und zerredet. Es gab einen Wettbewerb. Sieger sind gekürt. Von auswärts. Inwieweit die Einheimischen dabei noch mitreden dürfen, weiß ich nicht. Zu hoffen wäre es. Die vorangegangen Umgestaltungen von Plätzen in Innsbruck scheinen positive Gefühle eher zu erdrücken. Gut der Platz vor dem Haus der Musik ist gelungen. Dem gegenüber stelle ich den Landhausplatz. Geben wir der Jugend etwas zurück, immerhin zerstören wir Alten gerade in verachtender Form unser Erbe. In irgend einem Leserbriefe ist vor kurzem auch gestanden – die Alten in die Ecke - schämen. 
Stimmt irgendwie, oder?

Er schneidet dazu ein schrecklich-verzerrte Grimasse, hier schwer wiederzugeben. Aber schaut scheußlich aus. Wirklich. Ich konzentriere mich. Weiter gehts.

Gibt es besondere Erlebnisse rund um den BP, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?

Ja da gibt es eine Menge. Rund um den Umbau der Hypo im 2008er Jahr. Ein blitz-sauberer Bauzaun, mit Comic Figuren von Peter Fejes als kunterbunter Aufputz diente  als Kommunikationsmittel, dazu ganz persönlich-betreute Mediation für die Anrainer, Anders Linder und Günther Egger kümmerten sich darum,  die Initiative "Vielfalt Bozner Platz" ist dabei entstanden. Noch heute kann man das goldene Pickerl an manchen Geschäften rund um den BP erkennen.  Vor Jahren, wahrscheinlich im Rahmen der Stadtimpulse gabe es eine stündliche Einspielung von ein- und ausfahrenden U-Bahnen, tief im Bauch, – den Toiletten – des BP. Haben wir gehört. Mit Ansagen, dass der Zug einfährt. Witzig! Auf Dauer lästig. Italienisches Marktfeeling am Parkplatz vorm TUI, vor der Apotheke, hat gezeigt, was möglich ist. In den 90igern gab es eine "Klangwolke" von Aktionskünstler Gebi Schatz rund um den Brunnen, mit Indianern und der Häuptlingsfeder oder so, alle Anrainer haben mitgemacht und mitgezahlt.  Rund um den Umbau der Hypo, um 2006 gab es dann auch das Gepräch, die große Schild-Skulptur mit 12m als Gegenstück zum Rudolfsbrunnen aufzustellen ..."Wie im Himmel so auf Erden", so heißt die Skulptur vom Künstler Schild ...

Bin unhöflich und unterbreche den Redefluss. Bitte! Dankeschön!

Nun etwas Persönliches. Heute. Was tun SIE heute?

Wie sie selber, bin ein zeitvertreibender Pensi, ein Flaneur wie sie und streune, so wie heute durch die Gegend. Und treffe mich mit interessanten Menschen. Mit Künstlern, Rentnern, jungen Arbeitslosen, Weinhändlern und Schnapsbrennern und ja mit Menschen, so wie mit ihnen.

Was würden Sie machen, besser empfehlen, wenn man Sie gefragt?  Wartet. Denkt nach.

Interdisziplinarität - schauen sie sich an, welche Anrainer hier sind, zwei Bäcker, eine Apotheke, Gastrobetriebe, drei Banken, ein Fotogeschäft, das Infoeck der Generationen vom Land Tirol, Reisebüro, in allen Himmelsrichtungen interessante möglich Partner – Audiversum, Landhaus, – gegenüber die Strasse entlang, Tiroler Versicherung, die Wirtschaftskammer, dort pro-holz, überhaupt Holz, Rüdiger Lex, Holzfachschulen in Absam, in Imst ...die Bevölkerung ins Boot holen. Vor allem die  Jugend. Speakerscorner einrichten, unsere Demokratie ist am Wanken – deshalb tun, Poetry-Slamen, Grafittikünstler, Musik, Straßenkunst, Kooperationen mit Galerien, Holz - Bühne, Pavillon, Wasserzapfstation, soziale Vernetzung, Gutes tun, Hören mit audioversum - wer braucht heute noch 4 Telefonzellen – dafür ein Riesenohr als Aufmerksamkeitserreger, die BP-Hörmuschel wäre doch halbwegs innovativ-sinnvoll ... miteinander ...gemeinsam ...mutig sein. Ein klein wenig mehr Übermut täte der Stadt auch gut. Nicht nur in der Gemeindestube. Noch was? Wie wäre es mit einer Erinnerung an den Wa-Lu-Li-So! Einen der unbedankten Helden unserer Jugend. Wieso nicht.

Ihr Lieblingsplatz in Innsbruck? wumms! kommt es wie aus der Pistole geschossen ...

Der Landhausplatz. Eine Oase die mir bei schönem Wetter das Solarium erspart.
Nein. Ganz klar. Meine Lieblingsplatz – ein Geheimtipp, den ich hier nicht bekannt geben möchte.

Sind Sie nur ein schlichter Geschichtenerzähler, oder steckt mehr dahinter? Er schaut mich ernst an, schüttelt sich – und lächelt.

Nein, sicher nicht. Ich. Ich bin ein ziemlich radikal-naiver Träumer, ungebildet, titel- und mittellos. Was ich weiß, verdanke ich im positiven Sinne meinem Interesse. Hier ziehe ich mir dann einfach den genialen Franz Schuh an und zitiere ihn - "Ich weiß nur wenig, darunter auch, dass ich weiß, dass ich nicht(s) weiß. Der wichtigste Satz in Zeiten wie diesen schien mir der des Philosophen Jürgen Habermas, dass es keine Zeit gegeben hat, in der man so genau wusste, dass man nicht(s) weiß."

Ehrliche Antwort, bitte: Was glauben Sie persönlich, was mit dem BP passieren wird?

Ja, ich bin durchaus. Im großen und ganzen. Wohl wie überhaupt. Durchaus sicher. Unser gewähltes politisch-erprobt-geniales Dienstleistungspersonal wird sicher den richtigen Ton fi ...

... und weiter?  – ja den Rest verschluckt der Wind, ER ist plötzlich aufgestanden, hat sich umgedreht – ohne für mich hörbar, weiterzusprechen und ist schnellen Schrittes, fast laufend Richtung Osten davongeeilt. Das wars. Mein "Dankeschön" nicht mehr gehört. Natürlich habe ich ein paar geheime Fotos gemacht. Aber ich weiß nicht genau!
Als ich nochmals kurz auf die verlassene Bank schaue, sehe ich drunten im Gras etwas Blaues blitzen. Ein blitz-blaues Kuvert. Entweder vergessen oder mit Absicht. Von ihm? Ich weiß es nicht. Was ich weiß – ich werde das Kuvert mitnehmen. Und was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte. Zuhause werde ich den Brief öffnen, die Zeilen aufmerksam ein-zweimal lesen und ihn danach einfach wegwerfen. Nicht zornig, nein. Mit einem Lächeln. Prustend lachen! Lauthals. Einfach so. Ihm werde ich noch ein E-Mail schicken. Sicher.

PS: Kaum zu glauben. Aber wahr. Meine heutige Fleiß-Aufgabe bei "Schreiben in der Fastenzeit" habe ich mittlerweile erfolgreich erledigt. Danke liebe Leserin, lieber Leser, das Du mich bis hierher begleitet hast. Starke Leistung. 

PPS: Noch etwas klein-und-wertvolles Geist-und Augenfutter hinterher: Vom Philosphen Franz Schuh gibt es ein interessantes neues, besonders lesewürdiges Buch. "Lachen und Sterben" der tief-sinnige Titel.

PPPS: Und hier zum  Nachlesen für Interessierte: Sorgsam recherchierter Artikel von Georg Herrmann.

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