Fall Leon
Verteidigung ortet Ermittlungspannen, Staatsanwaltschaft betont Sachlichkeit, U-Haft verlängert, Beschwerde angekündigt

Die Anwälte Albert Heiss und Mathias Kapferer sehen Ermittlungspannen und eine Verletzung der Unschuldsvermutung beim Fall Leon. | Foto: BezirksBlätter
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Ende August 2022 ist der 6-jährige Leon tot in der Kitzbüheler Ache aufgefunden worden. Seit dem beschäftigt das Schicksal des Jungen die Öffentlichkeit. Als Tatverdächtiger wurde der Vater von Leon vor einem Jahr festgenommen. Vor dem nächsten Haftprüfungstermin übt die Verteidigung scharfe Kritik am Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft.

INNSBRUCK. "Aufgabe der Verteidigung ist es, alles zu tun, was dem Standpunkt des Beschuldigten helfen könnte. Aufgabe der Staatsanwaltschaft hingegen ist es, alles objektiv und sachlich zu beurteilen und dabei die Rechte aller Verfahrensbeteiligten und auch die Unschuldsvermutung zu wahren." Mit dieser Prämisse leitet die Staatsanwaltschaft ihre Stellungnahme zu den Aussagen der Rechtsanwälte Albert Heiss (Anwalt des beschuldigten Vaters) und Mathias Kapferer (Anwalt der Mutter von Leon) im Fall Leon ein.

"Aus Sicht der Verteidigung ist der dringende Tatverdacht nicht haltbar. Es gibt erhebliche Beweise für die Richtigkeit der Angaben des Beschuldigten. Die Motivlage wurde von den Behörden völlig falsch eingeschätzt", lautet das Résumé der beiden Anwälte.

Ermittlungspannen

Der Raum Seefeld im AC Hotel in Innsbruck ist voll gefüllt. Medienvertreter aus Deutschland und Österreich, von der Bild über RTL bis zur APA, nehmen an der Pressekonferenz der Rechtsanwälte Albert Heiss und Mathias Kapferer teil. "Die Verteidigung deckt  Ermittlungspannen auf und kritisiert die Verletzung der Unschuldsvermutung, ein Enthaftungsantrag wurde eingebracht", wird zu Beginn festgehalten. "In der Öffentlichkeit wird der Eindruck vermittelt, dass der Beschuldigte die Tat begonnen hat", erklärt Albert Heiss. "Aber die Objektivität muss gewährleistet werden, wobei dies im Fall Leon nicht der Fall ist." 

Fall Leon

Ende August 2022 ist der 6-jährige Leon tot in der Kitzbüheler Ache aufgefunden worden. Im Februar 2023 wurde der Vater des Buben als dringend tatverdächtig festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Rechtsanwälte Albert Heiss (Anwalt des beschuldigten Vaters) und Mathias Kapferer (Anwalt der Mutter von Leon) haben einen Enthaftungsantrag gestellt und listen eine Reihe von Argumenten, Fakten und "fragwürdigen Rückschlüssen" der Ermittlungsbehörden auf.Aus ihrer Sicht ist es bei den Ermittlungen und der Tatortarbeit zu Pannen und Fehlern gekommen. Das wurde durch in Auftrag gegebene Gutachten renommierter Sachverständiger, die nun vorliegen, bestätigt. "Es wurden voreilige Schlüsse und Festlegungen im Hinblick auf eine mögliche Täterschaft des Vaters gezogen", ist Heiss überzeugt. Im Zentrum der Kritik das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft. Betreffend das Geschworenengericht sieht Heiss eine gravierende Beinflussnahme durch die Vorberichterstattung. 

Aus dem Archiv der BezirksBlätter

Fakten und Kritik

In fünf Bereichen gehen Heiss und Kapferer auf die Ermittlungsarbeit ein und üben dabei entsprechende Kritik. Die Auswertung der Spuren am Tatort ist grob mangelhaft geblieben und zumTeil gegen den Stand der Technik erfolgt. Beweismittel sind damit nicht mehrverwertbar. "So wurde nicht einmal die Hälfte der Scherben, die möglicherweise von der Flasche stammen, gesichert. Scherben wurden teilweise auch noch Tage nach dem Vorfall von Privatpersonen gefunden und bei der Polizei abgegeben. Videoaufnahmen belegen zudem, dass mehrere Tage nach dem Vorfall Scherben am Tatort von einem Mitarbeiter der Straßenreinigung entsorgt wurden. Die Flasche wird von der Polizei als Tatwerkzeug angesehen, mit der sich der Beschuldigte selbst verletzt hätte", fasst der Rechtsvertreter des Beschuldigten zusammen. Heiss hinterfragt auch die Entscheidung des LKA, zwei DNA-Spuren, die an einem nahegelegenen Mülleimer gefunden wurde, nicht weiterzuverfolgen.

Großes mediales Interesse bei der Pressekonferenz der Anwälte in Innsbruck. | Foto: BezirksBlätter
  • Großes mediales Interesse bei der Pressekonferenz der Anwälte in Innsbruck.
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Keine Objektivität

"Ermittlungsbeamte haben, nachweislich und protokolliert, vorgreifend eine Beweiswürdigung vorgenommen - was laut Strafprozessordnung unzulässig ist", wird kritisiert: "Beweismittel wie Videoaufnahmen wurden trotz entsprechender Möglichkeiten nicht sichergestellt." In Zusammenhang mit der Auswertung der Handydaten werden die Rechtsanwälte konkret: "Bei der Auswertung der Handydaten des Beschuldigten haben die Beamtendes Landeskriminalamtes eine Software verwendet, die erhebliche Fehler aufweist. So ist der Vorwurf der Polizei, dass die Schrittaufzeichnungen am Handy einen Beweis darstellen, nicht haltbar - was auch externe Sachverständigengutachten belegen." Auch die Behauptung, dass der Beschuldigte nach dem Begriff „Ohnmacht" zur Vorbereitung eines vorgetäuschten Raubüberfalls gegoogelt hätte, kann widerlegt werden.

Das Motiv

Die Annahme der Polizei, der Beschuldigte bzw. seine Familie seien in einerverzweifelten Situation gewesen, ist durch zahlreiche Zeugen, Videoaufnahmen, schriftliche Bestätigungen und nicht zuletzt durch ein Gutachten aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaften klar widerlegbar, erkläre Heiss und Kapferer.

Folgende Fakten sprechen laut den Anwälten gegen das angenommene Motiv: "Die Gesundheitssituation von Leon hatte sich deutlich gebessert. Videos zeigen, dass der Bub trotz Beeinträchtigung ein fröhliches und mobiles Kind war.

Es gab bereits Abklärungen zu Kindergarten- und späterem Schulbesuch sowie eine Verbesserung des Pflegepersonals ab September. Der Beschuldigte hat sich noch am Tag vor dem Überfall um die Verbesserung der Situation in der Küche der Wohnung der Familie gekümmert. Zahlreiche Videoaufnahmen aus einem längeren Zeitraum belegen, dass zwischen Vater und Sohn ein ausgezeichnetes und betont liebevolles Verhältnis bestand."

Zum Tatwerkzeug

"Aufgrund der fehlerhaften Beweissicherung ist eine Beurteilung, was dastatsächliche Tatwerkzeug war, nicht möglich, insbesondere nicht zur Glasflasche", lautet die Meinung des Anwalts. Im Gegensatz zu den Ausführungen der Polizei ist aus medizinischer Sichteine Fremdverletzung wahrscheinlicher als eine Eigenverletzung.Die DNA-Auswertungen von Glasscherben haben keine Hinweise auf eine Berührung dieser Scherben mit dem Beschuldigten gebracht. Gutachten bestätigen, dass auch eine andere Tatwaffe (z.B. ein Schlagstock) möglich ist. Zudem wurden auf den Glasscherben DNA-Spuren einer unbekannten männlichen Person gefunden.

Replik der Staatsanwaltschaft

"Die Staatsanwaltschaft lässt sich nicht von sachfremden, persönlich Motiven leiten, sondern ist ausschließlich dem Gesetz verpflichtet und orientiert sich an den vorliegenden Fakten. Das wird regelmäßig vom Gericht geprüft - im konkreten Fall auch vom Obersten Gerichtshof, der die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft bestätigt hat", wird in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ausgeführt.

Die Staatsanwaltschaft wird sich während des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht öffentlich zu Beweisergebnissen oder zu Anträgen und Vorbringen der Verteidigung äußern. Das bleibt der Gerichtsverhandlung vorbehalten.

Ziel der Staatsanwaltschaft ist es nämlich, eine möglichst unbefangene und unbeeinflusste Entscheidung des Gerichts zu gewährleisten. Wenn die Verteidigung nunmehr öffentlich Ermittlungsergebnisse in ihrem Sinn interpretiert, dann verfolgt sie das Gegenteil: Dann geht es offenbar darum, bereits jetzt die späteren Richter - voraussichtlich Geschworene - zu beeinflussen. Über den eingebrachten Enthaftungsantrag wird nicht die Öffentlichkeit, sondern das Gericht zu entscheiden haben. Dort ist der Antrag zu stellen und zu begründen.

Die Staatsanwaltschaft wird sich unabhängig davon bemühen, das Ermittlungsverfahren rasch zu beenden, so dass im Falle einer Anklage auch möglichst bald über Schuld oder Unschuld entschieden werden kann. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Zuletzt war die Staatsanwaltschaft unter anderem damit beschäftigt, weitere umfangreiche Beweisanträge der Verteidigung zu prüfen und ihnen dann stattzugeben, wenn dies Einfluss auf das weitere Verfahren und die Schuldfrage haben könnte, auch wenn das eine weitere Verzögerung der Ermittlung bedeutet.

U-Haft verlängert

Nach der Haftprüfungsverhandlung (Freitag, 1. 3.) wurde die Untersuchungshaft erneut wegen Tatbegehungsgefahr verlängert. Eine erneute Prüfung findet in zwei Monaten statt. In der Zwischenzeit werden die Ermittlungen fortgesetzt, wie das Landesgericht mitteilt.

Beschwerde angekündigt

"Diese Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar. Es wird eine Beschwerde dagegen geben. Wir schöpfen alle Rechtsmittel aus, um den Beschuldigten aus der U-Haft zu bekommen",

so RA Heiss. Er beklagt, dass die bereits überdurchschnittlich lange U-Haft mit allen wirtschatlichen und psychischen Folgen für den Betroffenen und für seine Familie offensichtlich nicht in die Entscheidung eingeflossen sei und somit der Enthaftungsantrag abgelehnt wurde.
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